BGH Beschluss v. - XI ZB 16/18

Bezeichnung des Rechtsmittelgegners bei Streitgenossenschaft in der Vorinstanz

Leitsatz

Zur Bezeichnung des Rechtsmittelgegners bei Streitgenossenschaft in der Vorinstanz.

Gesetze: § 519 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 23 U 40/17 Beschlussvorgehend OLG Frankfurt Az: 23 U 40/17vorgehend LG Frankfurt Az: 2-28 O 274/16

Gründe

I.

1Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von zwei Verbraucherdarlehensverträgen nach Widerruf. Gemeinsam mit seiner am Rechtsstreit nicht mehr beteiligten Ehefrau (ehemals Klägerin zu 1) schloss der Kläger am einen Darlehensvertrag über 70.000 € ab. In dem Vertrag findet sich auf den ersten zwei Seiten unten rechts im Fettdruck die Angabe der Beklagten zu 2). Auf S. 4 des Vertrags wird unter "Stempel und Unterschrift Darlehensgeber" ebenfalls die Beklagte zu 2) angegeben. Sodann folgt ein Stempel mit der Firma der Beklagten zu 1). Auf S. 3 des Vertrags befindet sich unter der Überschrift "Allgemeine Bedingungen für Bausparverträge/Darlehensbedingungen/Schriftformerfordernis" unter anderem folgender Satz: "Die D.            AG/D.           P.                      AG kann diesen Darlehensvertrag im Namen und für Rechnung der D.             B.      AG unterzeichnen." Daneben schloss der Kläger, ebenfalls gemeinsam mit seiner Ehefrau, am 10./ einen weiteren Darlehensvertrag über 50.000 € mit der Beklagten zu 1) ab.

2Beide Darlehensverträge enthielten eine - mit Ausnahme der Angaben zum Widerrufsadressaten - gleichlautende Widerrufsbelehrung, die folgende Angabe zum Fristlauf enthielt:

"Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag, nachdem dem Darlehensnehmer

- ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und

- die Vertragsurkunde oder eine Abschrift der Vertragsurkunde zur Verfügung gestellt wurden. …"

3Die Darlehen wurden im Jahr 2014 vollständig getilgt. Mit Schreiben vom erklärten der Kläger und seine Ehefrau den Widerruf ihrer auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Auf den Darlehensvertrag über 70.000 € hatten sie Zinsen in Höhe von insgesamt 16.588,95 €, eine Abschlussgebühr von 700 € und eine Darlehensgebühr von 342,69 € geleistet, insgesamt also 17.631,64 €. Auf den weiteren Darlehensvertrag über 50.000 € hatten sie Zinsen in einer Gesamthöhe von 4.322,98 € und eine Zinsbegrenzungsprämie von 1.000 € gezahlt.

4Die auf Rückzahlung dieser Beträge gerichtete Klage haben der Kläger und seine Ehefrau zunächst nur gegen die Beklagte zu 1) erhoben und sodann nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Beklagte zu 2) erweitert, indem sie von der Beklagten zu 1) die Zahlung von 22.954,62 € und von der Beklagten zu 2) die Zahlung von 17.631,64 €, jeweils nebst Zinsen und - insoweit als Gesamtschuldner - außergerichtlichen Anwaltskosten begehrt haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil für Ansprüche aus dem Darlehensvertrag über 70.000 € die Beklagte zu 1) nicht passivlegitimiert sei und im Übrigen keine Rückgewähransprüche der Kläger bestünden, weil die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß sei und die Widerrufserklärungen daher verfristet seien.

5Mit der dagegen nur noch vom Kläger eingelegten Berufung, die er innerhalb der Berufungsfrist namentlich nur gegen die Beklagte zu 1) gerichtet hat, verlangt er von der Beklagten zu 1) die Zahlung von 5.322,98 € und von der Beklagten zu 2) die Zahlung von 17.631,64 €, jeweils an sich und seine Ehefrau sowie nebst Zinsen, ferner von beiden Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von außergerichtlichen Anwaltskosten. Das Berufungsgericht hat die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Berufung als unzulässig verworfen und die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Berufung nach einem entsprechenden Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Berufung sei unzulässig, weil sie nicht binnen der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden sei. In der fristgerecht eingelegten Berufungsschrift sei lediglich die Beklagte zu 1) aufgeführt gewesen. Aus der Berufungsschrift und den mit ihr eingereichten Unterlagen habe sich nicht ergeben, dass die Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet gewesen sei. Zwar seien an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelklägers. Im Zweifel richte sich ein Rechtsmittel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und gegen alle gegnerischen Streitgenossen. Eine Ausnahme sei aber dann zu machen, wenn die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen lasse. Dies sei hier der Fall. Streitgegenständlich seien die Widerrufserklärungen zu zwei verschiedenen Vertragsverhältnissen mit verschiedenen Vertragspartnern. Die Berufungsschrift habe nur die Beklagte zu 1) mit voller Anschrift genannt, ohne dass es sich erkennbar um eine abgekürzte Version des Passivrubrums gehandelt hätte. Eine Beschränkung des Rechtsmittels sei in rechtlicher Hinsicht ohne weiteres möglich und denkbar gewesen. Aufgrund dessen sei bis zum Ablauf der Berufungsfrist von einer Beschränkung der Berufung auf die Beklagte zu 1) auszugehen. Die Erweiterung der Berufung auf die Beklagte zu 2) sei verfristet erfolgt.

7Die Berufung sei allerdings auch insgesamt unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger und seiner Ehefrau habe im August 2015 ein Widerrufsrecht nicht mehr zugestanden, weil die ihnen erteilten Widerrufsbelehrungen ordnungsgemäß gewesen seien. Die Belehrung über den Fristbeginn habe den Vorgaben des § 355 BGB aF entsprochen. Der Begriff der "Vertragsurkunde" beinhalte auch die Vertragserklärung des Verbrauchers und sei auch im Übrigen für einen verständigen Verbraucher hinreichend deutlich. Dass nicht auch alternativ auf die Zurverfügungstellung des schriftlichen Vertragsantrags des Darlehensnehmers abgestellt werde, begünstige den Verbraucher und sei deshalb unschädlich. Auch die Formulierung "einen Tag, nachdem" sei sachlich zutreffend und entspreche § 187 BGB. Schließlich habe auch keine Verpflichtung bestanden, über die Rechtsfolgen des Widerrufs zu belehren.

8Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

9Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet; die Sache ist zur Endentscheidung reif.

101. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Durch die Zurückweisung seiner gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Berufung als unzulässig ist der Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, weil er die Berufung form- und fristgerecht bei dem Berufungsgericht eingelegt und begründet hat.

11a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , NJW-RR 2011, 359 Rn. 10; Beschlüsse vom - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 9 und vom - II ZR 291/11, juris Rn. 8 mwN) gehört zu dem notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Die Rechtsmittelschrift muss entweder für sich allein betrachtet oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig erkennen lassen, wer Rechtsmittelführer und wer Rechtsmittelgegner sein soll.

12Dabei sind an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen. Besteht der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5 und vom - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 11). Eine solche Beschränkung kann sich daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige der auf der Gegenseite stehenden Streitgenossen angegeben werden (, ZIP 1987, 1316, 1317; Beschluss vom - II ZR 291/11, juris Rn. 9 mwN). Dies ist jedoch nicht zwingend. So hat der Bundesgerichtshof eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde (vgl. , NJW 1984, 58 f., vom - VII ZR 65/01, NJW 2002, 831, 832 und vom - XII ZR 18/09, NJW-RR 2011, 359 Rn. 12). Werden in der Rechtsmittelschrift nur einige der gegnerischen Streitgenossen als Rechtsmittelbeklagte bezeichnet, so lässt dies nicht stets und unabhängig von den Umständen des einzelnen Falles eine entsprechende Beschränkung des Rechtsmittels erkennen (vgl. hierzu aaO, vom - VIII ZR 296/86, NJW 1988, 1204, 1205, vom aaO, vom - V ZR 233/01, NJW 2003, 3203, 3204 und vom - III ZR 73/07, juris Rn. 6 f.).

13Da auch die Bezeichnung einer Partei als Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig ist, kommt es für die Frage, ob eine Beschränkung der Anfechtung gewollt ist, letztlich auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist an. Dabei können sich aus einer beigefügten Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils oder aus sonstigen beigefügten Unterlagen entscheidende Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Anbetracht des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheint (, NJW-RR 2011, 359 Rn. 13 mwN).

14b) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die rechtzeitig eingegangene Berufung nicht auch gegen die Beklagte zu 2) gerichtet war.

15Zwar ist in der Berufungsschrift des Klägers ausdrücklich nur die Beklagte zu 1) als Berufungsbeklagte aufgeführt. Die Berufung ist aber ohne Einschränkung gegen das "Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom … zugestellt am " eingelegt worden. Dem rechtzeitig eingegangenen Berufungsschriftsatz war außerdem eine beglaubigte Abschrift dieses Urteils beigefügt. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen worden ist, der Kläger seinen vermeintlichen Rückgewähranspruch aus dem Darlehen über 70.000 € gegen beide Beklagte geltend gemacht hatte und bei den beiden streitgegenständlichen Darlehensverträgen die Ordnungsgemäßheit einer inhaltsgleichen Widerrufsbelehrung im Streit stand. Da der Kläger gegen dieses Urteil ohne Einschränkungen Berufung eingelegt und die Anträge sowie die Begründung einem weiteren Schriftsatz vorbehalten hatte, musste das Berufungsgericht von einer zulässigen Berufung auch gegen die Beklagte zu 2) ausgehen. Dafür spricht schon der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellte Grundsatz, wonach sich die Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung richtet, wenn der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht. Hinzu kommt, dass in Anbetracht der - bis auf die Frage der Passivlegitimation bei einem Darlehen - identischen Streitfragen zur Ordnungsgemäßheit der beiden Widerrufsbelehrungen eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheinen musste.

162. Die angefochtene Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO), weil die Berufung des Klägers unbegründet ist.

17a) Das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers steht einer Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch zu seinen Ungunsten in Fällen wie dem vorliegenden nicht entgegen. Im Fall der Zurückverweisung wäre das Berufungsgericht zur Zurückweisung der Berufung als unbegründet in der Lage. Die Prozessökonomie erfordert, dass bereits das Rechtsbeschwerdegericht selbst eine solche Sachentscheidung treffen kann, vorausgesetzt, das Rechtsmittel kann aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben und die Sache ist in diesem Sinne zur Endentscheidung reif. In diesem Falle beruht die Beschwerdeentscheidung nicht auf der in der Beurteilung des Rechtsmittels als unzulässig liegenden Gesetzesverletzung (vgl. , WM 2017, 1614 Rn. 21; für das Revisionsverfahren , BGHZ 46, 281, 283 f. und vom - V ZR 5/15, NJW 2015, 3713 Rn. 14 f.).

18b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat - wenngleich für das Prozessrechtsverhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2) nur als Hilfserwägung - angenommen, dass die Widerrufsbelehrung rechtlich nicht zu beanstanden ist und deshalb die Widerrufserklärungen des Klägers und seiner Ehefrau verfristet waren. Weiterer tatsächlicher Feststellungen in der Sache bedarf es nicht; anderes wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Es ist lediglich darüber zu entscheiden, ob die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zutreffend ist. Dies ist der Fall.

19Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Widerrufsbelehrung der Beklagten zu 2) den gesetzlichen Anforderungen des § 355 BGB in der hier nach Art. 229 § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem und dem geltenden Fassung (im Folgenden: aF) entsprochen hat.

20Die von dem Kläger beanstandete Formulierung "einen Tag, nachdem" hat der Senat bereits mehrfach gebilligt (vgl. nur , WM 2017, 766 Rn. 22, 26 und vom - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 47; Senatsbeschluss vom - XI ZR 141/17, juris Rn. 13). Sie erweckt insbesondere nicht den Eindruck, die nach § 187 Abs. 1 BGB zu berechnende Widerrufsfrist beginne einen weiteren Tag später. Der Begriff "Vertragsurkunde", den auch der Gesetzgeber in § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF verwendet hat, ist für sich nicht undeutlich. § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF bezeichnet mit dem Begriff "Vertragsurkunde" das von beiden Vertragsparteien unterzeichnete schriftliche Original des Vertrags. Entsprechend kann der Begriff "Vertragsurkunde" objektiv auch nicht anders und insbesondere nicht dahin ausgelegt werden, er meine in einem bestimmten Kontext den schriftlichen Vertragsantrag des Darlehensgebers (Senatsurteil vom - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 14). Soweit die Belehrung für den Fristbeginn entgegen dem Wortlaut des § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF nicht auch auf die Zurverfügungstellung des schriftlichen Vertragsantrags des Darlehensnehmers abstellt, handelt es sich dabei allenfalls um ein den Verbraucher begünstigendes und damit unschädliches Hinausschieben der Widerrufsfrist (vgl. dazu , WM 2009, 350 Rn. 17 und vom - XI ZR 242/08, juris Rn. 16). Angaben zu den Widerrufsfolgen waren hier nach § 355 Abs. 2 BGB aF entbehrlich (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 432/16, WM 2018, 50 Rn. 9).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:181218BXIZB16.18.0

Fundstelle(n):
WM 2019 S. 204 Nr. 5
LAAAH-05895