Rückwirkung – Darf der Gesetzgeber alles?
BVerfG bestätigt weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
Durch die Erhebung von Steuern nimmt der Staat seinen Bürgern einen Teil der Früchte ihres Wirtschaftens. Aus Sicht des betroffenen Bürgers kommt es darauf an, die steuerliche Belastung im Vorfeld zu kennen, um diese bei einkommensrelevanten Entscheidungen berücksichtigen zu können. Wie ist es aber, wenn das Parlament Gesetze beschließt, die Auswirkungen auf bereits abgeschlossene oder begonnene Sachverhalte haben? Diese „Änderung der Spielregeln während des Spiels“ wird als echte oder unechte Rückwirkung bezeichnet und an Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG gemessen.
Für den Bereich des Steuerrechts geht das BVerfG von einer grundsätzlich zulässigen „unechten“ Rückwirkung aus, wenn eine Gesetzesänderung mit Wirkung für den laufenden Steuererhebungszeitraum erfolgt. Denn erst mit Ablauf dieses Zeitraums entsteht die Steuer. Diese umstrittene Rechtsprechung hat das BVerfG jetzt in seinem Urteil vom bestätigt und dem Gesetzgeber erneut einen weiten Spielraum bei rückwirkenden Gesetzesänderungen gelassen. Anlass des Urteils war § 7 Satz 2 GewStG. Dieser unterwirft unter anderem den Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils der Gewerbesteuer, soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer entfällt. Die Besonderheit lag darin, dass der Gesetzgeber die Vorschrift im Jahr 2001 zunächst eingeführt, die Neufassung aber vor Inkrafttreten durch eine Änderung derselben Vorschrift im Rahmen eines anderen Gesetzgebungsverfahrens versehentlich „überschrieben“ hatte. Mittels eines Reparaturgesetzes musste die gewünschte Regelung dann im Juli 2002 mit Wirkung für den Erhebungszeitraum 2002 (also mit Rückwirkung) wieder eingeführt werden. Nach Auffassung des BVerfG war das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf die Rechtslage im Veräußerungszeitpunkt (Februar 2002) nicht schutzwürdig, da mit einer Regelung zur Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns zu rechnen war. Die „Schlamperei“ des Gesetzgebers ging daher zu Lasten des Steuerpflichtigen. Das mag für den Steuerbürger unbefriedigend sein, war jedoch im entschiedenen Fall aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls steuerjuristisch vertretbar. Für weitere Frustration sorgt sicherlich die Verfahrensdauer: Das Urteil des BVerfG erfolgte nahezu acht Jahre nach dem angegriffenen Urteil des BFH und mehr als 15 Jahre nach Ablauf des streitgegenständlichen Erhebungszeitraums. Dies trägt nicht zum Vertrauen des Steuerbürgers in einen funktionierenden Rechtsschutz bei.
Die gute Nachricht: Alles darf der Gesetzgeber im Bereich der Rückwirkung nicht. Das BVerfG hatte im Beschluss vom - 1 BvL 5/08 deutlich gemacht, dass die rückwirkend geltende gesetzgeberische „Klarstellung“ der Auslegung einer Vorschrift als echte Rückwirkung unzulässig ist. Dies hat der Gesetzgeber zum Beispiel bei der Einführung des rechtsprechungsdurchbrechenden § 7a GewStG beachtet, der ausdrücklich nur für zukünftige Erhebungszeiträume gilt (§ 36 Abs. 2a GewStG).
Christian Rengier
Fundstelle(n):
NWB 2018 Seite 1193
LAAAG-81079