Anforderungen an eine Fristenkontrolle in einem Anwaltsbüro
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 574 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 575 ZPO
Instanzenzug: Hanseatisches Az: 5 U 164/16vorgehend Az: 315 O 159/14nachgehend Hanseatisches Az: 5 U 164/16 Urteil
Gründe
1I. Das Landgericht hat die beiden Beklagten in einer kennzeichenrechtlichen Streitigkeit zur Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie den Beklagten zu 1 (im Weiteren: Beklagten) zur Rechnungslegung verurteilt. Der Beklagte hat gegen das ihm am zugestellte Teilurteil am Montag, dem Berufung eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie mit einem weiteren Schriftsatz die Berufung begründet. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsschrift bereits am Freitag, dem gefertigt und seiner Bürovorsteherin mit der Anweisung übergeben, die Berufung nicht erst bei Fristablauf, sondern unverzüglich einzureichen sowie vorab per Fax zu übersenden. Wegen einer Erkrankung habe die Bürovorsteherin am Montag, dem nicht ins Büro kommen und die Berufungsschrift nicht - wie von ihr beabsichtigt - an diesem Tag selbst in den Fristbriefkasten bei Gericht einwerfen können. Am habe sich der Prozessbevollmächtigte aus dem Urlaub telefonisch versichert, dass die im Fristenkalender für den notierte Berufungsfrist gestrichen sei. In der Fristenordnung sei festgelegt, dass eine Frist erst gestrichen werden dürfe, wenn entweder die Faxbestätigung oder ein Vermerk der Bürovorsteherin vorliege, dass die Berufung fristwahrend in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen worden sei. Bei der Vorbereitung der Berufungsbegründung sei am aufgefallen, dass sich die Berufungsschrift zusammen mit den Abschriften noch in der Akte befunden und weder ein Faxprotokoll noch ein Vermerk über den Einwurf im Fristbriefkasten des Gerichts vorgelegen habe. Die Bürovorsteherin arbeite seit 30 Jahren im Büro seines Prozessbevollmächtigten. Bei den regelmäßig erfolgten Überprüfungen ihrer Arbeit sei es nie zu Beanstandungen gekommen.
2Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
3II. Das Berufungsgericht hat die vom Beklagten begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, dessen Verschulden dieser sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, habe die Berufungsfrist schuldhaft versäumt. Die Fristversäumung beruhe nicht lediglich auf dem individuellen Versagen ansonsten zuverlässiger Mitarbeiterinnen, sondern auf einem Mangel bei der Organisation und Überwachung der den Mitarbeiterinnen übertragenen Versendung fristwahrender Schriftsätze im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Es stelle einen erheblichen Mangel der Kanzleiorganisation dar, wenn nicht allgemein vorab geregelt sei, wie zu verfahren sei, wenn eine Mitarbeiterin plötzlich erkranke, der eine eilige fristgebundene Handlung übertragen worden sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, welche konkrete Person wann die Berufungsfrist im Fristenkalender gestrichen habe. Das stelle einen weiteren Organisationsmangel dar. Schließlich sei gegen die Anweisung verstoßen worden, die Berufung sowohl per Telefax als auch im Original einzureichen und die Frist im Fristenkalender erst zu streichen, wenn ein entsprechendes Faxprotokoll oder eine Mitteilung über den Einwurf in den Gerichtsbriefkasten vorliegt. Damit hätten sich insgesamt Organisationsmängel in einem Ausmaß offenbart, dass die Fristversäumung nicht mehr allein mit individuellen Fehlleistungen einer ansonsten zuverlässigen Mitarbeiterin erklärt werden könne. Es hätten sich vielmehr grundlegende Fehler in der Kanzleiorganisation gezeigt.
4III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
51. Die Rechtsbeschwerde ist allerdings gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, den Erfordernissen des § 575 ZPO entsprechend form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
6a) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die dem Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002, 1004 [juris Rn. 17] mwN; , NJW-RR 2017, 1140 Rn. 7 mwN) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO (vgl. , NJW 2004, 367, 368 [juris Rn. 6]). Der Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt (vgl. , NJW 2016, 874 Rn. 10 mwN).
7b) Die Würdigung des Berufungsgerichts, ein Organisationsverschulden liege bereits darin, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine Vertretungsregelung für den Krankheitsfall fehle, übersieht, dass dieser Umstand wegen der frühzeitigen Anfertigung der Berufungsschrift und der konkreten Einzelanweisung, diese umgehend zu Gericht zu befördern, für die Fristversäumung nicht kausal war. Die Rechtsbeschwerde weist weiter zutreffend darauf hin, dass ein Organisationsverschulden entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch nicht darin liegt, dass nicht nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristüberwachung verantwortlich gewesen wäre (vgl. dazu , NJW 2007, 1453 Rn. 13) und sich daher nicht mehr nachvollziehen lasse, welche Person wann und aus welcher Veranlassung die Frist im Fristenkalender gelöscht habe. Aus dem gesamten Vortrag des Beklagten und der zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin Ö. seines Prozessbevollmächtigten ergibt sich zumindest konkludent, dass allein die Bürovorsteherin für die Fristüberwachung zuständig war und auch nur sie die Frist gelöscht haben kann.
82. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 577 Abs. 3 ZPO) und die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass er ohne Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten.
9a) Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange die Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen (vgl. , juris Rn. 5).
10b) Die Prozessbevollmächtigten einer Partei haben durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6). Der Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze kommen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nur nach, wenn sie ihre Angestellten anweisen, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (vgl. , NJW-RR 2016, 636 Rn. 7; Beschluss vom - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 28, jeweils mwN). Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine bürointerne Anordnung, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals abschließend selbständig geprüft wird (st. Rspr., vgl. nur , NJW 2016, 1742 Rn. 10 mwN). Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern hat vielmehr auch den Zweck, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (BGH, NJW 2016, 1742 Rn. 10; , juris Rn. 10; Beschluss vom - VIII ZB 20/17, NJOZ 2017, 1643 Rn. 7, jeweils mwN).
11c) Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro seines Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen waren, die eine solche effektive Ausgangskontrolle gewährleisteten. Den Darlegungen in seinem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass in dem Büro eine Anweisung bestand, die sicherstellte, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wurde. Der Beklagte behauptet lediglich, es habe die - insofern allerdings vorgelagerte - Anweisung bestanden, Fristen erst zu löschen, wenn ein Faxprotokoll vorliege oder ein Vermerk, dass die Berufung fristwahrend in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen worden sei. Vortrag dazu, dass die Einhaltung dieser Anweisung im Büro seines Prozessbevollmächtigten durch eine allabendliche Ausgangskontrolle im Sinne der Rechtsprechung überprüft werde, fehlte im Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten.
12Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten dazu nicht verhält, ohne Weiteres den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. BGH, NJW 2016, 874 Rn. 16; NJW 2016, 1742 Rn. 11 mwN). Eines Hinweises des Senats nach § 139 ZPO bedarf es insoweit nicht (vgl. BGH, NJW 2016, 874 Rn. 16).
13d) Dieser Organisationsmangel war für die Fristversäumung ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten die Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiterinnen (vgl. hierzu , NJW 2016, 873 Rn. 11 mwN) die Berufungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Berufungsschrift tatsächlich abgesandt worden war, hätte vor Ablauf der nach dem Vortrag des Beklagten im Fristenkalender ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsfrist auffallen müssen, dass die Berufungsschrift sich im Original noch in der Akte befand und ein Faxprotokoll nicht vorlag.
14e) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen solcher organisatorischer Maßnahmen nicht deswegen unerheblich, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seiner Bürovorsteherin eine konkrete Einzelanweisung erteilt hatte. Ob eine Einzelanweisung organisatorische Maßnahmen entbehrlich macht, hängt entscheidend vom Inhalt der Einzelanweisung und dem Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen ab.
15aa) Weicht der Prozessbevollmächtigte von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die schon für sich genommen eine Fristwahrung gewährleisten, sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (vgl. BGH, NJW 2016, 1742 Rn. 12 mwN). Eine solche Weisung hat der Beklagte im Wiedereinsetzungsverfahren nicht dargelegt.
16bb) Anders ist es hingegen, wenn die Einzelanweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegen zu wirken. So liegt der Fall auch, wenn - wie hier - die Anweisung nur darin besteht, die Übermittlung eines Schriftsatzes unverzüglich per Telefax und im Original zu veranlassen. Es fehlt dann an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig, dass Anweisungen darüber bestehen, unter welchen Voraussetzungen eine Frist als erledigt vermerkt werden darf. Bestehen sie nicht, entlastet es den Prozessbevollmächtigten nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt, eine sofortige Übermittlung per Telefax und im Original anzuordnen (vgl. BGH, NJW 2004, 367, 369 [juris Rn. 13]; NJW 2016, 874 Rn. 14 und 15).
17Danach ist ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch nicht deshalb abzulehnen, weil ihm vor Ablauf der Berufungsfrist telefonisch mitgeteilt worden ist, die Frist sei gelöscht. Mangels der erforderlichen allabendlichen Ausgangskontrolle war dieser Kontrollanruf nicht geeignet sicherzustellen, dass die Frist tatsächlich erst nach Erledigung gelöscht und die Berufungsschrift mithin fristwahrend übermittelt worden war.
18IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
19Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO. Ausgehend von einem vom Landgericht festgesetzten Streitwert in Höhe von 100.000 € war zu berücksichtigen, dass die Klageanträge zu Ziffer 2 und 3 in erster Instanz erfolglos geblieben sind und die Einwilligung in die Löschung der Marke nur den Beklagten zu 2 betrifft.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:240119BIZB47.18.0
Fundstelle(n):
YAAAH-32573