Rückforderungsanspruch von Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO; Leistungsempfänger bei Zahlung an Dritte
Gesetze: AO § 37; EStG §§ 31, 64, 70
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im April 1994 Kindergeld für seine Kinder A, B und C. Seine Ehefrau erklärte sich in dem Antrag damit einverstanden, dass das Kindergeld an den Kläger gezahlt wird. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) überwies das Kindergeld auf das im Antrag bezeichnete Bankkonto bei der X-Bank in Z. Dass es sich dabei um ein Konto der Ehefrau handelte, über das nur diese Verfügungsbefugnis besaß, war aus dem Antrag weder ersichtlich noch dem Beklagten bekannt.
Nachdem der Beklagte erfahren hatte, dass der Kläger im Februar 1996 aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen war und sich die Kinder seit dieser Zeit nur im Haushalt der Ehefrau aufhielten, hob er die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom ... Mai 1997 auf und forderte das für März 1996 bis März 1997 an den Kläger gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt ... DM zurück. Der Ehefrau des Klägers, die im April 1997 Kindergeld beantragt hatte, zahlte der Beklagte nachträglich Kindergeld ab dem Zeitraum Juli 1996. Bei dieser Zahlung war dem Beklagten bekannt, dass das Kindergeld auch zuvor nicht auf ein Konto des Klägers, sondern auf ein Konto der Ehefrau geflossen war.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 829 veröffentlichten Urteil ab.
Das FG entschied, nach der Trennung des Klägers von seiner Familie habe dieser keinen Anspruch mehr auf Zahlung des Kindergeldes gehabt. Das Kindergeld habe ab diesem Zeitpunkt der Kindesmutter zugestanden und der Beklagte habe wegen einer Änderung der Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufheben und das ohne rechtlichen Grund an den Kläger entrichtete Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) von diesem zurückfordern können.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung der §§ 64, 70 Abs. 2 EStG und des § 37 Abs. 2 AO 1977.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom ... Mai 1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... Juli 1997 und das Urteil des aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Kläger gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet war, das an ihn für die Zeit ab März 1996 gezahlte Kindergeld an den Beklagten zu erstatten.
1. Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, dass eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet (Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 64 EStG Rdnr. 12). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld nach dem sog. Obhutsprinzip demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem Berechtigten im Haushalt lebt (vgl. , BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liegt darin nicht (vgl. , BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).
2. Im Streitfall haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnisse dadurch geändert, dass die Kinder nach dem Auszug des Klägers aus der ehelichen Wohnung im Februar 1996 nur noch bei ihrer Mutter lebten und in deren Haushalt aufgenommen waren. Ab diesem Zeitpunkt stand das Kindergeld daher nicht mehr dem Kläger, sondern der Kindesmutter zu. Demgemäß war die bisherige Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Klägers vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Einen Entscheidungsspielraum besitzt die Verwaltung insoweit nicht (Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 70 Rdnr. C 13; BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).
Aufgrund der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab März 1996 war der Kläger daher gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, das an ihn seit diesem Zeitpunkt gezahlte Kindergeld von insgesamt ... DM zu erstatten. Denn ist eine Steuervergütung (vgl. § 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: der Beklagte) nach § 37 Abs. 2 AO 1977 gegenüber dem Leistungsempfänger (hier: der Kläger) einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid des Beklagten vom ... Mai 1997 ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger weggefallen. Dieser ist —wie vom FG richtig erkannt— daher verpflichtet, den zurückgeforderten Betrag von ... DM an den Beklagten zu erstatten.
Ob sich der Kläger gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG bzw. gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten unter Umständen auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen kann, lässt der Senat dahingestellt. Denn das kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger als ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht verletzt hat (vgl. Felix in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 70 Rz. C 17). Gemäß § 68 Abs. 1 EStG hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Der Haushaltswechsel eines Kindes ist eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse in diesem Sinne (vgl. auch Nr. 17 des Kindergeldmerkblattes, BStBl I 1996, 1073, 1100), die der Kläger jedoch nicht angezeigt hat.
3. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, das Kindergeld sei auf ein Konto seiner Ehefrau überwiesen worden und Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 sei deshalb nicht er, sondern seine Ehefrau. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung, der der erkennende Senat folgt, ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977, wenn die Behörde u.a. aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigten an einen Dritten zahlt (vgl. , BFH/NV 2001, 1117, m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 37 AO 1977 Tz. 113 a). Denn auch in einem derartigen Fall erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu erfüllen. Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 anzusehen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 1117; , BFH/NV 2001, 1635). Diese Grundsätze gelten auch im steuerlichen Kindergeldrecht, da Kindergeld als Steuervergütung (vgl. § 31 Satz 3 EStG) gezahlt wird.
Auch im Streitfall war der Kläger Leistungsempfänger des ohne Rechtsgrund gezahlten Kindergeldes. Zwar hat der Beklagte das Kindergeld auf ein Konto der Ehefrau des Klägers überwiesen; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger mit der Angabe des Kontos seiner Ehefrau im Kindergeldantrag dem Beklagten die Anweisung erteilt hatte, auf dieses (von ihm benannte) Konto zu überweisen. Der Beklagte konnte daher mit befreiender Wirkung gegenüber dem Kläger das Kindergeld auf dieses Konto zahlen, und zwar unabhängig davon, dass ihm im Zeitpunkt der Zahlung weder bekannt noch für ihn erkennbar war, dass es sich bei dem im Kindergeldantrag bezeichneten Konto nicht um das Konto des Klägers, sondern um das Konto der Kindesmutter handelte.
4. Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht darauf berufen, er habe das Kindergeld an die Kindesmutter als vorrangig Berechtigte weitergeleitet. Nach 64.4 Abs. 3 ff. der Dienstanweisung des Bundesamts für Finanzen (BfF) zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) zu § 64 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann der Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Berechtigten und der Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn Letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben, und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt (vgl. , BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im , BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom , BStBl I 1998, 386, 441 ff.; vgl. auch , BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten —neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG—). Der in DA-FamEStG 64.4 Abs. 4 bis 8 vorgesehenen Form hat der Kläger jedoch nicht Genüge getan und auch sonst keine Gründe vorgebracht, die eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten. Weder hat der Kläger die erforderliche schriftliche Bestätigung der Kindesmutter als vorrangig Berechtigter auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck vorgelegt, noch hat diese die Weiterleitung des Kindergeldes bestätigt und insbesondere auch nicht deutlich gemacht, ihren eigenen Anspruch auf Kindergeld als erfüllt anzusehen. Zudem hat der Kläger einen entsprechenden Erlassantrag nicht gestellt. Wie der Senat bereits mit Urteil vom VIII R 64/00 (BFH/NV 2002, 1425) dargelegt hat, kann bei dieser Sachlage offen bleiben, ob es sich bei einer auf 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG gestützten Entscheidung der Familienkasse um eine erlassähnliche Billigkeitsentscheidung der Verwaltung gemäß §§ 163, 227 AO 1977 handelt, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und die grundsätzlich nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann, oder ob Gegenstand der Bestimmungen in 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG nicht der Erlass einer Billigkeitsmaßnahme, sondern der Abschluss eines sog. Verrechnungsvertrages ist.
5. Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 90 Abs. 2, 121 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 905
BFH/NV 2003 S. 905 Nr. 7
BAAAA-71337