BSG Beschluss v. - B 3 P 19/13 B

(Pflegeversicherung - Vertragspartei nach § 85 Abs 2 S 1 SGB 11)

Gesetze: § 85 Abs 2 S 1 SGB 11, § 43 Abs 2 S 1 SGB 11

Instanzenzug: Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 6 P 16/11 KL Urteil

Gründe

1I. Der klagende Landkreis wendet sich in seiner Funktion als örtlicher Sozialhilfeträger gegen einen den Zeitraum vom bis zum betreffenden Schiedsspruch der beklagten Schiedsstelle vom , mit dem einem Verlangen des Beigeladenen zu 1. auf Erhöhung der Pflegesätze für das von ihm betriebene Alten- und Pflegeheim S in vollem Umfang stattgegeben worden ist. Dem Angebot des Klägers und der Beigeladenen zu 2. und 3. als Kostenträger (Pflegestufe I 37,66 Euro, Pflegestufe II 50,49 Euro, Pflegestufe III 65,89 Euro) stand eine Forderung des Beigeladenen zu 1. (Pflegestufe I 40,35 Euro, Pflegestufe II 54,27 Euro, Pflegestufe III 70,96 Euro) gegenüber, die im Wesentlichen mit einer Umsetzung der aktuellen Tarifabschlüsse nach den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR) im Bereich der Regionalkommission Ost begründet wurde. Die Beklagte hat das Erhöhungsverlangen des Beigeladenen zu 1. uneingeschränkt für gerechtfertigt erachtet, obwohl das Pflegeheim mit seinen Pflegesätzen (bis Pflegestufe I 37,17 Euro, Pflegestufe II 49,82 Euro, Pflegestufe III 65 Euro) ohnehin schon an der Spitze aller Pflegeheime in Mecklenburg-Vorpommern stand. Das LSG hat die Klage gegen den Schiedsspruch abgewiesen (Urteil vom ), weil die Forderungen der Beigeladenen zu 1. auf der Grundlage der vom BSG entwickelten Prinzipien zur Berechnung und Festsetzung neuer Pflegesätze nicht zu beanstanden seien. Der Kläger sei aus Gründen des Vertrauensschutzes für das vorliegende Verfahren als prozessführungsbefugt und aktivlegitimiert anzusehen, obgleich er gar nicht Partei der Pflegesatzvereinbarung nach § 85 Abs 2 SGB XI hätte sein dürfen. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der Kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern (KSV), in seiner Funktion als landesrechtlich für den Abschluss von Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 Abs 2 SGB XI zuständiger überörtlicher Sozialhilfeträger die Pflegesatzvereinbarung selbst abschließen müssen. Diese ursprünglich auch von der Beklagten vertretene, nach einem Wechsel in der Person des Vorsitzenden aber aufgegebene Auffassung habe zu der rechtswidrigen, aus Gründen des Vertrauensschutzes aber hier noch hinzunehmenden mehrjährigen Praxis geführt, den örtlichen Sozialhilfeträger als Partei der Pflegesatzvereinbarung nach § 85 Abs 2 SGB XI anzusehen.

2Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Der KSV hat als überörtlicher Sozialhilfeträger, der nach Ansicht des LSG die Pflegesatzvereinbarung als Partei hätte abschließen müssen, ebenfalls Beschwerde eingelegt (Schriftsatz vom ), will diese aber ausweislich der Beschwerdebegründung (Schriftsatz vom ) nur "hilfsweise", also für den Fall der Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde des Klägers, zur Entscheidung stellen.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der durch § 160 Abs 2, § 160a Abs 2 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1, § 169 SGG). Der Kläger weist zwar auf gesetzliche Zulassungsgründe hin, nämlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), auf Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie auf Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), jedoch sind diese Zulassungsgründe nicht so dargelegt worden, wie § 160a Abs 2 S 3 SGG dies verlangt.

41. Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muss erläutert werden, dass und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsfähig und klärungsbedürftig ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13), im Falle der Revisionszulassung also entscheidungserheblich wäre (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Klärungsbedürftigkeit ist grundsätzlich nicht (mehr) gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage höchstrichterlich bereits entschieden ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Um eine fortbestehende Klärungsbedürftigkeit darzutun, muss in solchen Fällen unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung des BSG substantiiert vorgetragen werden, dass neue, bisher noch nicht berücksichtigte Argumente bestehen oder dass gegen die Entscheidung des BSG von dritter Seite, etwa im Schrifttum, in nicht unerheblichem Umfang Kritik vorgebracht worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). Diese Anforderungen betreffen die gesetzliche Form iS von § 169 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Ihnen genügen die Darlegungen des Klägers nicht.

5a) Der Kläger hat - sinngemäß - folgende Rechtsfrage aufgeworfen: Erlaubt die bundesrechtliche Regelung des § 85 Abs 2 SGB XI einem Landesgesetzgeber, allein den überörtlichen Sozialhilfeträger als Partei der Pflegesatzvereinbarung zu bestimmen und die örtlichen Sozialhilfeträger von dieser Funktion auszuschließen? Damit hat der Kläger zwar eine konkrete Rechtsfrage formuliert; es fehlt jedoch an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Fall. Die aufgeworfene Rechtsfrage betrifft nur die Prozessführungsbefugnis und die Aktivlegitimation des Klägers, die vom LSG lediglich für künftige Verfahren, nicht aber für das vorliegende Verfahren in Abrede gestellt worden sind. Die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage würde also nur für künftige Fälle dieser Art, aber nicht für den vorliegenden Fall zu einem rechtlichen Vorteil führen. Es fehlt daher an der Darlegung, dass das BSG nur bei Klärung der gestellten Rechtsfrage über die Klage gegen den Schiedsspruch vom entscheiden könnte.

6b) Unabhängig davon gibt der Fall aber Anlass zu folgendem Hinweis: Nach § 85 Abs 2 S 1 SGB XI sind Parteien der Pflegesatzvereinbarung (Vertragsparteien) der Träger des einzelnen zugelassenen Pflegeheimes sowie (Nr 1) die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger, (Nr 2) die für die Bewohner des Pflegeheimes zuständigen Träger der Sozialhilfe sowie (Nr 3) die Arbeitsgemeinschaften der unter Nr 1 und 2 genannten Träger, soweit auf den jeweiligen Kostenträger oder die Arbeitsgemeinschaft im Jahr vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen jeweils mehr als 5 vH der Berechnungstage des Pflegeheimes entfallen. Damit hat der Bundesgesetzgeber die Frage der Vertragspartnerschaft für die Pflegesatzvereinbarungen abschließend geregelt: Vertragspartei kann auf Trägerseite nur sein, wer die Kosten für die Heimpflege und die anderen in § 43 Abs 2 S 1 SGB XI genannten Leistungen von in dem betreffenden Pflegeheim lebenden Pflegebedürftigen unmittelbar selbst trägt und dabei das Quorum von 5 vH der Belegungstage überschreitet; den einzelnen Trägern gleichgestellt sind die von ihnen gebildeten Arbeitsgemeinschaften. Eine Behörde oder sonstige Einrichtung, die diese Anforderungen nicht selbst erfüllt, kann von einem Landesgesetzgeber zwar zum Vertreter des einzelnen Trägers der Sozialhilfe oder einer Arbeitsgemeinschaft bei Aushandlung und Abschluss der Pflegesatzvereinbarung bestimmt werden, nicht aber selbst die Funktion als Vertragspartei übertragen bekommen. Vertragspartei bleibt nach § 85 Abs 2 S 1 SGB XI in solchen Fällen der Vertretene. Da im Jahr vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen, also 2010, nach der Strukturübersicht des Beigeladenen zu 1. vom auf den Kläger 5073 = 16,95 % der Berechnungstage entfielen, auf den KSV als überörtlichen Sozialhilfeträger aber kein Berechnungstag, konnte nur der Kläger Vertragspartner der Pflegesatzvereinbarung sein.

72. Eine Divergenz des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist ebenfalls nicht formgerecht dargetan. Dazu hätte dargelegt werden müssen, dass das LSG einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem anderen Rechtssatz aufgestellt hat, den eines der vorgenannten Gerichte entwickelt und angewandt hat, und dass die Entscheidung des LSG auf dieser Divergenz beruht. Hierzu ist notwendig, den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten und die Unvereinbarkeit mit einem Rechtssatz des BSG aufzuzeigen. Eine Abweichung liegt indes nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt oder angewandt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67). Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

8Der Kläger legt nicht dar, dass das LSG von der Rechtsprechung des - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, B 3 P 9/07 R, B 3 P 6/08 R und B 3 P 9/08 R, Urteil vom - B 3 P 2/12 R - SozR 4-3300 § 85 Nr 4, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) bewusst abgewichen ist und einen eigenen Rechtssatz zur Prüfung der Leistungsgerechtigkeit und wirtschaftlichen Angemessenheit von geforderten Pflegesätzen aufgestellt hat, sondern er wirft dem LSG nur vor, die - in dem angefochtenen Urteil sogar ausdrücklich zitierte (Urteilsumdruck S 16 unten) - Rechtsprechung des BSG fehlerhaft interpretiert und somit unrichtig angewandt zu haben. Damit wird lediglich die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall, nicht aber die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen vorgetragen.

9Im Übrigen bleibt anzumerken, dass eine bewusste Abweichung vom ergänzenden Urteil des Senats vom - B 3 P 2/12 R (SozR 4-3300 § 85 Nr 4, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) schon deshalb nicht vorliegen kann, weil das LSG-Urteil bereits am erlassen worden ist.

103. Ein Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist nur dann formgerecht bezeichnet, wenn die ihn begründenden Tatsachen im Einzelnen angegeben sind und - in sich verständlich - den behaupteten Verfahrensfehler ergeben; außerdem muss dargelegt werden, warum die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht.

11a) Die Rüge, das LSG habe erstmals in der mündlichen Verhandlung am seine Auffassung über die Auslegung des § 85 Abs 2 S 1 SGB XI und des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SGB XII-AG M-V) vom offenbart und die Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation der örtlichen Sozialhilfeträger in Zweifel gezogen, kann nicht als Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (§ 106 Abs 1 SGG sowie § 202 SGG iVm § 139 Abs 2 S 1 ZPO) gewertet werden, weil das LSG zum einen in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gegeben hat, zu diesem Problem Stellung zu nehmen, und zum anderen aus seinen Zweifeln keine negativen Folgen für das vorliegende Verfahren gezogen hat. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 EMRK) scheidet deshalb auch aus.

12b) Die Rüge der unterlassenen notwendigen Beiladung des KSV (§ 75 Abs 2 SGG) hätte die Darlegung erfordert, dass die Entscheidung über die erhobene Klage nur gegenüber dem Kläger und dem KSV einheitlich hätte ergehen können. Dies war aber gerade nicht der Fall, weil die - aus Sicht des LSG an sich gegebene - Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation des KSV im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserhebliche Rolle spielte.

13III. Die Nichtzulassungsbeschwerde des KSV ist schon deshalb unzulässig, weil er am Verfahren vor dem LSG nicht als Kläger, Beklagter oder Beigeladener beteiligt war, er durch den Ausspruch im Urteilstenor nicht betroffen ist und er im Berufungsverfahren auch keinen Antrag auf notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) gestellt hatte. Es fehlt daher an der erforderlichen Beschwer durch das LSG-Urteil (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160a RdNr 2c und Vorbemerkung zu § 143, RdNr 4 und 4a).

14IV. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 161 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO.

152. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 und 3 GKG. Streitig war eine aus dem Angebot der Kostenträger (Gesamtvolumen der Pflegesätze für 12 Monate 1 839 357,79 Euro) und dem Schiedsspruch (Gesamtvolumen 1 954 501,42 Euro) sich ergebende Differenz von 115 143,63 Euro. Da auf den Kläger ein Anteil von 16,95 % aller Belegungstage entfiel, beläuft sich sein wirtschaftliches Interesse auf 19 516,84 Euro (16,95 % von 115 143,63 Euro). Die Zeit bis zum Abschluss einer neuen Pflegesatzvereinbarung ist nicht in die Streitwertbemessung einzubeziehen, weil nur die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs selbst Streitgegenstand ist und dieser zwölf Monate umfasste ( bis ).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:140214BB3P1913B0

Fundstelle(n):
CAAAH-25461