Online-Nachricht - Donnerstag, 03.05.2018

Verfahrensrecht | Zinssatz für Aussetzungszinsen nicht verfassungswidrig (FG)

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der gesetzliche Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.H. von sechs Prozent bei der Berechnung von Aussetzungszinsen nach § 237 AO für einen Zinszeitraum von November 2012 bis September 2016 nicht verfassungswidrig ist (, Beschwerde anhängig, BFH-Az. VIII B 15/18).

Hintergrund: Hat ein Einspruch gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg, ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, mit 0,5 % Prozent monatlich zu verzinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

Sachverhalt: Gegen die Antragsteller, einem Ehepaar, waren im Oktober 2012 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 ergangen, die zu Steuernachforderungen von über 150.000 € führten. Das FA setzte im Januar 2013 die angefochtenen Einkommensteuerbescheide ohne Sicherheitsleistung von der Vollziehung aus. Im August 2016 änderte das FA die Einkommensteuerbescheide zu Gunsten der Antragsteller ab, wodurch sich die Steuernachforderungen auf etwa 100.000 € reduzierten. Im September 2016 erließ das FA einen Bescheid über Aussetzungszinsen nach § 237 AO und setzte für den Zeitraum ab November 2012 bis September 2016 Aussetzungszinsen i. H. von insgesamt 22.219 € fest. Hiergegen legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung, was das FA ablehnte.

Der hiergegen gerichtete Aussetzungsantrag hatte keinen Erfolg:

  • Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der § 237 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO.

  • Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht nach § 237 AO ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung der Vollziehung über eine Geldsumme verfügt, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht.

  • Außerdem hat die Verzinsungspflicht bei der Aussetzung der Vollziehung den Zweck, unnötige Steuerprozesse zu vermeiden.

  • Die Festlegung eines Zinssatzes von 0,5 % Prozent monatlich ist hierfür geeignet, erforderlich und angemessen: Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, den gesetzlichen Zinssatz daran zu orientieren, welche Zinserträge am Kapitalmarkt zu erwirtschaften waren.

  • Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn er sich stattdessen daran orientiert, welche Zinsen der Steuerpflichtige für ein Darlehen hätte aufbringen müssen.

  • Die Interessenlage bei Aussetzungszinsen unterscheidet sich deutlich von der bei der Verzinsung von Steuernachforderungen. Denn strukturell tritt der Staat bei der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung dem Steuerpflichtigen wie ein Darlehensgeber gegenüber.

  • Der vom Gesetz hierfür statuierte Zinssatz von jährlich 6 % ist angesichts der üblichen Zinssätze nicht unverhältnismäßig. Darlehen haben im streitigen Zeitraum zwar teilweise zu wesentlich günstigeren Konditionen aufgenommen werden können, was aber vor allem für besicherte Darlehen zu Investitionszwecken gegolten hat.

  • Für Konsumdarlehen sind demgegenüber Zinssätze verlangt worden, die eine ähnliche Höhe gehabt haben, wie der gesetzliche Zinssatz von 6 %.

  • Auch die Verzugs- oder Prozesszinsen nach § 288 BGB i. V. mit § 291 Satz 2 BGB sind höher bzw. ähnlich hoch wie der gesetzliche Zinssatz von 6 % für Aussetzungszinsen. Nochmals höher sind die üblichen Bankzinsen für Dispokredite.

  • Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, sich bei der gesetzlichen Festlegung von Aussetzungszinsen am Dispozins oder auch dem zwischen Bürgern geltenden gesetzlichen Zinssatz für Verzugs- und Prozesszinsen zu orientieren, der gemittelt über 6 % jährlich liegt.

  • Hinzu kommt, dass der Steuerpflichtige die Aussetzungszinsen zumindest im Regelfall vermeiden kann, indem er die Steuerschuld bezahlt und sich zu einem günstigeren Zinssatz anderweitig refinanziert.

  • Ist dies dem Steuerpflichtigen nicht möglich, so indiziert dies, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse schwierig sind und er wegen des damit verbundenen Risikos günstigere Zinssätze nicht erlangen kann.

  • In diesen Fällen muss der Staat keine besonders günstigen, für den Betroffenen am Markt nicht zu erlangende Zinssätze gewähren, obwohl ein Ausfall der Steuerforderung durch eine Insolvenz des Steuerschuldners droht.

Hinweis:

Einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sahen die Richter ebenfalls nicht: Es sei legitim, zwischen den Steuerschuldnern, die die festgesetzten Steuern sogleich bezahlen, und denjenigen, die Einspruch einlegen und eine Aussetzung der Vollziehung beantragen, zu differenzieren. Die sich daran anknüpfende Ungleichbehandlung überschreite das zulässige Maß nicht. Im Privatrecht habe der Staat mit den Verzugs- und Prozesszinsen Zinssätze festgelegt, die denjenigen der Aussetzungszinsen nahekommen oder sie sogar übersteigen würden. Steuerpflichtige würden somit nicht schlechter behandelt als Bürger, die Forderungen anderer Bürger nicht begleichen und deshalb von Gesetzes wegen zinspflichtig werden.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2018 (il)

Fundstelle(n):
NWB EAAAG-82331