Zulässigkeit eines Beweisantrags bei Behauptung einer Beweistatsache
Gesetze: § 244 Abs 3 StPO, § 244 Abs 4 StPO
Instanzenzug: LG Offenburg Az: 503 Js 9177/17 - 2 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf Formalrügen und auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Revision hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen versagen. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat im Hinblick auf die Verfahrensrüge fehlerhafter Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens:
3Zwar begegnet die Begründung, mit der das Landgericht den Anträgen des Angeklagten auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass „eine Zahl von fünf bis sechs Schlägen mit der Hand in das Gesicht einer anderen Person Spuren [...] hinterlasse, die auch nach einem Zeitraum von vier bis sechs Stunden [...] noch sichtbar sein müssen“ bzw. dass „ein gewaltsames Eindringen in die Vagina einer Frau mit zwei Fingern innere Verletzungen [...]“ zur Folge habe, die auch nach vier bis sechs Stunden „noch sichtbar sein müssen“, die Qualität eines Beweisantrags abgesprochen hat, rechtlichen Bedenken.
4Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 und 4 StPO erfordert inhaltlich die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht ausreichend ist die Benennung eines Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll.
5Ob der Antragsteller eine hinreichend konkretisierte Beweisbehauptung aufstellt, ist erforderlichenfalls durch Auslegung des Antrags nach seinem Sinn und Zweck zu ermitteln. Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbehauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akteninhalts zu beurteilen. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere für einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen (vgl. , NStZ 2016, 116; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 96 mwN).
6Gemessen hieran enthält das Beweisbegehren des Antragstellers die hinreichend bestimmte Behauptung einer dem Beweis zugänglichen Tatsache bzw. eines Erfahrungssatzes (vgl. LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 95). Zwar erweckt die Formulierung des Antrags für sich genommen den Eindruck, der Angeklagte behaupte lediglich ein Beweisziel und benenne in seiner Antragsbegründung - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift hingewiesen hat - nicht ausdrücklich, aufgrund welcher konkreten Anknüpfungstatsachen der als Beweismittel benannte Sachverständige sein Gutachten erstatten soll. Dem Antragsvorbringen in Verbindung mit dem übrigen Akteninhalt lässt sich jedoch hinreichend klar entnehmen, dass der Antragsteller - ausgehend von dem in den Akten dokumentierten Befund, dass wenige Stunden nach der Anzeige der verfahrensgegenständlichen Tat Verletzungsspuren nicht festgestellt worden sind - den Sachverständigen zum Beweis des Erfahrungssatzes hören will, dass aus rechtsmedizinischer Sicht unter Zugrundelegung des von dem Tatopfer geschilderten Geschehens sichtbare Verletzungsspuren zu erwarten wären.
7Auf der verfahrensfehlerhaften Behandlung der Beweisanträge als Beweisermittlungsanträge beruht das Urteil unter den hier gegebenen Umständen jedoch nicht.
8Das Landgericht hat die Anträge unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) geprüft und die begehrte Beweiserhebung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt; zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, dass es die im Beweisantrag bezeichneten Anknüpfungstatsachen, wonach der Angeklagte der Geschädigten „5 bis 6 Schläge“ versetzt habe bzw. die vaginale Penetration mit den Fingern „gewaltsam“ erfolgt sei, nicht feststellen werde. Mit dieser knappen, aber tragfähigen Begründung hat das Landgericht zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass es diejenigen Tatsachen, auf die sich der Sachverständige nach dem Inhalt der Beweisanträge stützen müsste, als Beweisgrundlage bereits ausgeschlossen hat. Die Ablehnung der Beweisanträge wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels (vgl. , NStZ 2018, 300; LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 238 mwN) lag sonach auf der Hand.
9Eine Verletzung des Beweisantragsrechts rührt auch nicht aus einem möglichen Widerspruch zwischen den schriftlichen Urteilsgründen und der Begründung für die Antragsablehnung (vgl. , NStZ 2019, 103). Das Landgericht hat seinen Feststellungen die polizeilichen Angaben des Tatopfers zugrunde gelegt, wonach der Angeklagte ihr im Verlaufe des Tatgeschehens zwei Ohrfeigen versetzt habe. Soweit das Tatopfer erstmals in der Hauptverhandlung angegeben hatte, der Angeklagte habe ihr im Verlaufe des Tatgeschehens fünf bis sechs Schläge versetzt, hat sich die Kammer mit diesen Angaben auseinandergesetzt und hat sie ihren Feststellungen mit tragfähiger Begründung nicht zugrunde gelegt. Dass die vaginale Penetration unmittelbar unter Einsatz körperlicher Gewalt erfolgte, so dass unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung sichtbare Verletzungen zu erwarten wären, hat das Landgericht nicht festgestellt.
102. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Auf der Grundlage der Feststellungen kann nicht geprüft und entschieden werden, ob das Landgericht im Ergebnis zu Recht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit den (Geld-)Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom gemäß § 55 StGB abgesehen hat. Feststellungen zum Vollstreckungsstand der Strafe aus dieser grundsätzlich gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung fehlen. Den Urteilsgründen kann auch nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob das Landgericht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen hat, weil der Angeklagte die verfahrensgegenständliche Tat zeitlich zwischen zwei ihrerseits gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen begangen hat.
11a) Ist die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 204/16, StV 2018, 411; vom - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276; vom - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 und vom - 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193). Einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB steht in diesem Fall die von der ersten Vorverurteilung ausgehende Zäsurwirkung entgegen. Sie entfiele nur, wenn die der ersten Vorverurteilung zugrundeliegende Strafe bereits vor der zweiten Vorverurteilung - etwa infolge vollständiger Vollstreckung der Strafe - erledigt wäre (vgl. , BGHR StPO § 460 Anwendung 1). Ist dies nicht der Fall, so kommt der zweiten Vorverurteilung, wenn die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. , NStZ-RR 2014, 74). Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. , NStZ-RR 2016, 275 mwN).
12b) Der Angeklagte war vor Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat am durch Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom wegen einer am begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden. Außerdem war er - zeitlich nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat am - mit Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden; die Taten, die dieser Verurteilung zugrunde lagen, hat der Angeklagte am und damit zeitlich vor dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom begangen. Feststellungen dazu, dass sich die Vorverurteilungen tatsächlich gesamtstrafenfähig gegenüberstanden, sind den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen.
13Bei dieser Sachlage kann nicht geprüft und entschieden werden, ob eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung tatsächlich ausschied oder rechtsfehlerfrei unterblieben ist. Auch in Ansehung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, der zwar einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht, aber Schulden hat, kann eine Beschwer des Angeklagten durch eine möglicherweise fehlerhaft unterbliebene Gesamtstrafenbildung nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Da auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht einen Härteausgleich vorzunehmen hat, war die für sich genommen rechtsfehlerfrei verhängte Strafe von drei Jahren aufzuheben. Die Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind möglich; sie dürfen den bisher getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.
14Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:100419B4STR25.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 168 Nr. 3
NAAAH-32085