BGH Urteil v. - 4 StR 269/18

Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe

Gesetze: § 318 StPO, § 344 StPO, § 53 StGB, § 54 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB

Instanzenzug: Az: 4 StR 269/18 Beschlussvorgehend LG Arnsberg Az: 6 Ss 89/18nachgehend Az: 4 StR 269/18 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten R.    wegen schweren Raubes unter Auflösung einer Gesamtstrafe und Einbeziehung der Strafen aus drei Vorverurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten B.     hat es wegen schweren Raubes die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Den Angeklagten T.    hat es des schweren Raubes und des Wohnungseinbruchdiebstahls schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Schließlich hat es gegen alle Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R.    und T.    sowie den von der Strafkammer bei der Bemessung der Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten B.     vorgenommenen Härteausgleich.

2Die Revisionen haben Erfolg.

I.

31. Nach den Feststellungen begingen die drei Angeklagten am gemeinschaftlich einen schweren Raub. Der Angeklagte T.    verübte des Weiteren am einen Wohnungseinbruchdiebstahl. Nach dem traten sämtliche Angeklagten mehrfach mit weiteren Verurteilungen strafrechtlich in Erscheinung.

4a) Gegen den Angeklagten R.    verhängte das Amtsgericht Hagen am wegen Diebstahls, versuchten Diebstahls und Körperverletzung die Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es für drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Wegen eines am begangenen Diebstahls wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Arnsberg am zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, die er durch Ratenzahlung teilweise bezahlte. Schließlich erkannte das Amtsgericht Dortmund mit Strafbefehl vom wegen eines weiteren am verübten Diebstahls auf die Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Die Vollstreckung dieser Geldstrafe ist bislang zurückgestellt.

5b) Den Angeklagten B.     verurteilte das Amtsgericht Arnsberg am wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach dem Widerruf der Vollstreckungsaussetzung verbüßte der Angeklagte einen Teil der Strafe vom bis . Die Reststrafe wurde im Zuge der jährlichen Weihnachtsamnestie erlassen. Am und erkannte das Amtsgericht Arnsberg gegen den Angeklagten wegen Körperverletzung bzw. unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Nötigung jeweils auf Geldstrafen zu 60 Tagessätzen, die durch Vollstreckung der jeweiligen Ersatzfreiheitsstrafen erledigt sind.

6c) Gegen den Angeklagten T.    verhängte das Amtsgericht Arnsberg mit Strafbefehl vom wegen Diebstahls geringwertiger Sachen die Freiheitsstrafe von drei Monaten und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wurde die Vollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt. Schließlich verurteilte das Amtsgericht Arnsberg den Angeklagten am wegen Sachbeschädigung zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen, die durch Ratenzahlung erledigt ist.

72. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten R.    wegen der Raubtat am eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt und unter Einbeziehung der Einzelstrafen von vier Monaten und zweimal drei Monaten aus der Entscheidung des Amtsgerichts Hagen vom , der Geldstrafe von 60 Tagessätzen aus der Entscheidung des Amtsgerichts Arnsberg vom und der Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gebildet.

8Gegen den Angeklagten B.     hat es auf die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt, wobei es für die infolge Erledigung nicht mehr mögliche Einbeziehung der drei Strafen aus den Entscheidungen des Amtsgerichts Arnsberg vom , und in eine nachträgliche Gesamtstrafe einen Härteausgleich von drei Monaten vorgenommen hat.

9Schließlich hat die Strafkammer gegen den Angeklagten T.    Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten für die Raubtat am und acht Monaten für den Wohnungseinbruchdiebstahl am verhängt und aus diesen Einzelstrafen und der Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Arnsberg vom die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Für die durch Bezahlung erledigte Geldstrafe von 40 Tagessätzen aus dem Erkenntnis des Amtsgerichts Arnsberg vom hat es bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe einen Härteausgleich von einem Monat gewährt.

II.

10Die die Angeklagten R.    und T.    betreffenden Revisionen sind wirksam auf die jeweiligen Gesamtstrafenaussprüche beschränkt.

11Das Rechtsmittel bezüglich des Angeklagten B.     richtet sich gegen den Strafausspruch. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift auch die Revision hinsichtlich des Angeklagten B.     ausdrücklich auf den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Die Bedeutung dieser Erklärung ist aber bereits deshalb unklar, weil das Landgericht gegen diesen Angeklagten nicht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat. Sie ist zudem nicht mit den weiteren Ausführungen in der Antragsschrift in Einklang zu bringen, mit denen sich der Generalbundesanwalt gegen den von der Strafkammer vorgenommenen Härteausgleich bei der Bemessung der für die Raubtat verhängten Freiheitsstrafe wendet. Auch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft hat in ihrer Revisionsbegründung unter anderem die fehlende Nachvollziehbarkeit des gewährten Härteausgleichs beanstandet. Die bei sich widersprechenden Ausführungen zum Angriffsziel zur Bestimmung der Reichweite des Revisionsangriffs gebotene Auslegung der Rechtsmittelerklärungen (vgl. , NStZ-RR 2017, 105, 106; vom - 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88; Beschluss vom - 4 StR 528/13, NJW 2014, 871; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 9 f. mwN) ergibt, dass sich die den Angeklagten B.     betreffende Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch richtet. Diese Beschränkung ist wirksam.

III.

12Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in vollem Umfang Erfolg. Sowohl die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R.    und T.    als auch der Härteausgleich bei der den Angeklagten B.     betreffenden Strafzumessung begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

131. Nach der Vorschrift des § 55 StGB ist unter Anwendung der §§ 53 und 54 StGB nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein bereits rechtskräftig Verurteilter vor Erledigung der gegen ihn erkannten Strafe wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Diese Regelung soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach den §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, sodass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 7, 180, 181; Beschlüsse vom - 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; vom - 4 StR 441/10, StV 2011, 158; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 2). Hierbei kommt es maßgeblich allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 148/83, aaO; vom - 4 StR 22/12, wistra 2012, 221). Folgen der Beendigung der neu abgeurteilten Tat mehrere Verurteilungen des Täters nach, ist bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe von der frühesten nicht erledigten Verurteilung auszugehen. Dieser Verurteilung kommt regelmäßig - von hier nicht vorliegenden Ausnahmekonstellationen abgesehen - eine Zäsurwirkung zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 394/03, NStZ-RR 2004, 137; vom - 2 StR 215/06, NStZ 2007, 28; vom - 4 StR 53/18 Rn. 4; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 55 Rn. 11 mwN).

142. Nach diesen Grundsätzen können die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R.    und T.    nicht bestehen bleiben.

15a) Hinsichtlich des Angeklagten R.    hat das Landgericht neben der Freiheitsstrafe für die am begangene Raubtat zu Recht die (Einzel-)Strafen aus den Entscheidungen des Amtsgerichts Hagen vom und des Amtsgerichts Arnsberg vom zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe herangezogen, weil sämtliche Taten vor dem noch nicht erledigten Erkenntnis des Amtsgerichts Hagen vom beendet wurden. Dagegen besteht hinsichtlich der Strafe aus dem Strafbefehl des wie die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe selbst erkannt hat - keine Gesamtstrafenlage. Denn die dort abgeurteilte Tat wurde erst am und damit nach der zäsurbildenden Entscheidung des Amtsgerichts Hagen vom begangen. Die Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des hätte daher bestehen bleiben müssen. Dies hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge, die, da der Angeklagte durch die Einbeziehung der Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe beschwert ist, auch zugunsten des Angeklagten wirkt.

16b) Bei dem Angeklagten T.    hat die Strafkammer übersehen, dass der Wohnungseinbruchdiebstahl am zeitlich nach der noch nicht erledigten Verurteilung durch das Amtsgericht Arnsberg vom erfolgte. Sie hätte daher die für den Wohnungseinbruchdiebstahl verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten nicht in die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe einbeziehen dürfen. Ferner war - selbst für den Fall, dass die Verurteilungen durch das Amtsgericht Arnsberg vom und untereinander gesamtstrafenfähig waren - kein Härteausgleich veranlasst, weil die Geldstrafe durch Zahlung erledigt worden ist (vgl. , StraFo 2014, 30; vom - 2 StR 242/04; vom - 3 StR 59/89, NStZ 1990, 436).

173. a) Bezüglich des Angeklagten B.     hat das Landgericht zutreffend von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen. Denn die drei der abgeurteilten Raubtat zeitlich nachfolgenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Arnsberg sind sämtlich erledigt und entfalten daher keine Zäsurwirkung (st. Rspr.; vgl. nur , aaO; Fischer, StGB, aaO Rn. 10 mwN). Auch der Erlass einer Strafe im Gnadenwege führt zur Erledigung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. , NStZ 2010, 445, 448; Rissing-van Saan in LK-StGB, aaO Rn. 23).

18b) Die Erwägungen der Strafkammer zu dem für die unterbliebene Gesamtstrafenbildung zu gewährenden Härteausgleich halten indes einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

19Scheitert eine nach § 55 Abs. 1 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so fordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe (st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 31, 102, 103; vom - 1 StR 645/84, BGHSt 33, 131, 132; vom - 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80). Bezugspunkt für den zu gewährenden Härteausgleich ist die Gesamtstrafenbildung, wie sie ohne die eingetretene Erledigung der früheren Verurteilungen vorzunehmen gewesen wäre (vgl. , StV 2012, 596). Für die Bemessung des Härteausgleichs ist der Tatrichter daher gehalten, sich Klarheit über die ohne Berücksichtigung der Erledigung an sich gegebene Gesamtstrafenlage zu verschaffen. Das Landgericht hat mit Blick auf sämtliche Strafen aus den drei Erkenntnissen des Amtsgerichts Arnsberg vom , und einen Härteausgleich von drei Monaten gewährt. Dies wäre im Ansatz nur zutreffend, wenn die drei Verurteilungen untereinander gesamtstrafenfähig gewesen sind, weil alle Taten vor dem beendet wurden. Ob dies der Fall ist, lässt sich auf der Grundlage der Urteilsgründe, welche sich zu den Tatzeiten der jeweils abgeurteilten Taten nicht verhalten, nicht abschließend beurteilen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:081118U4STR269.18.0

Fundstelle(n):
XAAAH-05074