BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 71/17

Widerruf der Rechtsanwaltszulassung: Beweisanzeichen für Vermögensverfall des Rechtsanwalts; Tatbestandswirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen; Prüfungsumfang des Anwaltsgerichts

Gesetze: § 14 Abs 2 Nr 7 BRAO, § 124 Abs 2 VwGO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 23/17

Gründe

I.

1Der Kläger ist seit 1978 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Die Klage des Klägers gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

2Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.

31. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird ( AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3; vom - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 3). Daran fehlt es hier. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senates.

4a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind Schuldtitel und Vollstreckungsmaßnahmen, die sich gegen den Rechtsanwalt richten (BGH, Beschlüsse vom - AnwZ (B) 119/09, juris Rn. 12; vom - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 4; vom - AnwZ (Brfg) 40/13, juris Rn. 4; vom - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 4). Gibt es Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, welche den Schluss auf den Eintritt des Vermögensverfalls zulassen, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte ( AnwZ (Brfg) 51/13, juris Rn. 14). Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen.

5b) Der Kläger verweist darauf, dass die gegen ihn gerichteten Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Mit der Begründung des Zulassungsantrags hat er eine Ablichtung zweier Klagen zum Finanzgericht D.    vorgelegt. Seiner Ansicht nach war es Aufgabe des Anwaltsgerichtshofs und ist es jetzt Aufgabe des Anwaltssenats, die Berechtigung der Steuerforderungen zu prüfen, bevor ein Vermögensverfall bejaht werden kann. Dies trifft nicht zu. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung von einer Tatbestandswirkung der Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus (vgl. AnwZ (Brfg) 39/15, juris Rn. 16 mwN). Im Widerrufsverfahren nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO werden Titel und Vollstreckungsmaßnahmen nicht auf ihre inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit überprüft. Fehler sind in den jeweils vorgesehenen Verfahren geltend zu machen, nicht im Widerrufsverfahren.

6c) Der Kläger meint weiter, die Interessen der Rechtsuchenden seien nicht gefährdet. Soweit Fremdgelder auf dem gepfändeten Geschäftskonto des Klägers eingegangen seien, habe das Finanzamt diese Beträge freigegeben, wozu es aus Rechtsgründen auch verpflichtet gewesen sei.

7aa) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern ( AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 15; vom - AnwZ (Brfg) 72/17, juris Rn. 12; vom - AnwZ (Brfg) 52/17, juris Rn. 8). Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen ( aaO Rn. 17 mwN).

8bb) Entgegen der Ansicht des Klägers ist ein Zugriff von Gläubigern auf Fremdgelder, die auf dem Geschäftskonto des Rechtsanwalts liegen, nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Widerspruchsrecht des Treugebers gegenüber der Einzelzwangsvollstreckung eines Gläubigers des Treuhänders (§ 771 ZPO) oder ein Aussonderungsrecht des Treugebers in der Insolvenz des Treuhänders (§ 47 InsO) allenfalls dann in Betracht, wenn das Geld auf ein Anderkonto oder ein sonstiges Konto eingezahlt oder überwiesen worden ist, das ausschließlich dazu bestimmt ist, fremde Gelder zu verwalten (, NJW 1993, 2622; vom - IX ZR 49/10, BGHZ 188, 317 Rn. 15 ff., 21; vom - IX ZR 215/13, WM 2015, 1996 Rn. 10). Das allgemeine Geschäftskonto eines Rechtsanwalts genügt diesen Anforderungen nicht.

92. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft der Fall nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ( AnwZ (Brfg) 53/16, juris Rn. 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind vom Beschwerdeführer darzulegen. Insbesondere muss begründet werden, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. De-zember 2016 - AnwZ (Brfg) 39/16, Rn. 9 mwN; st. Rspr.). Das ist hier nicht geschehen. Die vom Kläger angesprochenen Rechtsfragen sind, wie gezeigt, sämtlich längst geklärt.

103. Dem Anwaltsgerichtshof ist schließlich kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insbesondere hat der Anwaltsgerichtshof nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen.

11a) Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren erster Instanz, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen ( AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 19 mwN).

12b) Diesen Voraussetzungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger meint, bereits im Verwaltungsverfahren hätte die Berechtigung der Steuerforderungen geprüft werden müssen; dies hätte vom Anwaltsgerichtshof überprüft werden müssen. Dies trifft, wie gezeigt, nicht zu.

III.

13Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:290518BANWZ.BRFG.71.17.0

Fundstelle(n):
ZAAAG-89093