BGH Urteil v. - 2 StR 76/17

Keine Unvoreingenommenheit eines Richters bei Hinweis auf Bedeutung eines Geständnisses

Gesetze: § 25 Abs 2 S 1 Nr 2 StPO, § 338 Nr 3 StPO

Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 700 Js 36396/12 WI - 18 KLs

Gründe

1Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Beihilfe zum Betrug in zehn tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils und Zurückverweisung der Sache durch Senatsbeschluss vom - 2 StR 49/15 - (StV 2016, 272 f.) hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Beihilfe zum Betrug in neun tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der frühere Mitangeklagte W.       ein Unternehmen, das Kunden größere Darlehen ohne Kreditsicherheiten und Bonitätsprüfung in Aussicht stellte. Die Vergabe der Darlehen sollte angeblich nur von der Zahlung einer Bearbeitungsgebühr abhängig sein. Tatsächlich hatte W.        weder die Absicht noch eine Möglichkeit dazu, entsprechende Darlehen zu gewähren. Es ging ihm nur darum, im Rahmen eines Schneeballsystems eine sogenannte Bearbeitungsgebühr zu kassieren. Der Angeklagte, der früher selbst von W.      betrogen worden war, und der frühere Mitangeklagte N.       unterstützten die betrügerischen Machenschaften insbesondere dadurch, dass sie in Kenntnis der Täuschung solche Kunden hinhielten, welche die Darlehensauszahlung anmahnten. Bisweilen kam es dazu, dass der Angeklagte Telefongespräche führte, die von anwesenden Kunden mitgehört werden konnten. Dabei wurde ihnen mitunter ein „Theaterstück“ eines Gesprächs mit einem angeblich angerufenen „Banker G.   “ über ausstehende Darlehenszahlungen vorgespielt. W.     spielte dabei die Rolle des angeblich zur bevorzugten Behandlung des das Telefonat mithörenden Darlehenskunden bereiten Bankiers.

II.

3Die Revision ist im Wesentlichen bereits aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen unbegründet. Der Erörterung bedarf nur eine Verfahrensrüge. Damit macht der Beschwerdeführer die Fehlerhaftigkeit der Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs des Angeklagten gegen den Vorsitzenden der Strafkammer als unzulässig wegen Verspätung im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO geltend.

41. Dem lag Folgendes zugrunde:

5Am ersten Verhandlungstag hatte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger geäußert, der Angeklagte könne ein Geständnis ablegen. Aufgrund des Zeitablaufs könne die Strafe dann etwas geringer als im ersten Urteil ausfallen. Falls kein Geständnis abgelegt werde, könne das Gericht das erste Urteil praktisch „abschreiben“. Daraufhin hatte der Verteidiger auf seine Ausführungen zur Sachrüge gegen das erste Urteil verwiesen. Der Vorsitzende hatte erwidert, der Angeklagte könne auch freigesprochen werden. Die Hauptverhandlung könnte dann sieben Tage oder länger andauern. Das Gericht habe ein „Heimspiel“. Der Verteidiger hatte dazu bemerkt, dass der Angeklagte kein Geständnis ablegen werde.

6Am zweiten Tag der Hauptverhandlung, dem , vernahm das Gericht unter anderem den Zeugen                F.        . Nach der Entlassung dieses Zeugen erklärte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger: „Sie können sich überlegen, ob Sie ein Geständnis ablegen. Das mit dem Banker G.    macht nur Sinn, wenn er Dreck am Stecken hat.“ Der Verteidiger erwiderte, er selbst könne kein Geständnis ablegen, weil er beim Tatgeschehen nicht anwesend gewesen sei. Dazu bemerkte der Vorsitzende, er könne sich doch nur an ihn, den Verteidiger, wenden, weil der Angeklagte sich nicht zur Sache äußere.

7Nach diesem Wortwechsel erschien der Zeuge N.         , der über seine Zeugenpflichten belehrt und vernommen wurde. Im Anschluss an die Entlassung dieses Zeugen entstand im Sitzungssaal von 11.07 bis 11.21 Uhr eine Pause, bis der Zeuge W.       vorgeführt wurde. Der Verteidiger beantragte hiernach eine Unterbrechung der Hauptverhandlung für 45 Minuten, um „einen unaufschiebbaren Antrag“ zu stellen. Daraufhin wurde der Zeuge W.      wieder abgeführt und die Hauptverhandlung von 11.24 bis 13.01 Uhr unterbrochen. Dann stellte der Verteidiger für den Angeklagten einen Ablehnungsantrag. Darin machte er die genannte Äußerung des Vorsitzenden zum Ablehnungsgrund: „Das mit dem Banker G.   macht nur Sinn, wenn er Dreck am Stecken hat“. Er erläuterte, diese Äußerung werde vom Angeklagten auch vor dem Hintergrund der Äußerung des Vorsitzenden vom ersten Verhandlungstag bewertet, das Gericht könne das erste Urteil praktisch „abschreiben“. Diese Erklärungen sehe er ferner im Zusammenhang mit der Bemerkung, das Gericht habe ein „Heimspiel“. Der Angeklagte habe unter Zurückstellung von Bedenken die Äußerungen des Vorsitzenden am ersten Verhandlungstag noch nicht zum Anlass genommen, die Besorgnis der Befangenheit geltend zu machen. Seine Hoffnung, es habe sich nur um eine missverständliche Formulierung gehandelt, sei jedoch enttäuscht worden. Er gehe davon aus, dass der Vorsitzende Druck auf ihn ausüben wolle, damit er ein Geständnis ablege.

8Zu Beginn des nächsten Sitzungstages verkündete der Vorsitzende den Gerichtsbeschluss:

„Die Ablehnung wird als unzulässig verworfen, weil sie verspätet, nämlich nicht bis zum Beginn [der Vernehmung] des Zeugen N.      , geltend gemacht worden ist.

Das Ablehnungsgesuch hätte bis zur Vernehmung dieses Zeugen erfolgen müssen. Nach der Vernehmung des Zeugen F.       entstand eine Pause, während dieser der Zeuge N.        aus den Haftzellen vorgeführt werden musste. In dieser Zeit hätten der Angeklagte und sein Verteidiger eine Unterbrechung - wie sie es nach der Vernehmung des Zeugen N.        getan haben - beantragen können, um das aus ihrer Sicht erforderliche Ablehnungsgesuch formulieren zu können. Das war nicht der Fall. Vielmehr haben der Angeklagte und sein Verteidiger die Vernehmung des Zeugen N.      abgewartet.“

92. Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO ist unbegründet.

10a) Gemäß § 338 Nr. 3 StPO ist das Urteil unter anderem dann als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn bei dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist. Mit Unrecht verworfen ist das Ablehnungsgesuch vor allem, wenn es zulässig und sachlich begründet war. Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann im Einzelfall allerdings auch vorliegen, wenn das Tatgericht über das Ablehnungsgesuch fehlerhaft in der Besetzung mit dem abgelehnten Richter entschieden hat (vgl. , BGHSt 50, 216, 218). Der Beschwerdeführer hat jedoch nur vorgetragen, die Strafkammer sei zu Unrecht von einer Verspätung der Richterablehnung im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen. Eine solche Entscheidung über die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig hätte indes sowohl von der Strafkammer in der Besetzung mit dem abgelehnten Richter (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) und den Schöffen (, NStZ 2015, 175) als auch von der Strafkammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne den abgelehnten Richter (§ 27 Abs. 1 StPO) und ohne Schöffen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) erlassen werden können. Dem Rügevorbringen ist nicht zu entnehmen, in welcher Besetzung die Strafkammer entschieden hat. Die Verfahrensbeanstandung ist vielmehr auf die Rüge beschränkt, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, das Ablehnungsgesuch sei nicht unverzüglich angebracht worden.

11Mit dieser Zielrichtung ist die Rüge - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig; denn der Beschwerdeführer hat alle Prozesstatsachen vorgetragen, die zur Beurteilung dieses begrenzten Revisionsangriffs erforderlich sind.

12b) Es kann offen bleiben, ob das Landgericht zu Recht angenommen hat, das Ablehnungsgesuch sei entgegen § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht unverzüglich angebracht worden. Jedenfalls hat die Strafkammer nicht willkürlich entschieden.

13Willkür liegt nur vor, wenn die Entscheidung des Gerichts auf grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes beruht und daher offensichtlich unhaltbar ist. Ebenso zu behandeln ist der Fall, dass das Gericht bei der Rechtsanwendung die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter grundlegend verkennt. Beides ist hier nicht der Fall.

14Zu berücksichtigen ist nämlich, dass der Beschwerdeführer bereits am ersten Verhandlungstag Überlegungen im Hinblick auf eine Richterablehnung angestellt, dann aber zurückgestellt hatte. Am zweiten Verhandlungstag hatte er im Anschluss an die später beanstandete Äußerung des abgelehnten Vorsitzenden zuerst das Ende der Vernehmung des Zeugen N.       und sodann das Ende der 14-minütigen Pause bis zur Vorführung des Zeugen W.       verstreichen lassen, bevor er eine förmliche Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Besprechung und Vorbereitung seines Ablehnungsgesuchs beantragt hat. Es folgte eine 97-minütige Unterbrechung der Hauptverhandlung; danach hat er das Ablehnungsgesuch angebracht. Ob die Richterablehnung dann noch unverzüglich im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden ist, ist zumindest zweifelhaft. Jedenfalls verletzt die entsprechende Annahme nicht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

15c) Der Senat kann danach offen lassen, ob das Ablehnungsgesuch tatsächlich verspätet war. Ist keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Ablehnungsverfahren festzustellen, hat das Revisionsgericht nach Beschwerdegrundsätzen über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden (, NStZ 2007, 161, 162; Senat, Beschluss vom - 2 StR 261/08, NStZ 2009, 223, 224; Beschluss vom - 2 StR 479/08, NStZ-RR 2009, 142; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 338 Rn. 28). Diese Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass die Richterablehnung durch den Beschwerdeführer jedenfalls unbegründet ist und deshalb nicht mit Unrecht verworfen wurde. Der Hinweis des abgelehnten Vorsitzenden an den Verteidiger: „Sie können sich überlegen, ob Sie ein Geständnis ablegen. Das mit dem Banker G.   macht nur Sinn, wenn er Dreck am Stecken hat“, rechtfertigte im Ergebnis nicht die Besorgnis, er stehe dem Angeklagten nicht unvoreingenommen gegenüber.

16aa) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist bei dem Ablehnenden berechtigt, wenn er bei einer verständigen Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, welche die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein „vernünftiger“ (, BGHSt 43, 16, 18) oder „verständiger“ Angeklagter (, BGHSt 41, 69, 71). Aus der Verhandlungsführung des abgelehnten Richters kann sich im Einzelfall ein berechtigtes Misstrauen in dessen Unvoreingenommenheit ergeben, wenn er den Angeklagten bedrängt, zur Sache auszusagen oder ein Geständnis abzulegen (vgl. , NStZ 2007, 711, 712). Nicht zu beanstanden ist es hingegen, wenn der Vorsitzende, gegebenenfalls auch in nachdrücklicher Form, auf das nach dem gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis hinweist oder die Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung hervorhebt (vgl. , BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 12; Urteil vom - 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209).

17bb) Gemessen hieran erweist sich das Ablehnungsgesuch als unbegründet.

18Die beanstandete Äußerung des Vorsitzenden begründet unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit. Zwar hat der Vorsitzende mit seiner an den Verteidiger adressierten Bemerkung dem Angeklagten nahe gelegt, ein Geständnis abzulegen. Der diese Anregung erläuternde Hinweis, „das mit dem Banker G.   mache nur Sinn, wenn er Dreck am Stecken“ habe, nahm ersichtlich auf die nach Aktenlage bestehende Beweislage Bezug und erscheint - ungeachtet der unangemessen anmutenden Wortwahl - vor dem Hintergrund des Verfahrensstands noch als nachvollziehbar; der Angeklagte war in einem ersten Durchgang - maßgeblich auf der Grundlage der Angaben des Zeugen W.      , der die Taten sowie die Beteiligung des Angeklagten an ihnen einschließlich des vom Vorsitzenden angesprochenen „Theaterstücks“ geschildert hatte - als Mittäter verurteilt worden.

19Vor diesem Hintergrund war die Äußerung des Vorsitzenden als eine vorläufige Bewertung der Beweislage zu verstehen und deutete weder für sich genommen noch im Hinblick auf die vorangegangenen Äußerungen des Vorsitzenden auf eine Vorfestlegung hin.

20Eine vorläufige Bewertung der Sach- und Rechtslage durch einen Richter ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (, NStZ 2011, 590, 591 mwN). Liegt eine erdrückende Beweislage vor, kann der Richter darauf und auf die verbleibenden Möglichkeiten einer sinnvollen Strafmaßverteidigung hinweisen, ohne seine Pflicht zur Neutralität und Objektivität zu verletzen. Nur in diesem Sinn sind die beanstandeten Bemerkungen hier auch in der Gesamtschau zu verstehen. Ein Hinweis auf das aktuelle Vorliegen einer erdrückenden Beweislage lässt schließlich nicht besorgen, dass andere Verteidigungsmittel als ein Geständnis nicht mehr berücksichtigt werden würden, wenn sie später vorgebracht würden; dass dies geschehen sei, hat die Revision im Übrigen nicht behauptet.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:100118U2STR76.17.0

Fundstelle(n):
PAAAG-93456