BGH Urteil v. - IV ZR 311/17

Revisionsgrund der Überschreitung der Fünfmonatsfrist für das Abfassen der Urteilsgründe

Gesetze: § 547 Nr 6 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 15 U 161/15vorgehend Az: 4 O 2189/13

Tatbestand

1Die Kläger nehmen den beklagten Versicherer auf Leistung aus einer Gebäudeversicherung in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Diese Entscheidung hat die Beklagte mit der Berufung angegriffen.

2Das Oberlandesgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den bestimmt. Nach Verlegung des Verkündungstermins auf den hat es an diesem Tag ein Urteil ohne Gründe verkündet, mit dem es die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils insgesamt abgewiesen hat. Am haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde, hilfsweise Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt. Dieses ist ausweislich eines Vermerks der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in vollständiger Fassung am zur Geschäftsstelle des Berufungsgerichts gelangt und den Parteien am 11. und zugestellt worden.

3Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstreben die Kläger Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

4Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

5Das Berufungsurteil ist mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, weil es im Sinne von § 547 Nr. 6 ZPO entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mit Gründen versehen ist; es ist daher auf die Rüge der Revision aufzuheben.

6I. Nach gefestigter Rechtsprechung ist der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO gegeben und ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil "nicht mit Gründen versehen", wenn der notwendige Inhalt des Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Senatsurteil vom - IV ZR 110/09, juris Rn. 6; , juris Rn. 5; Beschluss vom - VI ZR 132/13, VersR 2015, 1445 Rn. 16; jeweils m.w.N.; grundlegend GmS-OGB 1/92, BVerwGE 92, 367, 371 ff. [juris Rn. 8 ff.]). Tragender Gesichtspunkt für diesen übergreifenden verfahrensrechtlichen Grundsatz ist die Erkenntnis, dass das richterliche Erinnerungsvermögen abnimmt und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten nicht mehr gewährleistet ist, dass der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und das Beratene noch zuverlässigen Niederschlag in den so viel später abgefassten Gründen der Entscheidung finden. Es geht mithin um die Vermeidung von Fehlerinnerungen und damit um Gründe der Rechtssicherheit (Senatsurteil vom aaO; , NJW-RR 2009, 1712 Rn. 8; vom - XII ZR 270/02, NJW-RR 2004, 1439 [juris Rn. 4]; jeweils m.w.N.). Außerdem ist es insbesondere der unterlegenen und an der Einlegung eines Rechtsmittels interessierten Partei nicht zuzumuten, nach der Verkündung eines Urteils länger als fünf Monate zu warten, um - über eine etwaige mündliche Urteilsbegründung hinaus - die detaillierten Gründe zu erfahren, die zu ihrem Unterliegen geführt haben (Senatsurteil vom aaO Rn. 7; aaO; GmS-OBG, Beschluss vom aaO S. 376 [juris Rn. 18]). Auf eine Rüge der Parteien haben die Gerichte deswegen bei Überschreitung der Fünfmonatsfrist ein Urteil, das wegen der Fristüberschreitung die Beurkundungsfunktion nicht mehr erfüllt und deswegen als "nicht mit Gründen versehen" gilt, aufzuheben (Senatsurteil vom aaO; aaO; GmS-OBG, Beschluss vom aaO S. 377 [juris Rn. 18]).

7II. Das Berufungsurteil gilt wegen einer solchen Fristüberschreitung als nicht mit Gründen versehen. Es ist nach dem bei den Gerichtsakten befindlichen Verkündungsprotokoll vom an diesem Tage verkündet worden. Es hätte daher mit den nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendigen Urteilsgründen spätestens binnen fünf Monaten nach der Verkündung, also bis zum , schriftlich niedergelegt, vom Einzelrichter unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben sein müssen. Diese Frist ist nicht gewahrt. Ausweislich des Vermerks der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für dessen Unrichtigkeit es keine Anhaltspunkte gibt (vgl. hierzu , BeckRS 2001, 5469), ist das Berufungsurteil in vollständig abgefasster Form erst am und damit lange nach Ablauf der Fünfmonatsfrist zur Geschäftsstelle gelangt.

8Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung genügt die entsprechende Verfahrensrüge der Revision auch den Begründungsanforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 b) ZPO (vgl. hierzu AnwZ(Brfg) 69/13, juris Rn. 8; siehe auch , juris Rn. 12). Das Datum der Übergabe des vollständig abgefassten Berufungsurteils an die Geschäftsstelle ergibt sich aus dem Vermerk auf der in den Gerichtsakten befindlichen beglaubigten Urteilsabschrift. Hierauf hat die Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO) ausreichend Bezug genommen.

9Das Berufungsgericht wird nochmals in der Sache zu verhandeln und zu entscheiden haben.

10III. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Gerichtskosten für das Revisionsverfahren nicht erhoben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:230119UIVZR311.17.0

Fundstelle(n):
WAAAH-10873