Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung gegenüber einem Vertreter mit Anscheins- und Duldungsvollmacht
Gesetze: AO § 122 Abs. 1, § 80
Gründe
Die Beschwerde, mit der die Zulassung der Revision gegen das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begehrt wird, ist unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist die Zulassung der Revision nicht zur Fortbildung des Rechts geboten, weil die FG-Entscheidung auf der —ausdrücklich vom FG in Bezug genommenen— Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Auslegung des § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) bei Bekanntgabe von Bescheiden an Personen mit Duldungs- oder Anscheinsvollmacht des Steuerpflichtigen beruht und die Grundsätze dieser Rechtsprechung auch für die Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden gelten.
1. Nach Auffassung des Klägers haben der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) und das FG seinen Einspruch gegen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu Unrecht als verfristet angesehen, da dieser nicht an den von ihm dem FA gegenüber benannten Empfangsbevollmächtigten, sondern an seinen nach Einreichen der Steuererklärung 1997 für ihn tätig gewordenen Verfahrensbevollmächtigten und damit unwirksam bekannt gegeben worden sei. Die Wirksamkeit der Bekanntgabe lasse sich entgegen der Ansicht des FG nicht unter Hinweis auf eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht des Verfahrensbevollmächtigten stützen; soweit der BFH eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe an einen Vertreter habe ausreichen lassen (Beschluss vom XI B 174/96, BFH/NV 1998, 17), beziehe sich diese Rechtsprechung lediglich auf die Bekanntgabe von Prüfungsanordnungen und sei auf die Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden —insbesondere bei erheblicher Abweichung der Festsetzung von der Einkommensteuererklärung— nicht anwendbar.
2. Diese Ausführungen lassen einen Grund für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht erkennen.
a) Das FG hat unter Hinweis auf den BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 17 die Auffassung vertreten, dass der nach Einreichen der Einkommensteuererklärung 1997 für den Kläger mehrfach im Einkommensteuerveranlagungsverfahren und insbesondere im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 aufgetretene Vertreter nach den Grundsätzen zur Anscheins- und Duldungsvollmacht als Empfangsbevollmächtigter anzusehen und die ihm gegenüber vorgenommene Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids deshalb nach Maßgabe des § 122 AO 1977 wirksam war.
b) Dem dagegen erhobenen Einwand des Klägers, die für diese Entscheidung in Bezug genommene BFH-Rechtsprechung sei zu Prüfungsanordnungen ergangen und könne deshalb auf die Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden nicht ohne weiteres angewendet werden, folgt der Senat nicht; denn diese Rechtsprechung beruht auf einer Auslegung des § 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, der nicht nur für Prüfungsanordnungen, sondern ohne Differenzierung gleichermaßen für alle Steuerverwaltungsakte und damit auch für Einkommensteuerbescheide —wie im Streitfall— gilt.
Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt dem Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Er kann auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Dies schließt eine Bekanntgabe an Personen ein, die nach Rechtsscheingrundsätzen bevollmächtigt sind (vgl. , BFH/NV 2002, 1122, m.w.N); denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum braucht die Bevollmächtigung nicht ausdrücklich zu erfolgen. Als Bevollmächtigter i.S. der §§ 80 Abs. 1 Satz 1, 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 gilt auch derjenige, der ohne Vollmacht gegenüber den Finanzbehörden wie ein Bevollmächtigter auftritt, wenn der von ihm durch sein Auftreten erzeugte Rechtsschein der Bevollmächtigung dem Vertretenen zurechenbar ist (, BFHE 118, 49, 54, BStBl II 1976, 344; vom VII R 60/84, BFHE 150, 93; vom IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 80 AO Anm. 90 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 80 AO Tz. 10).
Dabei wird von einer Anscheinsvollmacht gesprochen, wenn der Vertretene das Handeln eines angeblichen Vertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn ferner der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln seines Vertreters. Eine Duldungsvollmacht, deren dogmatische Einordnung im Einzelnen umstritten ist (vgl. dazu Nachweise in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120), liegt vor, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist (BFH-Urteil in BFHE 118, 49, 54, BStBl II 1976, 344, 346). Die im Schrifttum vereinzelt gegen die Annahme einer Anscheinsvollmacht geäußerten Bedenken (Krause, Verwaltungsarchiv, Band 61, 1970, 297, 314) haben dem Senat keine Veranlassung gegeben, von den allgemein anerkannten Grundsätzen zur Anscheins- und Duldungsvollmacht bei der Auslegung des § 122 AO 1977 abzuweichen, zumal das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch eine nur mündlich oder nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht schlüssig erteilte Vollmacht genügt (Beschluss vom 1 BvR 338/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1986, 259; vgl. dazu BFH-Entscheidung in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120). Der Vortrag des Klägers lässt keine neuen Gesichtspunkte erkennen, die ein Überdenken dieser Rechtsprechung nahelegen könnten.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 884
BFH/NV 2003 S. 884 Nr. 7
MAAAA-71449