BGH Beschluss v. - 2 StR 142/18

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung: Anwendungsbereich der fünfzehnjährigen Rückfallverjährungsfrist

Leitsatz

1. Die Rückfallverjährungsfrist von fünfzehn Jahren gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB ist nur im Verhältnis zweier Sexualstraftaten zueinander anwendbar.

2. Folgt eine Straftat aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität einer Sexualstraftat nach, so gilt die fünfjährige Rückfallverjährungsfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB.

Gesetze: § 66 Abs 4 S 3 Halbs 1 StGB, § 66 Abs 4 S 3 Halbs 2 StGB

Instanzenzug: Az: 21 KLs 31/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

2Das Rechtsmittel erweist sich zum Schuld- und zum Strafausspruch als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch hält die Maßregelanordnung rechtlicher Überprüfung nicht stand.

31. Das Landgericht hat die Maßregelanordnung auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt. Es hat die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht, wonach der Täter wegen Straftaten der in § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Art bereits zweimal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sein muss. Insoweit hat das Landgericht festgestellt:

4Wegen im Oktober 1990 sowie im Januar und Februar 1991 begangener Taten wurde der Angeklagte durch in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub, sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und schwerer räuberischer Erpressung, schweren Raubes sowie Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Er verbüßte die Jugendstrafe vollständig bis Februar 1997. Darüber hinaus wurde er wegen im Mai und im Juli 2003 begangener Taten des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach seiner bewährungsweisen Entlassung aus dem Straf- und Maßregelvollzug durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des beging der Angeklagte die verfahrensgegenständliche Anlasstat am .

52. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Das Landgericht hätte die Verurteilung des Angeklagten durch das unberücksichtigt lassen müssen. Insoweit ist bereits Rückfallverjährung eingetreten (§ 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB).

6a) Gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB bleibt eine frühere Tat außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Nach § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB beträgt die Frist „bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ fünfzehn Jahre. § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB stellt mit der „Rückfallverjährung“ die gesetzliche Vermutung auf, dass Vorverurteilungen nach einer „Wohlverhaltensphase“ von mehr als fünf Jahren bzw. von fünfzehn Jahren (Sexualstraftaten) in Freiheit für die Prognose irrelevant sind (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 291/03, BGHSt 49, 25, 28; MüKo-StGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 84). Eine Verwertung der Vorverurteilungen als Symptomtaten scheidet danach aus (, StraFo 2008, 435).

7b) Das Landgericht hat ersichtlich angenommen, dass die dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund zugrunde liegenden Sexualstraftaten nicht der sogenannten Rückfallverjährung unterliegen, weil insoweit § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB anzuwenden sei, der einer Verwertung einer Sexualstraftat erst nach einer Wohlverhaltensphase von fünfzehn Jahren entgegen steht. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Die Rückfallverjährungsfrist von fünfzehn Jahren gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB ist nur im Verhältnis zweier Sexualstraftaten zueinander anwendbar. Folgt eine Straftat aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität einer Sexualstraftat nach, so findet die fünfjährige Rückfallverjährungsfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB Anwendung (noch offen gelassen von , NStZ 2015, 210; ebenso Rissing-van Saan in Festschrift Roxin Band 2, 2011, S. 1173, 1182; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 66 Rn. 69).

8aa) Für diese einengende Auslegung dahin, dass die Frist von fünfzehn Jahren für den Eintritt der Rückfallverjährung auf Fälle beschränkt ist, in denen Sexualstraftaten einander nachfolgen, spricht bereits der Gesetzeswortlaut. Anderenfalls wäre nicht zu erklären, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Frist ausdrücklich auf „Sexualstraftaten“ beschränkt hat. Hätte er der längeren Rückfallverjährung einen weiteren Anwendungsbereich eröffnen wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich – etwa durch eine – dem Halbsatz 1 entsprechende und konkret auf die frühere Tat abstellende – Formulierung – zum Ausdruck zu bringen.

9bb) Für eine enge Auslegung der Vorschrift sprechen auch der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Wille des Gesetzgebers sowie der Zweck der Norm. Mit der durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom (BGBl. I vom , S. 2300) eingeführten und zum in Kraft getretenen Neuregelung sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass „kriminologische Untersuchungen“ die Annahme nahe legen, dass Sexualstraftäter „nicht ganz selten erst nach fünf bis zehn Jahren in Freiheit erstmalig rückfällig werden und sich insoweit deutlich von anderen Tätergruppen, wie zum Beispiel Räubern, unterscheiden“ (BT-Drucks. 17/3403, S. 25); die längere Rückfallverjährung sollte für „einschlägige“ Rückfälle gelten (so ausdrücklich BT-Drucks. 17/3403, S. 25). Die ursprünglich im Gesetzesentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP (BT-Drucks. 17/3403) für Sexualstraftaten vorgesehene besondere Rückfallverjährungsfrist von zehn Jahren wurde nach einer am durchgeführten Anhörung, in der von Expertenseite darauf hingewiesen worden war, dass eine Verlängerung auf zehn Jahre nach den Erfahrungen der Praxis noch nicht als ausreichend angesehen werden könne (vgl. BT-Drucks. 17/4602, S. 14) – der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 17/4062, S. 1) folgend – auf fünfzehn Jahre angehoben, ohne dass sich diese beschränkte Zielsetzung verändert hätte (vgl. Kreuzer, StV 2011, 122, 129; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 66 Rn. 19; kritisch Pfister, FPPK 2011, 82, 86).

10Damit hat der Gesetzgeber einer Besonderheit Rechnung getragen, die ausschließlich für Sexualstraftäter Geltung beansprucht. Weil sie – im Gegensatz zu Straftätern aus den anderen in § 66 Abs. 1 StGB benannten Deliktsbereichen – nach forensischer Erfahrung häufig deutlich später rückfällig werden, soll die „Wohlverhaltensphase“, an die das Gesetz die Vermutung mangelnder Prognoserelevanz der Vortat knüpft, um das Dreifache verlängert werden.

11cc) Für eine einengende Auslegung der Norm sprechen auch systematische Gründe, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Ein solches Verständnis der Vorschrift erscheint schließlich auch vorzugswürdig, weil eine auf fünfzehn Jahre bemessene Rückfallverjährung in ein Spannungsverhältnis zur Feststellung des Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu geraten droht, der für die Verhängung der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung konstitutiv ist (vgl. Pfister, aaO; ebenso Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 67).

123. Bei dieser Sachlage kann der Maßregelausspruch keinen Bestand haben.

13Der neue Tatrichter wird nunmehr zu prüfen haben, ob er auf der Grundlage des § 66 Abs. 3 StGB Sicherungsverwahrung anordnet; diese Entscheidung steht in seinem Ermessen (vgl. , NStZ-RR 2004, 12). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:280818B2STR142.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 47
NJW 2018 S. 3529 Nr. 48
GAAAG-96359