BFH Beschluss v. - V S 13/02

Leistungsaustausch bei Aufnahme eines atypisch stillen Gesellschafters in eine Gesellschaft gegen Zahlung einer Bar- einlage (AdV-Verfahren)

Gesetze: UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 69

Gründe

I. Die Antragstellerin ist Rechtsnachfolgerin der V-AG. Diese betrieb den Erwerb, die Verwaltung und die Verwertung von Immobilien, Wertpapieren, Beteiligungen sowie Vermögensanlagen jeglicher Art. Das hierfür erforderliche Kapital erwarb sie durch die Ausgabe sowohl von Aktien als auch von atypisch stillen Beteiligungen, die sie in Art einer Publikumsgesellschaft an eine Vielzahl stiller Gesellschafter ausgab.

Im Streitjahr 1994 bezog die V-AG verschiedene Leistungen von der S-AG, u.a. das Marketing-Management und das Marketing-Controlling für die Emission von Aktien und stillem Beteiligungskapital (Vertrag vom ) sowie Werbeleistungen (Vertrag vom ). Der Anteil der von ihr im Streitjahr ausgeführten steuerpflichtigen Umsätze an den Gesamtumsätzen betrug 45,68 v.H.

Mit ihrer (berichtigten) Umsatzsteuererklärung für 1994 vom berechnete die V-AG den abziehbaren Teil der nicht direkt bestimmten Umsätzen zuzuordnenden Vorsteuerbeträge durch Anwendung eines sog. ”Investitionsschlüssels” mit 94,12 v.H. Diesen Prozentsatz hatte sie ermittelt, indem sie ihre Investitionen im unternehmerischen Bereich ins Verhältnis zu ihren gesamten Investitionen im unternehmerischen und nichtunternehmerischen Bereich gesetzt hatte. Die Ausgabe atypisch stiller Beteiligungen behandelte die V-AG als nicht steuerbaren —und damit nicht vorsteuerabzugsschädlichen— Vorgang.

Der Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) folgte dem nicht. Er zog im Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 1994 von den bisher als nicht direkt bestimmten Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträgen die auf die Ausgabe stiller Beteiligungen entfallenden Vorsteuerbeträge ab; von den verbleibenden Vorsteuerbeträgen erkannte er unter Zugrundelegung des Umsatzschlüssels einen Anteil in Höhe von 45,68 v.H. als abziehbar an.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

Das FA habe zu Recht die Aufwendungen, die der V-AG im Zusammenhang mit der Ausgabe atypisch stiller Beteiligungen entstanden seien, den steuerfreien Umsätzen zugerechnet und den entsprechenden Vorsteuerbeträgen gemäß § 15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) den Abzug versagt. Die V-AG habe die zugrunde liegenden Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwandt. Die Ausgabe atypisch stiller Beteiligungen sei jedenfalls dann, wenn sie —wie hier— durch eine Publikumsgesellschaft erfolge, als Gewährung von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG zu beurteilen (Hinweis auf , BFHE 179, 469, BStBl II 1996, 250).

Der Vorsteuerabzug sei —in vollem Umfang— auch für die Leistungen ausgeschlossen, die die V-AG aufgrund des Marketing-Management- und Marketing-Controlling-Vertrages sowie des Werbevertrages von der S-AG bezogen habe. Auch diese Leistungen seien —entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht nur zum Teil, sondern— in vollem Umfang zur Ausführung der nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG steuerfreien Umsätze (Ausgabe von Anteilen und stillen Beteiligungen) verwandt worden, wie sich aus den vertraglichen Vereinbarungen ergebe.

Die nach Abzug der direkt den steuerpflichtigen oder den steuerfreien Umsätzen zuzurechnenden verbleibenden Vorsteuerbeträge seien gemäß § 15 Abs. 4 UStG unter Ansatz eines Investitionsschlüssels mit einem Anteil von 30,73 v.H. zum Abzug zuzulassen. Dieser Vomhundertsatz ergebe sich aus dem Verhältnis der Investitionen der V-AG in ihren steuerpflichtigen Umsätzen dienendem Unternehmensbereich zu ihren gesamten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen dienenden Investitionen. Der von der V-AG verwandte Investitionsschlüssel sei dagegen nicht sachgerecht.

Da der Betrag der mithin anzuerkennenden Vorsteuerbeträge niedriger sei als die vom FA anerkannten Vorsteuerbeträge, sei die Klage abzuweisen.

Die Antragstellerin hat Nichtzulassungsbeschwerde (V B 209/01) eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens hat das FA einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1994 erlassen. Dabei hat es ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG über das FG-Urteil hinaus weitere Kürzungen der Vorsteuerbeträge vorgenommen, indem es im Rahmen des Investitionsschlüssels die Investitionen mit ihren ”historischen Werten” angesetzt hat.

Mit Schreiben vom beantragte die Antragstellerin beim FA, diesen Bescheid in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen. Das FA lehnte den Antrag in Höhe von 152 131,36 € für die Umsatzsteuer 1994 sowie in Höhe von 54 000 € für die anteiligen Zinsen ab, weil die Änderungen durch das FG-Urteil vorgegeben seien. Über den darüber hinausgehenden Teil des Antrags ist noch nicht entschieden worden.

Sodann hat die Antragstellerin beim BFH den vorliegenden Antrag gestellt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1994 in Höhe von 152 131,36 € Umsatzsteuer sowie 54 000 € Zinsen auszusetzen.

II. Der Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Dies ist in dem von der Antragstellerin beantragten Umfang der Fall.

1. Wird ein die Klage abweisendes Urteil des FG, in dem die Revision nicht zugelassen wurde, mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, so kommt eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch den BFH nur in Betracht, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mithin in einem Revisionsverfahren geprüft werden kann (z.B. BFH-Beschlüsse vom IX S 1/94, BFH/NV 1995, 222; vom X S 5/95, BFH/NV 1995, 1082; vom VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915; vom V S 10/02, juris).

Entsprechendes gilt, wenn —wie hier— während des Beschwerdeverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, der gemäß § 68 FGO i.V.m. § 121 FGO zum Gegenstand des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde wurde (vgl. dazu , BFH/NV 2001, 1286) und der auch Gegenstand einer anschließenden Revision wird (vgl. dazu , BFHE 196, 546, BStBl II 2002, 287).

Der erkennende Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin durch Beschluss vom V B 209/01 die Revision gegen das angefochtene FG-Urteil zugelassen.

2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids 1994 —in dem von der Antragstellerin bezeichneten Umfang— ergeben sich zum einen daraus, dass die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, ob die Aufnahme eines atypisch stillen Gesellschafters in eine Gesellschaft gegen Zahlung einer Bareinlage eine Leistung der Gesellschaft an diesen gegen Entgelt i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG darstellt.

Würde diese —im FG-Urteil und in dem Änderungsbescheid bejahte— Rechtsfrage verneint, wäre der Vorsteuerabzug der Antragstellerin insoweit nicht nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG ausgeschlossen, als die V-AG Leistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe atypisch stiller Beteiligungen bezogen hat.

Der Klärungsbedarf dieser Rechtsfrage ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss des Senats vom V R 32/00 (BFHE 196, 349, Umsatzsteuer-Rundschau 2002, 81) an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Dieser Beschluss betrifft zwar die Aufnahme eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft gegen Zahlung einer Bareinlage, während hier die atypisch stillen Gesellschafter ihre Geschäftsanteile von einer juristischen Person (AG) erworben haben. Gleichwohl kann die Antwort des EuGH (Rs. C-442/01) auch für diesen Sachverhalt Bedeutung haben. Dafür sprechen insbesondere die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rs. C-442/01 vom (noch nicht veröffentlicht).

3. Ferner bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO bei der Beurteilung der Rechtsfragen zur sachgerechten Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG anhand des hier streitigen Investitionsschlüssels.

Fundstelle(n):
GAAAA-70735