Anforderungen an die Rüge eines Beweisverwertungsverbots
Gesetze: § 344 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: LG Aachen Az: 82 Ss 14/18
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten K. und D. vom Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
I.
2Mit der zugelassenen Anklage vom hat die Staatsanwaltschaft beiden Angeklagten zur Last gelegt, am in der von ihnen gemeinsam bewohnten Wohnung in A. über insgesamt 970,31 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 33,1 g Tetrahydrocannabiol (THC) und 49,25 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 3,89 g Amphetaminbase und 0,08 g Haschisch sowie eine Ecstasy-Tablette verfügt zu haben. Das Rauschgift habe in der Küche der Wohnung gelagert und sei von den Angeklagten zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt gewesen. Des Weiteren habe sich in einem Ausziehfach in der Küchenzeile und damit in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln gebrauchsbereit eine Schreckschusspistole 9 mm der Marke Dynamit Nobel mit 9-Cs-Reizgaskartuschen im Magazin befunden.
3Das Landgericht hat sich gehindert gesehen, über das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung vom , auf das sich der Anklagevorwurf maßgeblich stützt, Beweis zu erheben und die aufgefundenen Beweismittel zu verwerten, da die Durchsuchung und damit auch die Bekundung der durchsuchenden Beamten einem Beweisverwertungsverbot unterfielen.
4Hierzu hat die Strafkammer in dem angegriffenen Urteil festgestellt, dass die Polizei am im Zuge von Ermittlungen wegen eines Raubes einen Fahndungsaufruf veröffentlicht habe, in welchem der Tathergang und eine Täterbeschreibung mitgeteilt worden seien. Aufgrund dieses Fahndungsaufrufes habe ein anonymer Anrufer der Polizei (lediglich) mitgeteilt, dass der Angeklagte K. neben einem N. und einer Frau an der Raubtat beteiligt gewesen seien. Gleichwohl habe das Amtsgericht Aachen in Kenntnis des vorangegangenen Fahndungsaufrufs am einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gegen den Angeklagten K. und den weiteren benannten Täter N. erlassen. Den insoweit erforderlichen Anfangsverdacht habe es allein auf die Angaben des anonymen Anrufers und den Umstand gestützt, dass eine Täterbeschreibung durch den Geschädigten des Raubüberfalls auf den Beschuldigten N. passe.
5Die Strafkammer hat die Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnung als willkürlich angesehen, was ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe, so dass die bei der rechtswidrigen Durchsuchung erlangten Beweise in der Hauptverhandlung nicht zu erheben gewesen seien. Weitere Beweismittel, durch die den Angeklagten die ihnen vorgeworfene Tat mit dem erforderlichen Grad an Überzeugung hätte nachgewiesen werden können, seien nicht vorhanden.
II.
6Dem auf die Aufklärungsrüge und die allgemeine Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg versagt.
71. Die auf die unzutreffende Annahme eines Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbots gestützte Aufklärungsrüge (vgl. hierzu , NStZ 1995, 462) ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
8a) Danach sind im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenen Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und - in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen - zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (, NStZ-RR 2014, 318 ff.; Beschluss vom - 4 StR 493/11, juris; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 ff. mwN; ebenso Nr. 156 Abs. 3 RiStBV).
9Rügt der Beschwerdeführer, das Gericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes für Beweismittel angenommen, die aufgrund einer Wohnungsdurchsuchung erlangt worden sind, ist in aller Regel zunächst der Beschluss mitzuteilen, durch den das zuständige Amtsgericht die Wohnungsdurchsuchung angeordnet hat (vgl. , NStZ 2011, 471, 472). Fehlt es an einer ausreichenden Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Übrigen konkret in Zweifel gezogen, ist darüber hinaus die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Aktenlage zu rekonstruieren und mitzuteilen (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - 3 StR 140/14, aaO; Urteil vom - 3 StR 337/10, aaO). Erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung umfassend beurteilen und gegebenenfalls weitergehend prüfen, ob, sollte die ermittlungsrichterliche Anordnung rechtsfehlerhaft sein, aus dem Verfahrensfehler im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt. Denn über das Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes ist regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte sowie der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. , NStZ 2011, 103, 104; , aaO).
10b) Diesen Anforderungen wird das Revisionsvorbringen nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin hat die Darstellung der Verfahrenstatsachen auf die von ihr in die Revisionsbegründung eingerückten Urteilsgründe, die vom Senat ohnehin zur Kenntnis zu nehmen sind (, aaO; KK-StPO/Gericke, aaO, § 344 Rn. 39 mwN), sowie auf die Wiedergabe von Teilen des Ablaufs der Hauptverhandlung beschränkt. Dies genügt hier nicht.
11Die Beschwerdeführerin hat bereits den Wortlaut der amtsgerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vom nicht mitgeteilt. Ohne dessen Kenntnis vermag der Senat die Rechtsmäßigkeit des Beschlusses nicht zu beurteilen. Es ist nicht erkennbar, ob sich der Wortlaut der Anordnung in dem im angegriffenen Urteil dargestellten Inhalt erschöpft. Daneben fehlt es an der Mitteilung maßgeblicher Teile des Ermittlungsstandes zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Beschlussfassung. Es mangelt an der Darlegung des Inhalts der anonymen Anzeige und des Fahndungsaufrufs sowie der Täterbeschreibung durch den Geschädigten des Raubüberfalls, sodass der Senat nicht beurteilen kann, ob das Amtsgericht dem Umstand, dass diese Täterbeschreibung auf den weiteren benannten Täter N. passte, zu Recht als ein den anonymen Hinweis stützendes Beweismittel angesehen hat. Zudem hätte es der näheren Darstellung des Verfahrensganges, mithin des Inhalts des Widerspruchs der Verteidigung gegen die von der Staatsanwaltschaft erstrebte Beweiserhebung, sowie des Beschwerdeverfahrens bedurft, in dem das Landgericht Aachen durch Beschluss vom die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses festgestellt hat. Ohne Mitteilung des Beschwerdeverfahrens bleibt offen, ob dieses weitere Erkenntnisse zum Ermittlungsverfahren offenbart.
122. Die Überprüfung des Urteils auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
13a) Die Urteilsgründe genügen den formellen Anforderungen an einen Freispruch (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Die Strafkammer hat den Anklagevorwurf und die von ihr getroffenen Feststellungen dargelegt, so dass der Senat in die Lage versetzt ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf der Basis der erhobenen Beweise auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht.
14b) Das Urteil genügt auch den inhaltlichen Anforderungen an ein freisprechendes Urteil. Die Würdigung der erhobenen Beweise ist nicht zu beanstanden. Außerhalb einer zulässigen Verfahrensrüge ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei von der Erhebung der bei der Wohnungsdurchsuchung am gewonnenen Beweisergebnisse abgesehen hat.
15c) Die vom Generalbundesanwalt erstrebte sachlich-rechtliche Prüfung, ob die Feststellungen und Wertungen des Tatgerichts die unterbliebene Beweiserhebung rechtfertigen, ist dem Senat auf die hier allein zulässig erhobene Sachrüge demgegenüber nicht eröffnet. Der Umstand, dass die Urteilsgründe Ausführungen dazu enthalten, warum die Beweise zum Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung vom aus Sicht der Strafkammer nicht erhoben werden durften, befreit die Beschwerdeführerin nicht von der Anbringung einer zulässigen Verfahrensrüge (vgl. , wistra 2011, 276, 277; Jähnke in Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S. 559, 566; Schäfer in Festschrift für Riess, 2002, S. 477, 482).
16aa) In systematischer Hinsicht gehört das hier in Frage stehende Beweisverwertungsverbot dem Verfahrensrecht an, denn es bestimmt den Umfang des Beweismaterials, den das Tatgericht auf seinem Weg zur Urteilsfindung benutzen darf (, BGHSt 19, 273, 275; Jähnke, aaO, S. 559 ff. mwN; Mosbacher, NJW 2007, 3686). Die Rüge der Verletzung von Verfahrensnormen unterliegt jedoch der Dispositionsfreiheit des Beschwerdeführers (§ 352 Abs. 1 StPO). Eine nicht gebotene Darstellung im Urteil zu den Verfahrensvorgängen kann das auf die Sachbeschwerde gesetzlich determinierte Prüfungsrecht des Revisionsgerichts nicht erweitern.
17bb) Neben diese systematischen Bedenken treten weitere Vorbehalte. Die Vermischung von Verfahrens- und Sachrüge birgt insbesondere die Gefahr von Friktionen.
18(1) Das Tatgericht ist nicht verpflichtet, den für ein Verwertungsverbot relevanten Verfahrensstoff ganz oder teilweise im Urteil festzustellen (Mosbacher, aaO; Jähnke, aaO, S. 562; Schäfer, aaO, S. 482). Eine entsprechende Darstellung ist rechtlich nicht geboten. Die vollständige Wiedergabe der maßgeblichen Verfahrensvorgänge in den Urteilsgründen ist damit nicht gewährleistet. Zudem kann das Tatgericht die zugrundeliegenden Verfahrensvorgänge im Freibeweisverfahren ermitteln, so dass die Verfahrensbeteiligten nur eine eingeschränkte Möglichkeit der Einflussnahme auf den Umfang der „Beweiserhebung“ haben; § 244 Abs. 3 bis Abs. 5 StPO gelten nicht (Mosbacher, aaO). Hielte man das Revisionsgericht gleichwohl für verpflichtet, auf die Sachrüge die - gegebenenfalls unvollständigen - Urteilsfeststellungen zum Beweisverwertungsgebot zu prüfen, wäre die Gefahr eines unrichtigen Revisionsurteils evident.
19(2) Auf die zulässige Verfahrensrüge überprüft das Revisionsgericht die Verfahrensgrundlagen eines Beweisverwertungsverbots eigenständig im Freibeweis. Seine tatsächliche Sicht der Verfahrensvorgänge ist alleine maßgeblich. Feststellungen des Tatgerichts sind für das Revisionsgericht nicht bindend (, NJW 2008, 2597, 2598). Die Notwendigkeit einer materiell-rechtlichen Prüfung unmaßgeblicher Urteilsausführungen des Tatgerichts erschließt sich aus revisionsrechtlicher Sicht indes nicht.
20(3) Die materiell-rechtliche Prüfung eines Beweisverwertungsverbots auf der Grundlage der Urteilsausführungen schafft die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse. Ergäbe die Prüfung einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge, dass der Tatrichter ein Beweisverwertungsverbot zutreffend angenommen hat, den Verfahrensstoff für dessen Nichtvorliegen im Urteil jedoch unzureichend dargestellt hätte, hätte das Revisionsgericht die Revision zu verwerfen, da es ausschließen könnte, dass das Urteil auf dem „Darstellungsmangel“ beruhte. Ohne zulässige Verfahrensrüge wäre ihm hingegen der Beruhensausschluss mangels eigener Erkenntnis- und Prüfungsmöglichkeit verwehrt. Das Urteil unterfiele - wenig plausibel - auf die Sachrüge der Aufhebung.
21(4) Ebenso wenig vermag zu überzeugen, dass die Ausführlichkeit der Urteilsgründe zum Verfahrensablauf über die Frage einer möglichen Erstreckung der Revisionsentscheidung auf nichtrevidierende Angeklagte entscheiden soll. Denn im Falle einer erfolgreichen Sachrüge müsste das Revisionsgericht konsequenterweise auch eine mögliche Erstreckung der Entscheidung auf weitere Angeklagte gemäß § 357 StPO in den Blick nehmen (Jähnke, aaO, S. 568; Mosbacher, aaO, S. 3687), während bei einer erfolgreichen Verfahrensrüge eine Erstreckung auf nichtrevidierende Angeklagte nicht stattfindet.
22cc) Soweit die nicht tragenden Ausführungen des 5. Strafsenats in einem Urteil vom (5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 287 f.) dahin zu verstehen sein sollten, das Revisionsgericht sei auf die lediglich erhobene Sachrüge möglicherweise befugt, auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen zu prüfen, ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerungen rechtfertigen, könnte der Senat dem dortigen Ansatz aus den vorstehenden Gründen nicht folgen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:080818U2STR131.18.0
Fundstelle(n):
DAAAH-07136