Steuerbefreiung für Schul- und Hochschulunterricht; Definition des Begriffs „Unterricht“
Leitsatz
NV: Die Steuerbefreiung für Umsätze eines Privatlehrers setzt voraus, dass die Unterrichtseinheiten zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende dienen. Dies ist nicht der Fall, wenn bei einer Leistung die Möglichkeit im Vordergrund steht, gemeinsam mit anderen Sport zu treiben.
Gesetze: UStG § 4 Nr. 14 Buchst. a; UStG § 12 Abs. 2 Nr. 9; UStG § 14c Abs. 1 Satz 1; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. j;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision darum, ob Umsätze der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) umsatzsteuerfrei sind.
2 Die Klägerin bietet Kurse für „Aquafitness“ an, die sie in stundenweise angemieteten Schwimmbädern durchführt. Weitere tatsächliche Feststellungen zu Inhalt, Umfang und Ablauf der Kurse hat das Finanzgericht (FG) nicht getroffen.
3 Die Klägerin trug zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung ihrer Leistungen zunächst vor, sie vermiete das Schwimmbad an die Kursteilnehmer, denen es freistehe, an Kursen für Wassergymnastik teilzunehmen oder selbst zu schwimmen, so dass § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eingreife. Ihre Leistungen unterlägen daher dem ermäßigten Steuersatz. Dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein „Aquafitness“ Kurs nicht als „Verabreichung eines Heilbads“ angesehen werden könne, sei daher unschädlich.
4 Später berief sich die Klägerin darauf, ihre Kurse seien nach § 4 Nr. 14 UStG oder gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsatzsteuerfrei.
5 Das FG gab der Klage ohne eine vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) beantragte Beweiserhebung statt und ließ die Revision nicht zu. Es führte aus, der konkrete Inhalt der Kurse sei zwar aus den eingereichten Unterlagen nicht direkt nachvollziehbar. Es handele sich aber bei den Kursen nicht um bloße Freizeitgestaltung. Die anders lautende Vermutung des FA sei eine Vermutung ins Blaue hinein. Das Gericht habe keinerlei Zweifel, dass die Leistungen der Klägerin belehrenden Inhalts gewesen seien.
6 Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht das FA geltend, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und die Grundsätze der Beweiserhebung (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) verletzt. Das FA habe beantragt, der Klägerin aufzugeben, das Konzept der Kurse zu erläutern. Dem sei das FG zu Unrecht nicht nachgekommen. Außerdem sei die Revision zur Fortbildung des Rechts, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Gründe
II.
7 Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor.
8 1. Das FG hat seine Sachaufklärungspflicht verletzt.
9 a) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben.
10 b) Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung liegt u.a. vor, wenn das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 6/15, BFH/NV 2015, 1265, Rz 12; vom III B 134/15, BFH/NV 2016, 1571, Rz 11). Ein solcher darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 11; vom X B 65/17, BFH/NV 2018, 517, Rz 27 f.).
11 c) Nach diesen Grundsätzen liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Das FG hat die entscheidungserheblichen Feststellungen zum (von ihm bejahten belehrenden) Konzept der Kurse nicht getroffen.
12 aa) Zutreffend hat das FG erkannt, dass sich die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung —entgegen ihrer deutschen Sprachfassung— nicht auf den „von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht“ bezieht, sondern —entsprechend den anderen Sprachfassungen der Richtlinie— auf „Unterrichtseinheiten, die von Unterrichtenden…erteilt werden und sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen“ (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— Eulitz vom C-473/08, EU:C:2010:47, BFH/NV 2010, 583, Rz 21 bis 23, 32 und 33; , BFH/NV 2016, 435).
13 bb) Dies setzt, was das FG nicht hinreichend beachtet hat, voraus, dass es sich um Unterrichtseinheiten zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende handeln muss (vgl. EuGH-Urteil Haderer vom C-445/05, EU:C:2007:344, BFH/NV 2007, Beilage 4, 394, Rz 26; , BFHE 258, 167, BStBl II 2017, 1017, Rz 31, m.w.N.), d.h., um eine Aus- und Fortbildung, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat (, BFHE 245, 391, BFH/NV 2014, 1175, Rz 20).
14 cc) Die unter II.1.c bb genannte Voraussetzung hatte das FA im Streitfall in Abrede gestellt und deshalb verlangt, dass die Klägerin das Konzept der Kurse erläutert. Das FG geht in seinem Urteil ebenfalls davon aus, der konkrete Inhalt der Kurse sei „aus den [eingereichten] Unterlagen…nicht direkt nachvollziehbar“. Der Inhalt der Kurse ist folglich unklar.
15 dd) Vor diesem Hintergrund hätte das FG Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Kurse der Klägerin belehrenden Inhalt haben (s. dazu unten unter II.3.a), und dies nicht auf ungesicherter Tatsachengrundlage ohne Beweiserhebung zugunsten der Klägerin einfach unterstellen dürfen.
16 d) Auf die Frage, ob das FA die Nichterhebung von Beweisen vor dem FG gerügt hat, kommt es im Streitfall nicht an (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 862, Rz 46 f.; BFH-Beschlüsse vom V B 145/16, BFH/NV 2018, 636, Rz 15; vom VII B 189/17, BFH/NV 2018, 1159, Rz 10; Werth in Gosch, FGO § 115 Rz 180), weil dem FG die Möglichkeit der Erhebung weiterer Beweise bewusst war und es erst im Urteil begründet hat, warum es davon ausgehe, es handele sich um eine Vermutung des FA „ins Blaue hinein“. Das FG ist daher selbst nicht von einem Rügeverzicht des FA ausgegangen.
17 2. Auf den Umstand, dass das Urteil des FG außerdem i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen ist (vgl. dazu , BFH/NV 2013, 1928), weil weder für die Beteiligten noch für den Senat überprüfbar ist, wie das FG zu seiner Vermutung gekommen ist, die Kurse der Klägerin hätten belehrenden Inhalt, wenn es selbst angibt, der konkrete Inhalt der Kurse sei „aus den [eingereichten] Unterlagen…nicht direkt nachvollziehbar“, kommt es deshalb nicht mehr an.
18 3. Der Senat weist zur Förderung des Verfahrens im zweiten Rechtsgang auf folgende Punkte hin:
19 a) Nach Aktenlage und auf Basis des Vortrags der Beteiligten ist noch nicht ersichtlich, dass die Leistungen der Klägerin belehrenden Inhalts sein könnten (a.A. , Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1699).
20 aa) Die Klägerin hat dazu erstens angegeben, es stehe den Kursteilnehmern frei, ob sie am Kurs teilnehmen oder lieber selbst schwimmen, was schon gegen einen belehrenden Inhalt der Kurse der Klägerin spricht.
21 bb) Zweitens umschreibt die Klägerin ihre Leistung selbst als „Wassergymnastik“ bzw. „Aquafitness“, ohne dass ersichtlich ist, dass der Schwerpunkt dieser Leistung der Klägerin darin liegen könnte, die Kursteilnehmer darin zu unterrichten, wie Wassergymnastik durchzuführen ist, um diese zu befähigen, später alleine Wassergymnastik zu betreiben oder entsprechende Kurse zu leiten. Vielmehr spricht der Vortrag der Beteiligten, der Vertragsinhalt und das allgemeine Verständnis der von den Beteiligten verwendeten Begriffe dafür, dass die Klägerin Kurse anbietet, bei denen die Kursteilnehmer als Trainingsgruppe gemeinsam und unter Anleitung durch einen Trainer (Übungsleiter) ein Ganzkörper-Bewegungstraining, bestehend aus Kraft- bzw. Konditionsübungen (ggf. mit Geräten), absolvieren, d.h., gemeinsam Sport treiben. Dabei mögen die Teilnehmer zwar in der (oder den) ersten Kursstunde(n) vom Trainer (auch) darin unterwiesen werden, wie bestimmte Übungen richtig durchzuführen sind. Dass dies jedoch in den nachfolgenden Kursstunden, die ebenfalls Gegenstand der Leistung der Klägerin sind, oder bei Personen, die den Kurs zur Verbesserung ihrer Fitness zum wiederholten Mal absolvieren, immer noch der Fall sein könnte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
22 b) Sollte das FG im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Feststellung des Kursinhalts zu der Auffassung gelangen, dass die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL darauf nicht anzuwenden ist, wird das FG weitere Feststellungen zu der von der Klägerin geltend gemachten Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG (vgl. dazu , BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904; vom V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679; vom XI R 19/12, BFHE 247, 276, BStBl II 2015, 310; vom XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451; BFH-Beschlüsse vom XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273; vom V B 100/13, BFH/NV 2014, 739) zu treffen haben.
23 c) Außerdem wird das FG wegen der Vorschrift des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG Feststellungen dazu treffen müssen, ob und ggf. wie die Klägerin, die in den Streitjahren davon ausging, ihre Leistungen unterlägen überwiegend dem ermäßigten Steuersatz, ihre Leistungen gegenüber den Kursteilnehmern abgerechnet hat.
24 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
25 5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO). Diese Vorschrift ist auch im Verfahren des § 116 Abs. 6 FGO anwendbar (vgl. , BFH/NV 2015, 1257, Rz 23, m.w.N.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:B.251018.XIB57.18.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2019 S. 130 Nr. 2
DStR 2019 S. 156 Nr. 4
DStRE 2019 S. 182 Nr. 3
KÖSDI 2019 S. 21145 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2019 S. 388
StuB-Bilanzreport Nr. 4/2019 S. 173
KAAAH-03428