BFH Urteil v. - X R 52/01

Arbeitszimmer als Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit eines selbstständigen Konstrukteurs

Gesetze: EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wird für das Streitjahr (1998) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als Konstrukteur im ”...bau” gewerblich tätig. Seinen Gewinn ermittelt er nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In seiner Überschussrechnung 1998 machte er u.a. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 3 905 DM als Betriebsausgaben geltend. Für die Nutzung seines PKW führte der Kläger ein Fahrtenbuch. Danach legte er im Streitjahr 18 703 km zurück; davon entfielen 14 188 km (75,86 %) auf betriebliche und 4 515 km (24,14 %) auf private Fahrten.

In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1998 ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Aufwendungen für das Arbeitszimmer nur in Höhe von 2 400 DM zum Betriebsausgabenabzug zu. Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren, die Kosten des Arbeitszimmers in voller Höhe zu berücksichtigen, weiter. Zur Begründung führte er aus, das häusliche Arbeitszimmer sei der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit. Ausschließlich zu Besprechungen und zu Aufmaßarbeiten sei er geschäftlich zu Baustellen unterwegs. Seine Konstruktionsarbeiten führe er an seinem PC im Arbeitszimmer durch. Sein Büro sei im Erdgeschoss des Hauses eingerichtet. Jeder größere Auftrag erfordere mehrere Wochen häusliche Arbeit am PC bzw. am Reißbrett in seinem Arbeitszimmer.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 314).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, dass das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG bildete und die streitigen Aufwendungen damit ohne Beschränkung der Höhe nach als Betriebsausgaben abziehbar waren.

1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht als Betriebsausgaben abziehen. Dieses generelle Abzugsverbot greift aber nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 EStG dann nicht (jedenfalls nicht in vollem Umfang) ein, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 1 EStG (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Diese Beschränkung der Höhe nach gilt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG allerdings nicht, wenn das Arbeitszimmer den ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” bildet. Letztere Voraussetzung ist vorliegend gegeben.

2. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitszimmer in diesem Sinne den ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” darstellt, hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Urteilen vom VI R 82/01, BFHE 201,93; VI R 104/01, BFHE 201,100 und VI R 28/02, BFHE 201,106; im Wesentlichen die folgenden —auch vom erkennenden Senat für zutreffend erachteten— Grundsätze herausgearbeitet:

a) Der Begriff ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Es handelt sich um einen neuen, eigenständigen Rechtsbegriff, zu dessen Auslegung nur auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG selbst zurückgegriffen werden kann (so auch z.B. Söhn in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. Lb 187 und 191).

b) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der —wie auch im vorliegenden Streitfall— lediglich eine berufliche (betriebliche) Tätigkeit ausübt und diese Betätigung teilweise in seinem Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, ist ”Mittelpunkt” i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG, wenn der Steuerpflichtige im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Der ”Mittelpunkt” bestimmt sich mit anderen Worten nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen. Wo er liegt, kann nur im Wege einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit festgestellt werden.

Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Der zeitliche Umfang ist insbesondere kein negatives Abgrenzungsmerkmal in dem Sinne, dass, soweit die außerhäusliche Tätigkeit —zeitlich— überwiegt, von vornherein nur noch ein beschränkter Abzug der Aufwendungen in Betracht kommt. Dafür sprechen —wie der VI. Senat des BFH in den erwähnten Urteilen ausführlich und überzeugend dargelegt hat— sowohl Wortlaut und Systematik als auch Sinn und Zweck der Regelungen in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Sätze 2 und 3 EStG.

c) Nicht zu folgen ist der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. , BStBl I 1998, 863 Tz. 8), dass bereits der Umstand einer dauerhaften Außendiensttätigkeit den unbegrenzten Abzug von Werbungskosten nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG per se ausschließen soll.

Andererseits vermag aber auch nicht die Ansicht zu überzeugen, dass ein häusliches Arbeitszimmer schon dann Tätigkeitsmittelpunkt sei, wenn der Steuerpflichtige über keinen anderweitigen festen Arbeitsplatz verfügt und das Arbeitszimmer das örtliche Zentrum bildet, von dem aus er seiner beruflichen (Außendienst-)Tätigkeit nachgeht (so aber Seifert in Korn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 1112; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 4 Rz. 597; Broudré, Deutsches Steuerrecht 1995, 1733, 1735). Diese Fallgestaltung ist in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG ausdrücklich geregelt und führt nach Satz 3 Halbsatz 1 dieser Bestimmung lediglich zu einer begrenzten Anerkennung der Aufwendungen.

Auch der Gesichtspunkt, dass im häuslichen Arbeitszimmer die ”geschäftsleitenden Ideen” entwickelt und die ”unternehmensbezogenen Entscheidungen” getroffen werden, ist nur dann von Bedeutung, wenn die Entwicklung der Ideen und das Fällen der Entscheidungen für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen insgesamt prägend sind. Dienen sie dagegen lediglich der Vorbereitung und Unterstützung der eigentlichen Tätigkeit, die außer Haus verrichtet wird, machen sie das Arbeitszimmer nicht zum Tätigkeitsmittelpunkt (a.A. Seifert in Korn, a.a.O., § 4 Rz. 1112).

Nicht beizupflichten ist schließlich der Ansicht, dass sich der Tätigkeitsmittelpunkt nach den erwirtschafteten Einnahmen bestimmt (vgl. z.B. Mainzer/Strohner, Finanz-Rundschau 1996, 91, 97; Niermann, Der Betrieb 1995, 2084); denn ein solches Verständnis der Abzugsbeschränkung wird schon vom Wortlaut der Regelung nicht gedeckt. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG knüpft an die Tätigkeit an, nicht an den Ertrag.

d) Die Frage, ob die in einem Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten den Beruf insgesamt prägen oder ob ihnen lediglich eine unterstützende Funktion zukommt, betrifft die Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung und muss damit in erster Linie vom FG beantwortet werden. Eine Überprüfung durch den BFH ist nur im Rahmen des § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) möglich.

3. Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat den Begriff ”Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit” in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG im Kern zutreffend ausgelegt. Das Ergebnis der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung, dass das häusliche Arbeitszimmer des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen (betrieblichen) Betätigung gebildet habe, verletzt weder Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze. Die hiergegen vom FA vorgebrachten Einwände sind nach § 118 Abs. 2 FGO unbeachtlich.

a) Der Kläger ging nur einer beruflichen Tätigkeit —nämlich der eines selbständigen Konstrukteurs— nach. Für die Beantwortung der Mittelpunktsfrage kommt es daher nur auf diese gewerbliche Betätigung an.

b) Im Einklang mit den oben (unter II. 2. b) dargelegten Grundsätzen hat das FG zu Recht hervorgehoben, dass sich die für die Entscheidung des Streitfalles maßgebliche Frage, wo sich der ”Mittelpunkt der beruflichen Betätigung” des Klägers befunden habe, nicht ”generell” (abstrakt), ”sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles” (Gesamtbildbetrachtung) beurteilen lässt.

Aufgrund einer schlüssigen Tatsachenwürdigung ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger die für seinen Gewerbebetrieb wesentliche Kerntätigkeit —namentlich die Erstellung individueller Konstruktionspläne— in seinem häuslichen Büro, mit Hilfe des dort installierten und mit entsprechender Software ausgestatteten PC, ausgeübt hat. Dabei hat das FG nicht verkannt, dass die vom Kläger vor Ort —bei den Auftraggebern (Leistungsempfängern)— vorgenommenen Aufmaßarbeiten und —u.a. auch zur Akquisition von Aufträgen— durchgeführten Besprechungen zu den notwendigen Bestandteilen der gewerblichen Betätigung des Klägers rechneten. Mit Recht hat das FG diesen auswärtigen Tätigkeiten allerdings lediglich vorbereitenden Charakter für die in qualitativer Hinsicht prägende Kerntätigkeit, die in der im häuslichen Arbeitsbereich vorgenommenen Erstellung der Konstruktionspläne bestand, beigemessen. Nicht zu folgen vermag der erkennende Senat aus den oben (II. 2. c, letzter Absatz) dargelegten Gründen allerdings der vom FG angestellten ergänzenden, an der Richtigkeit der von ihm vorgenommenen Tatsachenwertung aber nichts ändernden Erwägung, dass der Kläger mit seiner Betätigung im Arbeitszimmer den ”wesentlichen Teil seines Honorars verdient (habe)”.

Ebenso zutreffend hat das FG angenommen, dass die beschriebene häusliche Kerntätigkeit des Klägers auch in quantitativer (zeitlicher) Hinsicht den weit überwiegenden Teil der unternehmerischen Gesamtbetätigung ausgemacht habe. Das FG ist hierzu den von ihm für glaubhaft gehaltenen Angaben des Klägers gefolgt, dass er etwa 90 v.H. seiner Gesamtarbeitszeit in seinem häuslichen Arbeitszimmer verbracht habe. Bei einem derart hohen Zeitanteil der häuslichen Betätigung liegt dessen indizielle Bedeutung (vgl. oben II. 2. b, letzter Absatz) für die Bestimmung des ”Mittelpunkts” auf der Hand. Nichts anderes würde aber auch dann gelten, wenn man der Revision darin folgte, dass der auf das häusliche Arbeitszimmer entfallende Zeitanteil allenfalls 75 v.H. betragen haben könne. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass es der Anwendung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 3 EStG im Streitfall nach den unter II. 2. b dargelegten Grundsätzen nicht einmal zwingend entgegen stünde, wenn der Anteil der auf den häuslichen Bereich entfallenden Arbeitszeit an der Gesamtarbeitszeit nicht über 50 v.H. hinausginge. Denn der Kläger verfügte offensichtlich über keinen anderweitigen (festen) Arbeitsplatz. Der zeitliche Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers stellt in diesem Fall kein die Anwendung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 3 EStG (zwingend) ausschließendes Kriterium dar (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 201, 93 unter II. 1. c, aa und bb sowie 2. der Gründe).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1172
BFH/NV 2003 S. 1172 Nr. 9
PAAAA-69657