Wirtschaftliche Eingliederung einer Bauträger-GmbH
Leitsatz
Die für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft erforderliche wirtschaftliche Eingliederung kann bereits dann vorliegen, wenn zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgrund gegenseitiger Förderung und Ergänzung mehr als nur unerhebliche wirtschaftliche Beziehungen bestehen; insbesondere braucht die Organgesellschaft nicht wirtschaftlich vom Organträger abhängig zu sein.
Gesetze: UStG 1991 § 2 Abs. 2 Nr. 2Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2
Instanzenzug: (EFG 2002, 290) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gründete im Jahr 1986 als Alleingesellschafter eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand vor allem die Tätigkeit als Bauträgerin und -betreuerin war. Zusätzlich zu seiner Stellung als einziger Geschäftsführer der GmbH war er für sie auch als Architekt tätig.
In seiner Umsatzsteuer-Erklärung für das Streitjahr 1992 wies der Kläger zunächst steuerpflichtige sonstige Leistungen in Höhe von 430 077 DM aus. Nach der Umsatzsteuer-Erklärung der GmbH führte diese im Streitjahr Umsätze in Höhe von 4 077 915 DM aus, wovon auf steuerpflichtige Umsätze 208 963 DM und auf nach § 4 Nr. 9a bzw. Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG) steuerfreie Umsätze 3 839 948 DM bzw. 29 004 DM entfielen.
In der Annahme einer Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wies der Kläger in der berichtigten Erklärung vom steuerpflichtige sonstige Leistungen von (nur noch) 128 963 DM aus. Dieser Betrag ergab sich nach Zurechnung der Umsätze der GmbH auf den Kläger unter Bereinigung von Umsätzen zwischen dem Kläger und der GmbH.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—), lehnte eine Änderung der nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung ab, da keine wirtschaftliche Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers gegeben sei.
Die dagegen gerichtete Klage hatte —wie das Vorverfahren— keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte ebenfalls das Vorliegen einer Organschaft, weil es an der wirtschaftlichen Eingliederung vollständig gefehlt habe (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 290). Im Streitfall könne die Bauträgergesellschaft schon auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nicht als Teil des Architekturbüros des Klägers angesehen werden. Sie habe wegen ihres Auftretens am Markt im Verhältnis zum Kläger nicht die Stellung einer abhängigen Geschäftsabteilung gehabt. Es fehle an einer Unterordnung unter die geschäftlichen Belange des Klägers; auch eine Zweckabhängigkeit vom Kläger liege nicht vor. Vielmehr sei der Kläger von den Aufträgen der GmbH abhängig. Daran ändere nichts, dass die GmbH Planungen und Konzeptionen des Klägers ausführe, denn letztlich seien die Vorstellungen der Kunden (Bauherren) maßgebend, denen sich auch der Kläger unterordnen müsse. Auch aus der im Anstellungsvertrag des Klägers erteilten Zustimmung der GmbH zum Betreiben des Architekturbüros ergebe sich die Abhängigkeit des Klägers. Im Streitfall seien die Architektenleistungen nur zu etwa 10 v.H. in die Wertschöpfung der GmbH eingegangen.
Zweifelhaft sei auch die organisatorische Eingliederung. Denn der Architekt sei eher gehalten, sich nach den Bedürfnissen der GmbH zu richten als umgekehrt.
Mit der Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sowie Verfahrensmängel geltend. Es liege eine Organschaft vor, bei der nach seinem Gesamtkonzept ausschließlich die GmbH als Bauträgerin seine Architektenleistungen habe verwerten sollen.
Er beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer 1992 auf ./. 16 882,50 DM festzusetzen; hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen.
Das FA tritt der Revision entgegen. Es verteidigt im Wesentlichen die Vorentscheidung und hält (wie diese) eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Organgesellschaft vom Organträger für erforderlich. Zudem weist es darauf hin, dass die vom Kläger begehrte Festsetzung der Umsatzsteuer auf einen negativen Betrag nicht in Betracht komme, sondern lediglich die Verpflichtung, den Bescheid entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen, da die Frage der Vorsteueraufteilung bei Vorliegen einer Organschaft von ihm (FA) noch geprüft werden müsse.
Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) trägt vor, eine Organgesellschaft müsse Aufgaben übernehmen, die auch der Organträger ausführen könne. Eine hier allenfalls vorliegende Zusatztätigkeit reiche nicht aus. Verfassungsrechtlich problematisch seien die durch die Organschaft eintretenden Wettbewerbsvorteile, da bei zu weiter Auslegung die an die Organisationsform des Unternehmens anknüpfenden Steuervergünstigungen evident sachwidrig sein könnten. Europarechtliche Bedenken ergäben sich vor allem daraus, dass der Begriff des Steuerpflichtigen weit, die Ausnahme des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) entsprechend eng auszulegen sei.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil sie auf unzutreffender Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG beruht. Im Streitjahr bestand zwischen dem Kläger und der GmbH als juristischer Person (§ 13 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung —GmbHG—) eine Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist. Es ist nicht erforderlich, dass alle drei Merkmale einer Eingliederung sich gleichermaßen deutlich feststellen lassen. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist (z.B. , BFH/NV 1998, 1534; vgl. auch vom V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167).
Aus der Regelung aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG folgt, dass die von der Organgesellschaft bewirkten Umsätze an Dritte dem Organträger zuzurechnen sind (, BFHE 195, 446, BStBl II 2002, 255, zu II. 5. a). Gleiches gilt für den Vorsteuerabzug auf Grund von Leistungsbezügen der Organgesellschaft (vgl. , BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, zu II. 2. b aa); Leistungen zwischen Organträger und Organgesellschaft (Innenleistungen) sind nicht steuerbar (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG; vgl. , BFH/NV 1990, 741, zu II. 1. c).
a) Zwischen den Beteiligten ist zutreffend die finanzielle Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers als deren Alleingesellschafter nicht umstritten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, zu II. 1. a).
b) Anders als das FG meint, bestehen auch keine Zweifel an der organisatorischen Eingliederung der GmbH, da dafür —die hier vorliegende— Personenidentität in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft ausreichend ist (BFH-Urteil in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, zu II. 1. c bb).
c) Entgegen der Auffassung des FG ist auch die wirtschaftliche Eingliederung gegeben. Für diese ist zwar charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint (BFH-Urteil in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, zu II. 1. b); es genügt aber schon, wenn zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung —sei es auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen— vorhanden ist. Die Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft müssen aufeinander abgestimmt sein. Sie müssen sich fördern und ergänzen (, BFH/NV 1998, 1534, m.w.N.).
Für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft kann somit eine den Betrieb der Untergesellschaft fördernde Tätigkeit der Obergesellschaft ausreichen (, BFHE 95, 353, BStBl II 1969, 413, m.w.N.). In Betracht kommt dabei neben Lieferungen von Waren auch das Erbringen sonstiger Leistungen (vgl. , BFHE 95, 558, BStBl II 1969, 505, zu 2. c). Z.B. genügt die Vermietung eines Betriebsgrundstückes, wenn dieses für die Organgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist, weil es die räumliche und funktionale Grundlage der Geschäftstätigkeit der Organgesellschaft bildet (vgl. , BFH/NV 2002, 223; , BFH/NV 2002, 1058, m.w.N.).
aa) Das FG hat mit der Begründung, die Architektenleistungen des Klägers betrügen nur einen unbedeutenden Anteil an den Umsätzen der Bauträger-GmbH, die wirtschaftliche Eingliederung verneint und sich dabei auf die (BFHE 80, 181, BStBl III 1964, 539) und vom V 42/60 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1963, 157) berufen. In diesen Entscheidungen hat der BFH eine wirtschaftliche Eingliederung einer Produktions- bzw. Handelsgesellschaft verneint, weil diese überwiegend Leistungen an dritte Abnehmer und nur unter anderem auch an die mit ihr finanziell verflochtene Gesellschaft erbracht hatte.
bb) Der Senat kann offen lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine umsatzorientierte Betrachtung gegen die Annahme einer wirtschaftlichen Eingliederung im Sinne einer gegenseitigen Förderung und Ergänzung sprechen kann. Im Streitfall ist die gegenseitige Förderung —wie auch das FA in der mündlichen Verhandlung nicht in Zweifel gezogen hat— offensichtlich. Die GmbH hat sämtliche für sie als Bauträgerin wesentlichen Architektenleistungen vom Kläger als herrschendem Unternehmen bezogen und der Kläger war als Architekt —wie sich aus den vom FG festgestellten Zahlen in dessen berichtigter Umsatzsteuererklärung ergibt— ausschließlich für die GmbH tätig. Hinzu kommt, dass wegen der deutlich ausgeprägten finanziellen und organisatorischen Eingliederung an die wirtschaftliche Eingliederung keine hohen Anforderungen mehr gestellt werden müssen.
cc) Die Unterordnung der GmbH folgt daraus, dass sie diese Tätigkeit gemäß dem Konzept des Organträgers ausgeübt hat. Das FG hat hierzu festgestellt, dass der Kläger die GmbH allein zum Zweck der Betätigung als Bauträgerin gründete. Eine wirtschaftliche Zweckabhängigkeit der Organgesellschaft wie sie nach § 14 des Körperschaftsteuergesetzes a.F. (KStG) gefordert wurde (vgl. , BFH/NV 2001, 1047), ist im Umsatzsteuerrecht nicht erforderlich; nach ständiger Rechtsprechung des Senats gelten für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft andere Voraussetzungen als für die Organschaft im Ertragsteuerrecht (vgl. , BFH/NV 2002, 376, zu II. 2.).
dd) Die mit der Organschaft im Streitfall im Übrigen nicht generell (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG) verbundenen Wettbewerbsvorteile sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da sie als eine der Folgen der vom Gesetzgeber für zweckmäßig erachteten Regelung hingenommen werden müssen (vgl. , BFH/NV 1996, 273, a.E., und des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, BStBl III 1967, 7, zu B. III. 2. und 3.).
ee) Der Annahme einer Organschaft steht auch Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG nicht entgegen, wonach die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln können.
Es ist zwar zutreffend, dass der Begriff des Steuerpflichtigen i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG weit auszulegen ist (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-80/95, Slg. I-1997, 745, Umsatzsteuer-Rundschau 1997, 141, Rn. 13); bei Annahme einer Organschaft wird jedoch —auch vorliegend— der Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer nicht verlassen.
Es bestehen auch keine Zweifel, dass die vorstehende Auslegung der wirtschaftlichen Eingliederung im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bleibt, so dass eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht kommt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, zu II. 2.; das die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen).
2. Da die Vorentscheidung bereits aus anderen Gründen aufzuheben war, musste über die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung unzureichender Sachaufklärung nicht mehr entschieden werden.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie war daher an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat —von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend— keine Feststellungen zur Aufteilung der Vorsteuern getroffen (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 UStG). Diese sind nachzuholen.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung darüber gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren (§ 149 FGO), für das die Vorinstanz zuständig ist (, BFHE 197, 546, BStBl II 2003, 237, und vom VI R 100/99, BFH/NV 2001, 21, je zu II. 3.).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 434
BB 2003 S. 1421 Nr. 27
BFH/NV 2003 S. 1131
BFH/NV 2003 S. 1131 Nr. 8
BStBl II 2004 S. 434 Nr. 9
DB 2002 S. 820 Nr. 16
DB 2003 S. 1661 Nr. 31
DStR 2003 S. 1166 Nr. 28
DStRE 2003 S. 896 Nr. 14
INF 2003 S. 530 Nr. 14
KÖSDI 2003 S. 13793 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4460
IAAAA-71903