BSG Urteil v. - B 10 EG 6/09 R

(Erziehungsgeldanspruch - nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - § 1 Abs 6 BErzGG idF vom - Aufenthaltserlaubnis - Beschäftigungserlaubnis - Erwerbsberechtigung - Erwerbstätigkeit - sozialgerichtliches Verfahren - Behörde - Beteiligtenfähigkeit - Prozessführungsbefugnis)

Gesetze: § 1 Abs 1 BErzGG vom , § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG vom , § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG vom , § 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG vom , § 4 Abs 2 S 1 AufenthG 2004, § 4 Abs 2 S 2 AufenthG 2004, § 4 Abs 3 AufenthG 2004, § 25 Abs 1 S 4 AufenthG 2004, § 25 Abs 2 S 2 AufenthG 2004, § 25 Abs 5 AufenthG 2004, § 70 Nr 3 SGG

Instanzenzug: SG Aachen Az: S 13 EG 1/08 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 13 EG 69/08 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Bundeserziehungsgeld (BErzg) für den Teilzeitraum vom bis des zweiten Lebensjahres seiner am geborenen Zwillinge Y. und H. hat.

2Der 1973 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste Anfang Dezember 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am Asyl. Nachdem sein Asylantrag am bestandskräftig abgelehnt worden war, wurde sein Aufenthalt ab dem geduldet. Am wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet". Dieser Zusatz wurde später dahin geändert, dass eine Beschäftigung jeder Art gestattet sei. Ab dem übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus.

3Die Anträge des Klägers auf Gewährung von BErzg für das zweite Lebensjahr seiner am geborenen Zwillinge Y. und H. wurden mit der Begründung abgelehnt, der Kläger besitze zwar eine Aufenthaltserlaubnis iS des § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG), er erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 3 Buchst a und b BErzGG (Bescheide des Versorgungsamtes Aachen vom in der Gestalt der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom ).

4Während des nachfolgenden Klageverfahrens wurde dem Kläger im Hinblick auf die ab ausgeübte geringfügige Beschäftigung von diesem Zeitpunkt an bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres der Zwillinge BErzg gewährt (Bescheide der Beklagten vom ). Die auf Gewährung von BErzg für den Teilzeitraum vom bis des zweiten Lebensjahres seiner beiden Kinder gerichteten Klagen hat das Sozialgericht Aachen (SG) zunächst verbunden (Beschluss vom ) und dann abgewiesen (Urteil vom ). Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom ). Es hat ua ausgeführt:

5Der Kläger erfülle in dem Zeitraum vom bis die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG (idF des Gesetzes vom <BGBl I 2915>) schon deshalb nicht, weil ihm mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am noch nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt gewesen sei. Ausländer dürften nach § 4 Abs 3 Satz 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtige. Es bestehe ein gesetzliches Beschäftigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Nach § 4 Abs 2 Satz 1 AufenthG berechtige ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern dies "nach diesem Gesetz" bestimmt sei oder der Aufenthaltstitel dies ausdrücklich erlaube. Aus dem Aufenthaltstitel müsse nach § 4 Abs 2 Satz 2 AufenthG hervorgehen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt sei.

6Da eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige, habe der Kläger einer ausdrücklichen Erlaubnis bedurft. Eine solche sei ihm am nicht erteilt worden. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sei zunächst nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet worden. Bis zur Erteilung der Zustimmung habe der Kläger nicht rechtmäßig erwerbstätig sein können. Dementsprechend habe der Kläger auch diese Nebenbestimmung ändern lassen, bevor er am tatsächlich eine Beschäftigung angetreten habe. Wann diese Änderung vorgenommen worden sei, sei nicht mehr feststellbar gewesen.

7Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die tatsächliche Erteilung des Aufenthaltstitels maßgebend, der bereits zu Beginn des Leistungszeitraums vorliegen müsse. Nachdem nunmehr die Ausländerbehörde auch über die Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit entscheide, gälten diese Grundsätze auch für diese Erlaubnis. Die von § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG geforderte Aufenthaltserlaubnis besitze ein Ausländer deshalb erst, wenn tatsächlich in dem Aufenthaltstitel die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werde.

8Ohne Bedeutung sei, dass dem Kläger schon bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs 1 Nr 2 Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) eine von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unabhängige Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) hätte erteilt werden können und dass der zuständigen Ausländerbehörde von der BA eine Generalvollmacht erteilt worden sei, in diesen Fällen ohne Einschaltung der BA die Erlaubnis zu erteilen. Ebenso könne dahinstehen, ob die Ausländerbehörde verpflichtet gewesen wäre, eine Erlaubnis zu erteilen. Selbst wenn ein Fehlverhalten der Ausländerbehörde vorgelegen hätte, würde dies nicht zu einem Herstellungsanspruch führen, denn dieses Verhalten müsse sich die Erziehungsgeldbehörde nicht zurechnen lassen.

9Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich auch aus dem - (SozR 4-7833 § 1 Nr 4) nicht, dass der Gesetzgeber gehalten gewesen wäre, auf den materiellen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis und nicht auf den tatsächlichen Besitz abzustellen.

10Da der Kläger die objektive Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf BErzg trage, gehe die Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seinen Lasten. Auf die verfassungsrechtliche Frage, ob der Gesetzgeber in § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG zulässigerweise habe bestimmen dürfen, dass für die dort genannten Aufenthaltstitel die bloße Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht ausreiche und diese Titel nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG einen Anspruch auf BErzg begründen könnten, komme es somit nicht an.

11Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor:

12Entgegen der Darstellung des LSG knüpfe das BVerfG in seiner Entscheidung vom - 1 BvR 2515/95 - nicht an den tatsächlichen Besitz der Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung an, sondern an die Frage, ob der Ausländer der Erwerbstätigkeit rein rechtlich nachgehen dürfe oder nicht. Angesichts des Sinnes und Zweckes des BErzg, zugunsten des Kindes auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten, müsse die abstrakte rechtliche Möglichkeit eines Arbeitsmarktzugangs als Nachweis des Rechts auf Ausübung einer Beschäftigung ausreichen.

13Damit bleibe die vom LSG offengelassene Frage zu klären, ob § 1 Abs 6 Nr 2 BErzGG verfassungsgemäß sei. Diese Vorschrift werde den Vorgaben des BVerfG nicht gerecht. Es gebe keinen sachlichen Grund, den Anspruch auf BErzg für Inhaber der in § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c BErzGG aufgeführten Aufenthaltstitel von über den Zugang zum Arbeitsmarkt hinausgehenden, zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Durch die Einschränkungen in § 1 Abs 6 Nr 3 BErzGG würden große Gruppen mit humanitären Aufenthaltstiteln, die die Voraufenthaltszeiten erfüllten und einen Zugang zum Arbeitsmarkt hätten, in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise von einem Anspruch auf BErzg ausgeschlossen.

14Die Benachteiligung der Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 25 Abs 5 AufenthG sei auch nicht im Hinblick auf eine zulässige Typisierung gerechtfertigt, da diese nur hinzunehmen sei, wenn die mit ihr verbundenen Härten nicht besonders schwer wögen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Da das BErzg als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt bleibe, falle der mit der Versagung des Anspruchs auf BErzg verbundene Nachteil in Höhe von monatlich mindestens 300 Euro in jedem Fall ins Gewicht.

15Der Kläger beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und des Sozialgerichts Aachen vom aufzuheben, die Bescheide des Versorgungsamtes Aachen vom in der Gestalt der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom und der Bescheide der Beklagten vom abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für den Teilzeitraum vom 11. Mai bis des zweiten Lebensjahres der am geborenen Kinder Y. und H. Bundeserziehungsgeld in Höhe des Regelsatzes, insgesamt weitere 1000 Euro, zu zahlen.

16Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

17Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Gründe

18Revision, Berufung und kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen gegen die Bescheide vom in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom und der nach § 96 Abs 1 SGG einbezogenen Bescheide vom sind statthaft und auch im Übrigen zulässig, soweit sie den noch streitigen Zeitraum vom bis betreffen. Die Statthaftigkeit der Berufung folgt aus §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG, da sich der Beschwerdewert aus einer Zusammenrechnung beider BErzg-Ansprüche (vgl § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG) ergibt (§ 202 SGG iVm § 5 ZPO).

19Die Klagen richten sich jetzt zutreffend gegen die Bezirksregierung Münster. Die Aufgaben nach dem BErzGG sind - anders als diejenigen nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) - durch § 6 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW (EingliederungsG; Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom , GVBl 482) mit Wirkung vom nicht auf kommunale Träger, sondern als landesweite Zuständigkeit auf die Bezirksregierung Münster übertragen worden. Da es sich bei der Bezirksregierung Münster um eine Behörde handelt, die nach § 70 Nr 3 SGG iVm § 3 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG NRW) fähig ist, am Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beteiligt zu sein (vgl dazu auch BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 4 RdNr 31), kann sie selbst verklagt werden. Ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s zB Urteil vom - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) zutrifft, dass eine Klage in diesem Fall zwingend gegen die Behörde und nicht den Rechtsträger zu richten ist, braucht hier nicht entschieden zu werden (zur Gegenansicht vgl - RdNr 21; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 70 RdNr 4). Denn der Kläger hat auf Anregung des Senatsvorsitzenden seine Klage im Revisionsverfahren - klarstellend - gegen die Bezirksregierung Münster gerichtet.

20Die Beklagte ist zur Führung des vorliegenden Prozesses befugt. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist zwischen der Beteiligtenfähigkeit und der Prozessführungsbefugnis zu unterscheiden. Die Prozessführungsbefugnis ist das Recht, einen Prozess als richtige Partei im eigenen Namen zu führen (vgl Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl 2010, vor § 50 RdNr 18), also als richtiger Kläger zu klagen (aktive Prozessführungsbefugnis vgl Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009, vor § 40 RdNr 23) oder als richtiger Beklagter verklagt zu werden (passive Prozessführungsbefugnis vgl Kopp/Schenke, aaO, § 78 RdNr 1). Die Prozessführungsbefugnis ist entgegen einer in der Literatur jüngst geäußerten Auffassung (Strassfeld, SGb 2010, 520) unproblematisch, wenn die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde eines Rechtsträgers an dessen Stelle verklagt wird und sich gegen Ansprüche der Klägerseite verteidigt. Denn es entspricht der Funktion einer durch organisationsrechtliche Rechtssätze gebildeten Behörde, im Rahmen ihrer Zuständigkeit für den Staat oder einen anderen Träger der öffentlichen Verwaltung dessen Aufgaben nach außen selbstständig wahrzunehmen (§ 1 Abs 2 SGB X; hierzu Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 1 RdNr 9; hierzu auch § 1 Abs 4 VwVfG; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 1 RdNr 241 mwN). Sie wird demnach - soweit sie beteiligtenfähig ist - auch in einem Rechtsstreit im eigenen Namen für den Träger der öffentlichen Verwaltung tätig.

21In der Sache ist die Revision unbegründet. Das Urteil des LSG ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

22Dem Kläger steht für den streitigen Zeitraum vom bis zum kein BErzg zu. Sein Anspruch beurteilt sich hier nach § 1 BErzGG idF des Art 3 Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss (AuslAnsprG) vom (BGBl I 2915). Der Senat lässt es dahingestellt, ob der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf BErzg nach § 1 Abs 1 Satz 1 BErzGG erfüllte, denn das LSG hat rechtsfehlerfrei (§ 162 SGG) entschieden, dass beim Kläger seinerzeit jedenfalls die besonderen Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern nach § 1 Abs 6 BErzGG nicht vorlagen.

23§ 1 Abs 6 BErzGG idF des AuslAnsprG lautet:

25Nach den Feststellungen des LSG besaß der Kläger die irakische Staatsangehörigkeit und seit dem eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG, die mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet" versehen war. Damit hatte er keine für ihn erforderliche Aufenthaltserlaubnis, die iS von § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte oder berechtigt hatte.

26Wie der erkennende Senat bereits in seinen Vorlagebeschlüssen vom (B 10 EG 5/08 R <= 1 BvL 3/10>, RdNr 99 ff; B 10 EG 6/08 R <= 1 BvL 4/10>, RdNr 94 ff; B 10 EG 7/08 R <= 1 BvL 2/10>, RdNr 95 ff) ausgeführt hat, ist § 1 Abs 6 BErzGG wie folgt zu verstehen:Ausgangspunkt des § 1 Abs 6 BErzGG ist es, dass ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur dann einen Leistungsanspruch hat, wenn er eine Niederlassungserlaubnis besitzt (vgl § 9 AufenthG) oder aber stattdessen Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis ist, die zur Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Diesen Grundsatz, dass jeder (ehemals) zur Arbeit berechtigte Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis Anspruch auf BErzg haben soll, hat der Gesetzgeber für konkret benannte Fallkonstellationen (vgl § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst a bis c, letztere iVm Nr 3 BErzGG) wieder eingeschränkt. Durch § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst a und b BErzGG gänzlich ausgeschlossen sind Ausländer mit Aufenthaltstiteln zum Studium bzw zur Ausbildung (§§ 16, 17 AufenthG) sowie Ausländer, die eine Arbeitsberechtigung aufgrund der Gegebenheiten des deutschen Arbeitsmarktes von vornherein nur vorübergehend erhalten haben (§ 18 Abs 2 AufenthG).

27Nach dem hier einschlägigen § 1 Abs 6 Nr 2 Buchst c iVm Nr 3 BErzGG hat der Gesetzgeber für Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs 1 AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach §§ 23a, 24, 25 Abs 3 bis 5 AufenthG zusätzliche, über die bloße (frühere) Berechtigung zur Erwerbstätigkeit hinausgehende Anforderungen gestellt. Ist ein Ausländer Inhaber eines Titels nach einer der dort genannten aufenthaltsrechtlichen Vorschriften, hat er einen Erziehungsgeldanspruch nach dem BErzGG nur dann, wenn er sich - erstens - seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 1 Abs 6 Nr 3 Buchst a BErzGG) und er zusätzlich - zweitens - im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 1 Abs 6 Nr 3 Buchst b BErzGG).

28Zwar ließe sich mit dem Wortlaut des § 1 Abs 6 BErzGG auch eine Auslegung vereinbaren, die in der Nr 3 eine eigenständig neben den Nrn 1 und 2 stehende Tatbestandsvariante sieht. Dann würde hier nicht vorab der Grundtatbestand des § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 SGG zu prüfen sein, vielmehr könnte unmittelbar bei der Nr 3 angesetzt werden. Mit einer solchen Vorgehensweise würde jedoch die Struktur des § 1 Abs 6 BErzGG vernachlässigt. Denn die Nr 3 bezieht sich erkennbar nur auf den von Nr 2 Buchst c erfassten Personenkreis, bei dem die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG vorliegen müssen. Im Übrigen kann die Voraussetzung des § 1 Abs 6 Nr 3 Buchst b BErzGG grundsätzlich nur erfüllen, wer eine Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit besitzt oder besessen hat. Dies gilt auch für den Bezug laufender Geldleistungen nach dem SGB III (vgl § 123 SGB III) und die Inanspruchnahme von Elternzeit (vgl §§ 15 ff BErzGG).

29Indem § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG verlangt, dass der nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, bringt er deutlich zum Ausdruck, dass die betreffende Aufenthaltserlaubnis selbst zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben muss. Da nach § 4 Abs 2 Satz 2 AufenthG jeder Aufenthaltstitel erkennen lassen muss, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist, ergibt sich die Erwerbsberechtigung entweder nach dem Gesetz aus der Art des Aufenthaltstitels selbst oder aus einer diesem ausdrücklich beigefügten Nebenbestimmung (vgl dazu Bünte/Knödler, NZA 2008, 743 f, 746 ff; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Stand Juni 2010, § 1 BEEG RdNr 100, § 62 EStG RdNr 51.3; HK-AuslR/Hoffmann, 2008, § 4 AufenthG RdNr 20 ff; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, 5. Aufl, Stand Juni 2010, § 4 AufenthG RdNr 54, 58 ff). Berechtigt der Aufenthaltstitel für sich genommen nicht bereits zu einer Erwerbstätigkeit, so muss der Ausländer mithin zu Beginn des Leistungszeitraumes im Besitz einer entsprechenden Nebenbestimmung sein.

30Diese Auslegung knüpft an die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zum BErzg und zum Kindergeld an (vgl dazu allgemein BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 3; BSGE 70, 197 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 12, 14, 18; BSG SozR 3-5870 § 1 Nr 6, 12; BFH/NV 1998, 696; BFH/NV 1998, 963; BFHE 187, 562; BFHE 221, 43; BFH/NV 2009, 922). Danach setzt der Besitz eines zum Bezug von BErzg berechtigenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels einen für die Bezugszeit geltenden Verwaltungsakt der Ausländerbehörde voraus. Das Aufenthaltsrecht muss also durch die Ausländerbehörde bereits zu Beginn des Leistungszeitraumes förmlich festgestellt sein. Nicht ausreichend ist hingegen ein materiell-rechtlicher Anspruch auf einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Es ist nämlich nicht Aufgabe der für die Bewilligung von BErzg zuständigen Behörden, darüber zu entscheiden, ob einem Ausländer ein zum Bezug des BErzg berechtigender Titel zusteht. Insoweit kommt der Entscheidung der Ausländerbehörde Tatbestandswirkung zu. Für den Anspruch auf BErzg entfaltet die Erteilung eines solchen Titels selbst dann keine rückwirkende Kraft, wenn der Beginn der Geltungsdauer des Titels auf einen Zeitpunkt vor seiner tatsächlichen Erteilung zurückreicht (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 24 S 80 f mwN). Was für den Aufenthaltstitel selbst gilt, muss im Hinblick auf § 4 Abs 2 Satz 2 AufenthG auch für die Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit maßgebend sein.

32Schließlich entspricht die vom erkennenden Senat vertretene Auslegung des § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG auch dem Sinn und Zweck des BErzg. Das BVerfG hat es in seiner Entscheidung vom (BVerfGE 111, 176, 185 f = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 30) als sachgerecht angesehen, diejenigen Ausländer vom BErzg-Bezug auszuschließen, die aus Rechtsgründen ohnehin einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürften. Die Gewährung einer Sozialleistung, die Eltern einen Anreiz zum Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit geben will, verfehlt ihr Ziel, wenn eine solche Erwerbstätigkeit demjenigen Elternteil, der zur Betreuung des Kindes bereit ist, rechtlich nicht erlaubt ist. Da der betreffende (nicht freizügigkeitsberechtigte) Ausländer eine Erwerbstätigkeit nur ausüben darf, wenn er im Besitz einer entsprechenden Berechtigung ist (vgl § 4 Abs 2 Satz 1 AufenthG), ist es sinnvoll, darauf abzustellen, ob er einen entsprechenden Titel tatsächlich in der Hand hat. Der Zweck des BErzg, Wahlfreiheit zwischen Kindererziehung und Berufstätigkeit zu sichern, kann nämlich nicht durch eine rückwirkend erteilte Beschäftigungserlaubnis erreicht werden (vgl BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 12 S 54). Ebenso wenig ist es sachgerecht, der für die Bewilligung von BErzg zuständigen Behörde die eigenständige Prüfung aufzuerlegen, ob der Ausländer - unabhängig von dem tatsächlich vorliegenden Aufenthaltstitel - zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt ist, dh ob er Anspruch auf einen entsprechenden Titel hat. Denn dabei sind nicht nur ausländerrechtliche Umstände zu prüfen, sondern ggf auch eine Zustimmung der BA ausschlaggebend (vgl dazu § 4 Abs 2 Satz 3, § 39 AufenthG).

33Als irakischer Staatsangehöriger gehörte der Kläger zu den nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern. Die ihm am erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG berechtigte ihn für sich genommen ihrer Art nach nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl dazu zB HK-AuslR/Hoffmann, 2008, § 4 AufenthG RdNr 22). Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 25 Abs 1 Satz 4 und Abs 2 Satz 2 AufenthG. Ein entsprechender Verweis auf § 25 Abs 1 Satz 4 AufenthG fehlt in § 25 Abs 5 AufenthG (zur Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG vgl VG Osnabrück, Beschluss vom - 5 A 154/09 mit zustimmender Anm von Hamann, juris PR-ArbR 5/2010 Anm 3).

34Kommt es demnach auf die dem Aufenthaltstitel beigefügte Nebenbestimmung an, so reicht der beim Kläger vorliegende Zusatz "Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet" nicht aus. Denn es wird darin ausdrücklich eine gesonderte Zustimmungsentscheidung vorbehalten, an der verwaltungsintern ggf auch die BA mitzuwirken hat (vgl § 4 Abs 2 Satz 3, § 39 AufenthG). Zwar ist das LSG davon ausgegangen, dass die zunächst gegebene Nebenbestimmung vor Aufnahme der Erwerbstätigkeit des Klägers am geändert worden ist. Es hat jedoch nicht festzustellen vermocht, wann diese Änderung erfolgt ist. Da der Kläger für das Vorliegen einer Erwerbsberechtigung die objektive Beweislast trägt, wirkt sich der fehlende Nachweis zu seinen Ungunsten aus. Dementsprechend kann auch der erkennende Senat nicht feststellen, dass der Kläger für Zeiten vor dem die Voraussetzungen des § 1 Abs 6 BErzGG erfüllt.

35Dieses Ergebnis hält der erkennende Senat für verfassungsrechtlich unbedenklich, zumal er mit seiner Auslegung des § 1 Abs 6 Nr 2 Halbs 1 BErzGG eine jahrzehntelange Rechtsprechung des BSG und des BFH fortführt, die vom BVerfG bislang nicht beanstandet worden ist. Zwar trifft es zu, dass das BVerfG in seiner Entscheidung vom (BVerfGE 111, 176, 185 f = SozR 4-7833 § 1 Nr 4 RdNr 30) nicht ausdrücklich an den Besitz einer Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit angeknüpft, sondern es allgemein für zulässig gehalten hat, solche Ausländer vom Bezug von BErzg auszuschließen, die aus Rechtsgründen einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen dürften. Andererseits hat sich das BVerfG nicht dahin geäußert, dass in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen nicht auf den Besitz einer entsprechenden Erlaubnis abgestellt werden dürfe. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es demnach dem Gesetzgeber vom BVerfG nicht untersagt worden, für die Anspruchsberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer an den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, anzuknüpfen.

36Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:300910UB10EG609R0

Fundstelle(n):
KAAAH-24631