BFH Beschluss v. - IX B 79/03

Positive Kenntnis ernstlicher Meinungsverschiedenheiten

Gesetze: AO § 183

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zum Teil sind die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben (s. unter 1.), zum Teil (s. unter 2.) entspricht die Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO) liegen nicht vor.

Zwar weist die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zutreffend darauf hin, dass zur Frage der Auslegung des Merkmals ”ernstliche Meinungsverschiedenheiten” i.S. des § 183 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) —soweit ersichtlich— keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorhanden ist. Es kann indes mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben, ob Finanzgerichts-Rechtsprechung (Finanzgericht —FG— München vom   1 K 2355/91, nicht veröffentlicht —n.v.—, juris; wie auch das FG im Streitfall) und Literatur (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 183 AO Rz. 78; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 183 AO Tz. 25; Schwarz/ Frotscher, Abgabenordnung, § 183 Rz. 24; Beermann/Kunz, Steuerliches Verfahrensrecht, § 183 AO Rz. 19) einheitlich darunter Differenzen verstehen, die das Vertrauensverhältnis, die Zusammenarbeit und den Informationsfluss stören oder zu stören geeignet sind.

Es ist zwar richtig, dass man aufgrund der angegebenen nunmehr abweichenden Wohnanschrift der beiden Gesellschafter und ehemaligen Lebenspartner auch auf Meinungsverschiedenheiten hätte schließen können; daraus ergibt sich aber nicht einmal, ob diese —wie erforderlich— über eine bloß sachliche Auseinandersetzung der Beteiligten untereinander hinausgehen. Bei derart anzustellenden Überlegungen handelt es sich zudem nur um mögliche, aber nicht zwingende Schlussfolgerungen aus der mitgeteilten Tatsache (neue Wohnanschrift), nicht jedoch um die nach § 183 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 erforderliche positive Kenntnis (vgl. , BFH/NV 1997, 734, unter 3. a bb; Söhn, a.a.O., § 183 AO Rz. 64; Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 183 Rz. 28: ein Kennenmüssen reicht nicht) ernstlicher Meinungsverschiedenheiten.

Auch unter Berücksichtigung der nach § 88 AO 1977 dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) auferlegten Ermittlungspflicht ist es Sache der Beteiligten, das FA vom Vorliegen ernstlicher Meinungsverschiedenheiten ausreichend in Kenntnis zu setzen, um eine Bekanntgabe eines Feststellungsbescheids nicht nur an den Empfangsbevollmächtigten sicherzustellen. Insoweit hat die Klägerin bereits ihren Mitwirkungspflichten infolge der Mitteilung lediglich unvollständiger Angaben zum Thema ”Meinungsverschiedenheiten” nicht genügt; daher kann sie sich auch nicht über Treu und Glauben auf ein evtl. Nicht-Einhalten der Ermittlungspflicht des FA berufen.

2. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Erforderlichkeit einer Rechtsfortbildung hinsichtlich der gerügten Auslegung des Begriffs ”ohne Verschulden” i.S. des § 110 Abs. 1 AO 1977 nicht hinreichend dargelegt. So fehlt es an der erforderlichen Auseinandersetzung (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1331, unter 1., m.w.N.) mit den zur aufgeworfenen Frage in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen. Danach schließt jedes (Mit-)Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung aus (vgl. , BFH/NV 1998, 1056; vom I R 33/99, BFH/NV 2001, 410; Söhn, a.a.O., § 110 AO Rz. 14; Schwarz, a.a.O., § 110 Rz. 4, und Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 56 Rz. 15). Bei —wie hier— bereits vorhandener Rechtsprechung des BFH ist zusätzlich darzutun, weshalb gleichwohl eine erneute Entscheidung erforderlich sein soll (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 85/99, BFH/NV 2000, 472; vom XI B 37/01, BFH/NV 2002, 511); auch daran fehlt es.

Im Übrigen rügt die Klägerin lediglich die fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG, womit jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden kann (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 11
BFH/NV 2004 S. 11 Nr. 1
BAAAA-71512