BFH Beschluss v. - IX R 8/17

Gerichtsbescheid - Antrag auf mündliche Verhandlung - Wiedereinsetzung

Leitsatz

NV: Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen.

Gesetze: FGO § 56 Abs. 2; FGO § 90a Abs. 2 Satz 1;

Instanzenzug: (EFG 2017, 1150) , nachfolgend ,

Tatbestand

I.

1 Mit Gerichtsbescheid vom hat der Senat die Revision des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen das (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2017, 1150) als unbegründet zurückgewiesen. Der Gerichtsbescheid wurde dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Zustellungsurkunde am zugestellt. Mit Schreiben vom , beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am selben Tag, zeigte der (derzeitige) Prozessbevollmächtigte seine Bestellung an und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Dem vorausgegangen war ein Telefonat am selben Tag zwischen dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Geschäftsstelle des Senats; in diesem wurde die Rechtskraft des Gerichtsbescheides erörtert und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung aufgezeigt. Mit Schreiben vom teilte die Geschäftsstelle des Senats dem neuen Prozessbevollmächtigten mit, dass der Gerichtsbescheid vom dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden sei und die Frist für einen Antrag auf mündliche Verhandlung mit Ablauf des geendet habe. Zudem wurde auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen. Mit Schreiben vom , beim BFH eingegangen am , zeigte der vormalige Prozessbevollmächtigte die Mandatsbeendigung an. Mit Vorsitzendenschreiben vom , per Zustellungsurkunde zugestellt am , wurde dem Prozessbevollmächtigten u.a. mitgeteilt, dass trotz des Schreibens der Senatsgeschäftsstelle vom bislang weder ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt noch Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen worden seien. Mit Schreiben vom , beim BFH eingegangen am selben Tag, erläuterte der Prozessbevollmächtigte, der vormalige Prozessbevollmächtigte habe dem Kläger von einem Antrag auf mündliche Verhandlung abgeraten. Der Prozessbevollmächtigte habe den Antrag auf mündliche Verhandlung verspätet gestellt, da er keine Möglichkeit gehabt habe, den Fristlauf zu berechnen.

Gründe

II.

2 Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO analog; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII R 49/06, juris, Rz 1, und vom XI R 51/06, juris, Rz 5). Der Kläger hat die Antragsfrist i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) ist nicht zu gewähren.

3 1. Nach § 90a Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragen. Der Gerichtsbescheid ist dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der Zustellungsurkunde am zugestellt worden.

4 a) Die Zustellung des Gerichtsbescheides war wirksam; der (derzeitige) Prozessbevollmächtigte hat seine Bestellung erst mit Schreiben vom angezeigt, die Mandatsbeendigung wurde dem BFH durch den vormaligen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom , beim BFH eingegangen am , mitgeteilt. Angesichts des für Verfahren beim BFH bestehenden Vertretungszwangs (§ 62 Abs. 4 FGO) wird nicht nur der Widerruf der Bevollmächtigung, sondern auch die Mandatsniederlegung nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 87 der Zivilprozessordnung (ZPO) erst mit der Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten wirksam (vgl. z.B. , BFH/NV 2015, 224, Rz 3, m.w.N.).

5 b) Die Monatsfrist für die Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung endete mit Ablauf des , einem Freitag. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ging beim BFH jedoch erst am Montag, dem ein und war somit verspätet.

6 2. Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 56 FGO) zu gewähren.

7 a) Einem Beteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 3 FGO). Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist aus § 56 Abs. 2 FGO zu folgern, dass die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen sind (vgl. z.B. , BFH/NV 2015, 505, Rz 13, m.w.N.). Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der Rechtsprechung des BFH schließt jedes Verschulden —auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. , BFH/NV 2013, 397, Rz 6, m.w.N.).

8 b) Zwar wäre vorliegend Wiedereinsetzung auch ohne Antrag möglich, da die versäumte Rechtshandlung (hier: Antrag auf mündliche Verhandlung) innerhalb der Antragsfrist i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nachgeholt worden ist. Der Prozessbevollmächtigte hat aber, trotz des Schreibens der Senatsgeschäftsstelle vom , mit dem er über den Ablauf der Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung unter Hinweis auf § 56 FGO unterrichtet worden ist, erstmals mit dem beim BFH am eingegangenen Schreiben Gründe für die Fristversäumung vorgebracht.

9 c) Das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten —selbst weisungswidriges Verhalten (vgl. , BFH/NV 2005, 331)— muss sich der Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Abweichendes ergibt sich nicht aus dem (Monatsschrift für Deutsches Recht 2007, 1444). Im dort entschiedenen Fall musste sich die Klägerin ein nach Beendigung des Mandats eingetretenes Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten nicht mehr zurechnen lassen; der Kläger hat die Beendigung des Mandatsverhältnisses mit dem vormaligen Prozessbevollmächtigten jedoch erst nach Ablauf der Antragsfrist i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO mitgeteilt. Vor diesem Hintergrund war auch der im Schriftsatz vom erbetene Hinweis entbehrlich.

10 3. Der Gerichtsbescheid vom wirkt damit als Urteil (vgl. § 90a Abs. 3 Halbsatz 1, § 121 Satz 1 FGO). Das Revisionsverfahren ist beendet.

11 4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII R 16/12, BFH/NV 2013, 1440, Rz 6, und vom IV R 15/14, BFHE 252, 1, BStBl II 2016, 284, Rz 16; vgl. auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90a FGO Rz 12).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2019:B.080119.IXR8.17.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2019 S. 398 Nr. 5
IAAAH-10775