BGH Beschluss v. - 1 StR 564/17

Hauptverhandlung in Strafsachen: Mitteilungspflicht bei der Nennung von Strafober- und -untergrenzen durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Gesprächs

Gesetze: § 202a StPO, § 212 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c StPO, § 337 StPO

Instanzenzug: LG Ravensburg Az: 7 KLs 33 Js 1059/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, bei Vorwegvollzug eines näher bestimmten Teils der Freiheitsstrafe, angeordnet.

2Seine auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat mit einer Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO Erfolg. Der Beanstandung lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

31. Im Hauptverhandlungstermin vom kam es auf Anregung des Verteidigers des Angeklagten während der Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem „Rechtsgespräch“, in dessen Verlauf sowohl die Einstellung einer weiteren, den Angeklagten betreffenden prozessualen Tat (Tat 2) gemäß § 154 Abs. 2 StPO erörtert als auch konkrete Strafunter- und Strafobergrenzen genannt wurden. Dabei gab der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft „Strafregionen“ im Falle eines Geständnisses an. Über dieses Gespräch informierte der Vorsitzende ausweislich der Sitzungsniederschrift vom wie folgt: „Es wurde festgestellt, dass derzeit eine Verständigung nicht zustande kommt, wobei die Verfahrensbeteiligten offen lassen, ob diese eventuell zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht komme.“

4Am nächsten Hauptverhandlungstermin, dem , legte der Angeklagte bezüglich der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat (Tat 1) ein umfassendes Geständnis ab. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO bezüglich Tat 2. Dem kam das Landgericht mit einem entsprechenden Einstellungsbeschluss nach.

52. Dieses Geschehen beanstandet die Revision im Ergebnis zu Recht. Der Senat legt die diesbezügliche Verfahrensrüge entgegen der vom Revisionsführer gewählten Bezeichnung „Verstoß gegen § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO am “ angesichts ihrer inhaltlich eindeutigen Angriffsrichtung als Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO aus (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 35 mwN). Nach dem vom Senat aufgrund des Revisionsvortrags, der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom und der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft zugrunde zu legenden Verfahrensablauf ist entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung nicht über den wesentlichen Inhalt (dazu näher etwa , NStZ 2017, 363, 364 mwN) des zuvor geführten Gesprächs unterrichtet worden.

6a) Die Verfahrensbeanstandung genügt den gesetzlichen Anforderungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Es wird ein Verfahrensgeschehen beschrieben, dem sich sowohl das Bestehen der vorstehend genannten Pflicht als auch deren Nichterfüllung noch ausreichend entnehmen lassen.

7b) Das während der Unterbrechung der Hauptverhandlung am geführte Rechtsgespräch war mitteilungspflichtig. Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt ( u.a., BVerfGE 133, 168, 216 f. Rn. 85; , NStZ 2016, 221, 222 Rn. 12 und vom - 2 StR 576/15, NStZ 2018, 49; siehe auch , NStZ 2016, 422, 424 zur „synallagmatischen Verknüpfung“). Dementsprechend ist mitteilungspflichtig jedes ausdrückliche oder konkludente Bemühen um eine Verständigung in Gesprächen, die von den Verfahrensbeteiligten insoweit als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können (, NStZ 2015, 535, 536); im Zweifel wird eine Mitteilung zu erfolgen haben (BVerfG aaO BVerfGE 133, 168, 216 f. Rn. 85).

8c) Nach diesen Maßstäben hat das außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräch am die durch den Vorsitzenden zu erfüllende Mitteilungspflicht begründet. Wie sich aus dem insoweit durch die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden und die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft bestätigten Revisionsvortrag ergibt, hat - ausgelöst durch eine entsprechende Anfrage der Verteidigung - der Vertreter der Staatsanwaltschaft mit einem Geständnis des Angeklagten verbundene Strafunter- und Strafobergrenzen genannt. Damit lag sogar ein ausdrückliches Bemühen um eine Verständigung vor, weil die Formulierung der Straferwartungen der Staatsanwaltschaft einen Konnex zum weiteren Verhalten eines anderen Verfahrensbeteiligten, einem Geständnis des bis dahin nicht im Sinne des Anklagevorwurfs geständigen Angeklagten, hergestellt hat. Dies begründete die Mitteilungspflicht des Vorsitzenden ungeachtet des Umstands, dass das Landgericht selbst keine Straferwartungen formuliert hat.

9Der Mitteilungspflicht ist nicht entsprochen worden. Weder nach Wiedereintritt noch zu einem späteren Zeitpunkt ist in öffentlicher Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt des Gesprächs informiert worden. Die bloße Mitteilung des Ergebnisses, eine Verständigung sei nicht zustande gekommen, erfüllt die Pflicht nicht.

10Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob - wie von der Revision behauptet, in der dienstlichen Stellungnahme und der Gegenerklärung aber in Abrede gestellt - ein Geständnis des Angeklagten hinsichtlich der Tat 1 mit der Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO bezüglich der Tat 2 verknüpft worden ist, was wegen, aber auch lediglich wegen der Koppelung der Einstellung einer Tat mit einem Eingestehen einer weiteren Tat ebenfalls die Mitteilungspflicht ausgelöst hätte (, NStZ 2018, 49, 50; siehe aber auch Bittmann NStZ 2018, 50, 51).

11d) Der Senat kann wegen des bis zum Hauptverhandlungstermin vom gezeigten Einlassungsverhaltens des Angeklagten nicht ausschließen, dass der Schuld- und der Rechtsfolgenausspruch einschließlich der zugrunde liegenden Feststellungen auf der Verletzung der Mitteilungspflicht beruhen. Das bedingt die Aufhebung des Urteils, soweit dieses den Angeklagten betrifft, einschließlich der Feststellungen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:240118B1STR564.17.0

Fundstelle(n):
OAAAG-85407