BVerwG Urteil v. - 2 WD 26/18

Freispruch hinsichtlich des Vorwurfs des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Dateien

Leitsatz

Wer auf seiner externen Festplatte gespeicherte kinderpornografische Dateien über einen angeschlossenen Laptop löscht, hat an den dadurch in einen unzugänglichen Bereich der externen Festplatte verschobenen Dateien und den zugleich automatisch auf der externen Festplatte gespeicherten Dubletten dieser Dateien, die nur mit einer Spezialsoftware zugänglich sind, keinen Besitz (mehr).

Gesetze: § 23 Abs 1 SG, § 184b Abs 4 S 2 StGB, § 184c Abs 4 S 1 StGB, § 84 Abs 2 WDO 2002, § 108 Abs 2 WDO 2002

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft den disziplinarischen Vorwurf des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Videodateien.

21. Der ... geborene frühere Soldat leistete von April 2007 bis Ende Februar 2009 Grundwehrdienst und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst. Am 1. April ... trat er unter Berufung in das Soldatenverhältnis auf Zeit wieder in die Bundeswehr ein. Im Juli ... wurde er zum Stabsunteroffizier befördert. Seine Dienstzeit endete mit Ablauf des 30. April ...

32. Nach ordnungsgemäßer Einleitung des Disziplinarverfahrens wurde dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom zur Last gelegt:

"Am verfügte der Soldat in seiner Wohnung in der ... in ... auf seiner externen Festplatte des Herstellers ... über acht kinderpornografische sowie eine jugendpornografische Videodatei."

4Der frühere Soldat habe durch sein Verhalten vorsätzlich seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt und als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben.

5Der Anschuldigungsschrift war folgende zu ihrem Bestandteil erklärte Aufstellung beigefügt, die in der nachstehenden Tabelle links um eine Spalte mit laufenden Nummern ergänzt wurde:

63. Das Truppendienstgericht ... hat den früheren Soldaten mit Urteil vom in den Dienstgrad eines Unteroffiziers herabgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

7Der frühere Soldat habe im Jahre 2014 eine Beziehung mit der Zeugin S. gehabt. Nach der Trennung habe er ihr vorübergehend seinen Laptop überlassen, auf dem sich ihre Bewerbungsunterlagen befunden hätten. Beim Herunterladen dieser Dateien seien ihr im Ordner "Papierkorb" Dateien aufgefallen, deren Namen auf kinderpornografische Inhalte hingedeutet hätten. Sie habe die Dateinamen fotografiert, die Dateien gelöscht und die Fotos der Dateinamen auf einem USB-Stick bei der Polizei abgegeben.

8Bei einer daraufhin erfolgten Durchsuchung der Wohnung des früheren Soldaten sei eine externe Festplatte mit acht kinderpornografischen Videodateien und einem jugendpornografischen Video gefunden worden. Die kinderpornografischen Dateien seien am 4. Februar bzw. auf der Festplatte gespeichert bzw. darauf erzeugt worden. Zuletzt sei am auf die Dateien zugegriffen worden. Das Amtsgericht ... habe gegen den Soldaten mit rechtskräftigem Strafbefehl vom (...) wegen des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 und § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verhängt.

9Der frühere Soldat habe sich eines vorsätzlich begangenen Dienstvergehens nach § 23 Abs. 1 SG schuldig gemacht, indem er auf seiner Festplatte acht Videodateien kinder- und eine Datei jugendpornografischen Inhalts gespeichert und bis zum Auffinden durch die Polizei im Besitz gehabt habe.

10Nach ständiger Rechtsprechung der Wehrdienstgerichte sei beim Besitz von Dateien kinder- bzw. jugendpornografischen Inhalts mindestens eine Herabsetzung im Dienstgrad oder - in schweren Fällen - eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Bei einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Kriterien nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO könne der frühere Soldat noch in einer Vorgesetztenstellung belassen werden. Allerdings könne von einer Herabsetzung in den Dienstgrad eines Unteroffiziers nicht abgesehen werden.

114. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das ihr am zugestellte Urteil am unbeschränkt Berufung eingelegt. Der frühere Soldat hat gegen das ihm am zugestellte Urteil mit Telefax seines Verteidigers vom ebenfalls unbeschränkt Berufung eingelegt.

12Der frühere Soldat begehrt einen Freispruch, weil die in Rede stehenden Dateien teilweise keinen jugend- bzw. kinderpornografischen Inhalt hätten und er die Dateien am nicht mehr besessen habe.

13Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat in ihrer Berufungsbegründung aus im Einzelnen dargelegten Gründen eine Maßnahmeverschärfung in Form einer Herabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad begehrt. Nach der in der Berufungshauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme hat der Vertreter der Bundeswehrdisziplinaranwältin auf Freispruch des früheren Soldaten plädiert.

Gründe

14Die Berufung des früheren Soldaten ist zulässig und begründet. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist ebenfalls zulässig, aber unbegründet. Das Truppendienstgericht hat den früheren Soldaten zu Unrecht in den Dienstgrad eines Unteroffiziers herabgesetzt. Der frühere Soldat ist nach § 108 Abs. 2 WDO freizusprechen, weil das angeschuldigte Dienstvergehen nicht vorliegt.

15Der Senat ist in der Berufungshauptverhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der frühere Soldat nicht - wie angeschuldigt - am in seiner Wohnung in der ... in ... auf seiner externen Festplatte des Herstellers ... über acht kinderpornografische sowie eine jugendpornografische Videodatei verfügte.

161. Die Berufungshauptverhandlung hat ergeben, dass die in der Anschuldigungsschrift als jugendpornografische Videodatei bezeichnete Datei keinen jugendpornografischen Inhalt hat und von den acht in der Anschuldigungsschrift als kinderpornografische Videodateien bezeichneten Dateien nur sechs Dateien einen kinderpornografischen Inhalt haben, wobei drei dieser Dateien inhaltlich identische Dubletten der anderen drei Dateien sind.

17Dabei war der Senat nicht an die anderslautenden Feststellungen in dem seit dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom (...) gebunden. Zwar können der Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren nach § 84 Abs. 2 WDO die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellung ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Dies gilt auch für tatsächliche Feststellungen, die in einem Strafbefehlsverfahren getroffen wurden (vgl. 2 WD 11.18 - StE 2019, 341 Rn. 13). Die Möglichkeit der Übernahme von Tatsachenfeststellungen ohne weitere Beweiserhebung endet aber dann, wenn die Indizwirkung des Strafbefehls entkräftet wird (vgl. 2 B 14.14 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 10).

18Letzteres ist hier der Fall. Denn aus dem Auswertebericht vom , auf den der Strafbefehl gestützt worden ist, ergeben sich substantiierte Zweifel an der genannten Tatsachenfeststellung im Strafbefehl. So heißt es auf Seite 8 des Auswerteberichts, die verfahrensrelevanten Dateien seien textlich rot markiert. Textlich rot markiert wurden im Auswertebericht indes nur die in der Anschuldigungsschrift genannten Dateien Nrn. 1 bis 5, nicht hingegen die Dateien Nrn. 6 bis 9. Hinsichtlich der durch eine rote textliche Markierung als dem Grunde nach verfahrensrelevant eingestuften Dateien Nrn. 1 und 5 enthält der Auswertebericht ergänzende Angaben, die Zweifel an einem jugend- bzw. kinderpornografischen Inhalt hervorrufen. So heißt es im Auswertebericht zur Datei Nr. 1, die Darstellerin könne bereits erwachsen sein, was nach dem im Auswertebericht abgedruckten Screenshot zu dieser Datei möglich erscheint. Zur Datei Nr. 5 ist im Auswertebericht angemerkt, der Dateiname weise zwar auf Kinderpornografie hin, im Film seien aber keine pornografischen Darstellungen oder sexuellen Handlungen enthalten.

19Angesichts der dadurch hervorgerufenen Zweifel an einer Verfahrensrelevanz von sechs der neun in Rede stehenden Videodateien hat der Senat die Indizwirkung des Strafbefehls als insgesamt entkräftet angesehen und insoweit eigene Tatsachenfeststellungen getroffen. Dazu hat er ergänzend zum Auswertebericht und den darin enthaltenen Screenshots die in der Berufungshauptverhandlung in Augenschein genommenen weiteren Screenshots herangezogen, die der Zeuge P. - der die Videos in voller Länge gesichtet hat - von aussagekräftigen Szenen der einzelnen Filme gefertigt hat.

20Danach ist entsprechend dem Grundsatz "in dubio pro reo" davon auszugehen, dass die Datei Nr. 1 keinen jugendpornografischen Inhalt hat. Denn die Screenshots zu dieser Datei bilden nicht hinreichend sicher eine Jugendliche ab. Die asiatische Darstellerin könnte nach ihrem Entwicklungsstand und ihren Gesichtszügen im Zeitpunkt der Aufzeichnung bereits erwachsen gewesen sein. Die Datei Nr. 5 hat keinen kinderpornografischen Inhalt. Entsprechendes gilt für die Datei Nr. 9, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Datei Nr. 5 inhaltlich identisch ist. Die Screenshots zu diesen Dateien bilden ein bekleidetes Kind ohne sexuelle Bezüge ab.

21Demgegenüber stellen die Dateien Nrn. 2, 3 und 4 unzweifelhaft unbekleidete Mädchen unter 14 Jahren dar und haben eindeutig einen kinderpornografischen Inhalt. Entsprechendes gilt für die Dateien Nrn. 6, 7 und 8. Allerdings handelt es sich nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Erläuterungen des sachkundigen Zeugen P. bei der Datei Nr. 6 um eine Dublette der Datei Nr. 3, bei der Datei Nr. 7 um eine Dublette der Datei Nr. 4 und bei der Datei Nr. 8 um eine Dublette der Datei Nr. 2; diese Dubletten sind inhaltlich mit den jeweiligen Originaldateien identisch und wurden bei einem Löschen der Originaldateien auf der externen Festplatte automatisch erzeugt.

222. Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass der frühere Soldat entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts über die vom Inhalt her allein verfahrensrelevanten kinderpornografischen Dateien Nrn. 2, 3 und 4 und ihre Dubletten - die Dateien Nrn. 6, 7 und 8 - am in seiner Wohnung auf seiner externen Festplatte des Herstellers ... nicht (mehr) verfügte.

23Bei sachgerechter Auslegung der Anschuldigungsschrift, die auf den Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom gestützt ist, ist ungeachtet der Verwendung des mehrdeutigen Begriffs "verfügte" davon auszugehen, dass dem früheren Soldaten vorgeworfen wird, die betreffenden Dateien am in seiner Wohnung auf seiner externen Festplatte des Herstellers ... i.S.d. § 184b Abs. 4 Satz 2 und § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB in der Fassung vom (BGBl. I S. 2149) besessen zu haben.

24Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "besitzen" i. S. d. § 184b Abs. 4 Satz 2 und § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB kann auf die Rechtsprechung zu § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 12/3001, S. 6 zu § 184 Abs. 5 StGB a.F.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt Besitz i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. - BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Menge 24 Rn. 48). Bei Dateien entfällt der Besitz, wenn sie vollständig gelöscht werden (vgl. - NStZ 2007, 95 und Beschluss vom - 3 StR 113/18 - StV 2019, 336). Bestehen gelöschte Dateien an einem Speicherort fort, die dem durchschnittlichen Computerbesitzer nicht mehr ohne Weiteres zugänglich sind, so begründet dies mangels Aufrechterhaltung eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ebenfalls keinen Besitz mehr; dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Person über die Kenntnis und Fähigkeit verfügt, sie wiederherzustellen (vgl. - StV 2019, 336 Rn. 3). Zudem kann im Fall der Löschung von Dateien der diesbezügliche Besitzwille fehlen (vgl. - StV 2019, 336 Rn. 3).

25Ausgehend davon hat der frühere Soldat am in seiner Wohnung auf seiner externen Festplatte des Herstellers ... die in Rede stehenden Dateien nicht (mehr) in Besitz gehabt. Nach der Aussage des sachkundigen Zeugen P. und den dokumentierten Erzeugungs- und Änderungsdaten der Dateien auf der externen Festplatte des früheren Soldaten und auf seinem Laptop ist der Senat davon überzeugt, dass er die Originaldateien Nrn. 2, 3 und 4 auf seiner externen Festplatte über seinen daran angeschlossenen Laptop vor dem gelöscht hat. Mit der Löschung wurden diese Dateien auf der externen Festplatte in einen nicht mehr zugänglichen Bereich verschoben. Dabei wurden automatisch mit einem umbenannten Dateinamen (Dollarzeichen im Titel) die Dateien Nrn. 6, 7 und 8 als inhaltlich identische Dubletten im "Papierkorb" der externen Festplatte erzeugt und gespeichert. Diese Dubletten hätten nur mit einer Spezialsoftware zugänglich gemacht werden können. Zeitgleich mit der Löschung auf der externen Festplatte wurden die Dateien Nrn. 2, 3 und 4 automatisch mit ihren Originalbezeichnungen auf dem angeschlossenen Laptop im "Papierkorb" gespeichert, wo die Zeugin S. sie später entdeckte. Mangels Zugänglichkeit hat der frühere Soldat am über die Dateien Nrn. 2 bis 4 und Nrn. 6 bis 8 auf seiner externen Festplatte kein tatsächliches Herrschaftsverhältnis mehr ausgeübt. Zudem hat er durch die Löschung der Dateien Nrn. 2 bis 4 auf der externen Festplatte in Form der Verschiebung in einen nicht mehr zugänglichen Bereich der externen Festplatte zum Ausdruck gebracht, sie auf seiner externen Festplatte nicht mehr besitzen zu wollen. Sein fehlender Besitzwille erstreckt sich auch auf die beim Löschen auf der externen Festplatte automatisch erzeugten, nur mit einer Spezialsoftware zugänglichen Dateien Nrn. 6 bis 8.

263. Da ein früherer Besitz oder der Besitz auf einem anderen Medium nicht angeschuldigt waren, war der frühere Soldat freizusprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 3, § 139 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und § 140 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 WDO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:110919U2WD26.18.0

Fundstelle(n):
EAAAH-33488