BSG Beschluss v. - B 9 V 18/16 B

(Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Erwerbsunfähigkeit nach § 31 BVG aF bei voller Erwerbsminderung nach SGB 6 - Klärungsbedürftigkeit - Schilderung des Sachverhalts nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Fragerecht an einen gehörten Sachverständigen - Amtsermittlungspflicht - Anhörung eines bestimmten Arztes - Darlegungsanforderungen)

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 103 SGG, § 109 SGG, § 163 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, § 31 BVG vom , § 43 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 6, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Dresden Az: S 13 VE 28/09 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 6 VE 1/13 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger begehrt Rente nach einem höheren Grad der Schädigungsfolgen aufgrund rechtsstaatswidriger Haft und Verfolgung in der ehemaligen DDR.

2Das beklagte Land erkannte beim Kläger zunächst nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) ab eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 (Bescheid vom ) an.

3Dem Widerspruch des Klägers half das beklagte Land nach medizinischen Ermittlungen teilweise ab. Es erkannte als Schädigungsfolgen eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Änderung der Persönlichkeit nach Extrembelastung, Agoraphobie im Sinne der Entstehung sowie eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers an und erhöhte den GdS auf 50 (Teil-Abhilfebescheid vom ). Im Übrigen blieb der Widerspruch ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ).

4Im vom Kläger angestrengten Klageverfahren beim SG erkannte das beklagte Land weitere Schädigungsfolgen sowie einen GdS von 60 an. Die darüber hinausgehende Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom ).

5Das LSG hat die auf Anerkennung eines GdS von 100 gerichtete Berufung des Klägers nach medizinischen Ermittlungen zurückgewiesen. Ein höherer GdS ergebe sich weder aus den eingeholten medizinischen Gutachten noch aus dem Umstand, dass der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB VI beziehe.

6Der Kläger hat dagegen Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und geltend gemacht, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt, einen Gehörsverstoß begangen und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

7II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel (1.) noch die angebliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

81. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Daran fehlt es hier.

9a) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in Gestalt des Fragerechts an die vom Gericht gehörte Sachverständige (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) verletzt habe, entsprechen seine Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen. Unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht den Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten ( - NJW 1998, 2273 = Juris RdNr 11; vgl auch - Juris RdNr 6; - NJW 1998, 162, 163 = Juris RdNr 10 - alle mwN). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein.

10Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger macht geltend, sein Gehör sei verletzt worden, weil die Sachverständige seine Nachfrage, warum die psychiatrische Exploration als Grundlage für ihr Gutachten nicht in Gegenwart seiner Ehefrau habe stattfinden können, nicht beantwortet habe. Indes geht die Beschwerde nicht näher darauf ein, dass die Sachverständige mit Schriftsatz vom auf die Nachfrage des Klägers geantwortet hat, die Anwesenheit Dritter bei psychiatrischen Begutachtungen sei sehr problematisch und zum Beleg einen Fachaufsatz beigefügt hatte. Diese Aussage bezog sich nach ihrem Kontext ersichtlich auch auf die spezielle Situation des Klägers. Angesichts dessen fehlt es an der Darlegung, warum trotz dieser schriftlichen Antwort der Sachverständigen der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in Gestalt seines Fragerechts an die Sachverständige verletzt sein sollte. Dieser Anspruch verpflichtete das Gericht nicht, dem Rechtsstandpunkt des Klägers zu folgen und seiner Forderung einer psychiatrischen Exploration in Anwesenheit seiner Ehefrau nachzukommen. Ohnehin räumt die Beschwerde selber ein, die Anwesenheit dritter Personen während Exploration und Untersuchung sei grundsätzlich kontraproduktiv und könne den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören.

11b) Ebenso wenig substantiiert dargelegt hat die Beschwerde den behaupteten Verstoß des Gerichts gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Einen solchen Beweisantrag gestellt zu haben behauptet der Kläger selber nicht. Der von der Beschwerde referierte Antrag nach § 109 SGG genügt insoweit nicht, weil ein solcher Antrag nicht automatisch einen Beweisantrag nach § 103 SGG enthält ( - mwN). Soll das vorinstanzliche Gericht vorrangig zu eigenen Ermittlungen veranlasst und das Antragsrecht nach § 109 SGG nur hilfsweise in Anspruch genommen werden, muss der Kläger dies durch Stellung eines auf ein Gutachten nach § 109 SGG gerichteten Hilfsantrag deutlich machen und dem Gericht im Übrigen vor Augen führen, dass aus seiner Sicht wesentliche Fragen tatsächlicher Art offengeblieben sind und eine Beweiserhebung im Rahmen der Amtsermittlungspflicht geboten ist (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 743 mwN). Dies getan zu haben hat der Kläger mit seiner Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Auf die von der Beschwerde behauptete, angebliche Verletzung von § 109 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach der ausdrücklichen Anordnung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG im Übrigen nicht gestützt werden.

12Soweit die Beschwerde schließlich meint, das vom LSG eingeholte Gutachten sei unbrauchbar bzw unverwertbar gewesen, weil die psychiatrische Exploration des Klägers gescheitert und das Gutachten deshalb nach Aktenlage erstellt worden ist, wendet es sich gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN).

132. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). An diesen Darlegungen fehlt es hier.

15Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

16Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

17Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:210616BB9V1816B0

Fundstelle(n):
RAAAH-25375