BGH Beschluss v. - 3 StR 386/18

Strafzumessung: Strafschärfende Berücksichtigung der Warnwirkung eines früheren eingestellten Verfahrens

Gesetze: § 46 StGB, § 60 Abs 1 Nr 7 BZRG, § 60 Abs 2 BZRG, § 45 JGG, § 47 JGG, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Stade Az: 205 KLs 1/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen überfielen der Angeklagte und drei Mitangeklagte in Ausführung eines gemeinsam gefassten Tatplans am Abend des eine Wohngemeinschaft und entwendeten aus der Wohnung unter konkludenter Drohung mit einem zum Zweck der Einschüchterung bewusst offen getragenen Totschläger sowie unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole - vorgefasster Absicht entsprechend - Marihuana, Bargeld und Wertgegenstände im Gesamtwert von 2.500 €.

32. Der Schuldspruch hält aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.

43. Die Bemessung der Freiheitsstrafe erweist sich hingegen als rechtsfehlerhaft.

5a) Die Strafkammer hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten "dessen Vorstrafen" berücksichtigt, wenngleich mit minderem Gewicht, weil "die letzte Tat bereits im Jahr 2010 begangen wurde" (UA S. 35). Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

6Ausweislich der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hatte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2008 von der Verfolgung eines Diebstahls abgesehen (§ 45 JGG) und das Amtsgericht im Jahr 2010 ein Verfahren wegen eines weiteren Diebstahls gegen Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt (§ 47 JGG). Bei diesen beiden Voreintragungen im Erziehungsregister (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BZRG) handelt es sich weder um Vorstrafen noch um jugendgerichtliche Vorahndungen. Mit der jeweiligen Verfahrensweise war keine Feststellung der Schuld verbunden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 1280/04, juris Rn. 2; vom - 2 BvR 2282/16, NJW 2017, 1539 Rn. 14).

7Dem Tatgericht ist es zwar nicht prinzipiell verwehrt, strafschärfend zu werten, dass der Angeklagte bei Tatbegehung durch frühere eingestellte Verfahren gewarnt war (s. , BGHSt 25, 64, 65; Beschluss vom - 5 StR 472/04, juris Rn. 4; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 46 Rn. 40). Eine bloße Berücksichtigung einer solchen Warnwirkung lässt sich dem Urteil aber gerade nicht entnehmen (vgl. auch , NJW 1987, 2243, 2244; insgesamt skeptisch , NStZ 2006, 620).

8b) Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Urteil im Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte, er wäre vorbestraft. Der Strafausspruch unterliegt daher der Aufhebung. Indes bleiben die zugehörigen Feststellungen von dem Wertungsfehler unberührt, sodass sie bestehen bleiben können (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

94. Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat keinen Bestand.

10Die Gefahr, der Angeklagte werde infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen (§ 64 Satz 1 StGB), findet in den tatsächlichen Feststellungen keine Grundlage. In den Urteilsgründen ist hierzu lediglich ausgeführt, diese Gefahr folge aus seiner "besonderen Persönlichkeitsstruktur und seiner nach wie vor vorhandenen Geldnot" (UA S. 39). Zur Persönlichkeitsstruktur ist nur die Diagnose des Sachverständigen wiedergegeben, beim Angeklagten liege eine "Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen und emotional instabil impulsiven Anteilen" vor (UA S. 38). Zur Geldnot findet sich allein die Mitteilung, der Angeklagte habe im Zeitraum von Oktober 2016 bis Mitte 2017 beim Glücksspiel seinen gesamten Lohn verspielt (s. UA S. 10).

11Diese äußerst knappen Ausführungen genügen nicht den an die Darlegung der Gefahrenprognose von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen. Sie belegen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass der - nicht vorbestrafte - Angeklagte hangbedingt erneut straffällig werden wird. Weder seine Gefährlichkeit noch der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zu Rauschmitteln und wahrscheinlichen künftigen Taten ist nachvollziehbar dargelegt (zu den Voraussetzungen vgl. nur MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 52 f., 55 ff. mwN).

12Zwar hat der Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis (ICD-10 F12.20) sowie einen schädlichen Gebrauch von Kokain und Alkohol (ICD-10 F19.10) diagnostiziert (s. UA S. 38). Auch dies begründet jedoch noch nicht dessen Gefährlichkeit. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei einem Drogenabhängigen generell die Gefahr neuer erheblicher Straftaten besteht, existiert nicht (vgl. , StV 2013, 149).

13Eine schwere Gewalttat, die für sich allein die Gefährlichkeit indizieren könnte (vgl. , juris Rn. 2 mwN), ist hier nicht gegeben. Das gilt umso mehr, als nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte bei Tatbegehung drogenbedingt enthemmt gewesen wäre.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:131218B3STR386.18.0

Fundstelle(n):
SAAAH-23224