BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 606/14

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde bzgl der Teilrückforderung eines Sterbequartalsvorschusses gem § 118 Abs 4 S 1 Alt 1 SGB VIjuris: SGB 6

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 14 Abs 1 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 118 Abs 3 S 1 SGB 6, § 118 Abs 4 S 1 Alt 2 SGB 6

Instanzenzug: Az: B 13 R 35/12 R Urteil

Gründe

1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft unmittelbar das - und mittelbar den Erstattungsanspruch gegen den Empfänger einer einmaligen Zahlung aus einer Rente nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des Art. 8 Nr. 6 des Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz - HZvNG) vom (BGBl I S. 2167 <2181>).

I.

2 1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber mehrerer Bestattungshäuser. Er war im Rahmen eines Bestattungsvertrags zivilrechtlicher Vertragspartner des verstorbenen Rentenberechtigten. Der Verstorbene hatte bereits für den Zeitraum nach seinem Tod als Sterbequartalsvorschuss für den Tod seiner kurz zuvor verstorbenen Ehefrau Rentenzahlungen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Wahrnehmung von Aufgaben der Träger der Rentenversicherung und anderer Sozialversicherungsträger durch den Renten Service der Deutschen Post AG) erhalten. Die Tochter des Verstorbenen beglich nach dem Tod ihres Vaters die dem Beschwerdeführer noch zustehende Restforderung in Höhe von 862,16 Euro aus dem Bankguthaben des Verstorbenen mittels Banküberweisung. Infolge dieser Überweisung und Gutschrift auf seinem Bankkonto sah sich der Beschwerdeführer einer Erstattungsforderung des Rentenversicherungsträgers gemäß § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI ausgesetzt.

3 2. Im fachgerichtlichen Verfahren obsiegte der Beschwerdeführer erst- und zweitinstanzlich. Das Sozialgericht führte im Urteil vom - S 11 R 132/07 - aus, die Rentenzahlung sei nicht zu Unrecht im Sinne des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI erbracht worden, weil - auch wenn es sich bei der Rentenzahlung um eine Vorschusszahlung für einen Zeitraum handelte, in dem der Rentenberechtigte bereits verstorben war - im Auszahlungszeitpunkt der Rentenberechtigte noch lebte. Der Sterbequartalsvorschuss sei auch keine laufende Geldleistung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, sondern eine Vorschusszahlung nach § 42 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), für deren Rückforderung § 42 Abs. 2 SGB I die speziellere Norm sei. Eine Inanspruchnahme des Beschwerdeführers nach § 42 Abs. 2 SGB I sei jedoch nicht möglich. Der Rentenversicherungsträger könne insofern nur gegen die Erben des Rentenberechtigten einen Erstattungsanspruch geltend machen.

4 Nach Ansicht des Landessozialgerichts im Urteil vom - L 18 R 806/10 - waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer keinen der Rentenüberzahlung entsprechenden Betrag im Sinne des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI erhalten habe. Für die Inanspruchnahme eines völlig unbeteiligten und deshalb schutzwürdigen Zahlungsempfängers sei es nicht ausreichend, dass der Betrag von einem Konto überwiesen wurde, auf das unter anderem auch die zu Unrecht gezahlte Rente des verstorbenen Rentenberechtigten überwiesen wurde. Zusätzlich müsse ein enger Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Identität zwischen der Bereicherung des Empfängers und dem Wert der zu Unrecht überwiesenen Rente bestehen. Eine solche wirtschaftliche Identität sei im vorliegenden Verfahren nicht gegeben gewesen. Das Konto des Verstorbenen habe zum Zeitpunkt des Eingangs des Sterbequartalsvorschusses am ein Guthaben in Höhe von 492,71 Euro aufgewiesen. Bis zum seien noch weitere 1.018,96 Euro auf das Konto eingegangen und zwischen dem Eingang des Sterbequartalsvorschusses und der Zahlung an den Beschwerdeführer am sieben Abbuchungen in Höhe von insgesamt 2.444,83 Euro vorgenommen worden. Nur unter der Hypothese, dass Abflüsse vom Konto des Verstorbenen zuerst seinem rechtmäßigen Kontoguthaben und erst danach dem unrechtmäßigen Teil des Sterbequartalvorschusses zuzuordnen seien, hätte sich eine Identität des Zuflusses an den Beschwerdeführer mit dem unrechtmäßigen Teil des Sterbequartalvorschusses herstellen lassen. Es handle sich dann aber nicht mehr um die Gegenüberstellung von konkreten Beträgen.

5 3. Das Bundessozialgericht hob mit Urteil vom - B 13 R 35/12 R - die erst- und zweitinstanzlichen Urteile auf und wies die Klage des Beschwerdeführers ab. Entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts handele es sich bei dem Sterbegeld als Vorschuss um eine unter Vorbehalt erbrachte Geldleistung im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Es sei nichts anderes als die im Voraus für die ersten drei Monate nach dem Sterbemonat gezahlte Witwen- und Witwerrente. Dieser Sichtweise stehe auch nicht der Wortlaut des § 118 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 SGB VI entgegen, denn dieser setze keine "laufenden Geldleistungen", sondern lediglich "Geldleistungen" voraus. Es greife demnach der durch § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI normierte Vorbehalt. Der Umstand, dass nach der rechtsgrundlos überwiesenen Rente noch weitere Gutschriften auf dem Bankkonto des verstorbenen Rentenberechtigten eingegangen seien, sei unerheblich. Im Interesse einer einfachen und raschen Rückabwicklung der fehlerhaften Rentenleistung spiele die zeitliche Reihenfolge von Gutschriften im Verhältnis zur rechtsgrundlosen Rentenüberweisung oder zu anderweitigen Verfügungen keine Rolle.

6 4. Der Beschwerdeführer rügt mit der am erhobenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG. Unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fielen alle private vermögenswerte Rechte und Güter. Die von der Rentenversicherung gegenüber ihm geltend gemachte Erstattungsforderung greife in den Bestand seines Eigentums ein, weil der ihm von der Tochter des Verstorbenen überwiesene Geldbetrag bereits seinem Firmenkonto gutgeschrieben gewesen sei. § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI sei eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Dessen Auslegung durch das Bundessozialgericht sei jedoch unverhältnismäßig. Infolge dieser Auslegung würde einseitig dem Interesse der Solidargemeinschaft an der Rückerlangung der fehlerhaften Rentenzahlung der Vorrang gegenüber seinem Interesse eingeräumt. Ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen finde nicht statt. Der Beschwerdeführer ist im Weiteren der Ansicht, es werde der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil er als Empfänger der Rente gegenüber Geldinstituten ungleich behandelt werde. Beide Gruppen könnten unter dem Oberbegriff der Empfänger von fehlerhaften Rentenleistungen zusammengefasst werden. Nur die Geldinstitute könnten sich jedoch nach § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI gegenüber dem Erstattungsanspruch auf eine anderweitige Verfügung über die Rentenzahlung berufen.

II.

7 1. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) kommt nicht in Betracht. Es bleibt offen, ob der Erstattungsanspruch gegen den Empfänger einer einmaligen Zahlung aus einer Rente nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI in der Fassung des Art. 8 Nr. 6 HZvNG vom (BGBl I S. 2167 <2181>) mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Sie zeigt die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten nicht hinreichend auf (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Nach diesen Vorschriften ist ein Beschwerdeführer gehalten, innerhalb der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vorzutragen. Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>) und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. BVerfGE 108, 370 <386>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1502/08 - juris, Rn. 19).

8 2. Diesen Vorgaben genügt die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht. Das Vorbringen des Beschwerdeführers verhält sich zu mehreren entscheidungserheblichen Gesichtspunkten nicht:

9 a) Der Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt sich nicht entnehmen, welche Auswirkung die aus der überzahlten Rente erfolgte Überweisung wegen des Vorbehalts nach § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI auf den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch des Beschwerdeführers gegen den verstorbenen Rentenberechtigten und gegenüber dessen Erben hat. Es mangelt dem Vorbringen des Beschwerdeführers daher an Ausführungen, inwieweit dieser Zahlungsanspruch gegenüber den Erben weiterhin geltend gemacht werden kann und von diesen befriedigt werden muss.

10 b) Gemäß § 118 Abs. 4 SGB VI besteht zugunsten des Rentenversicherungsträgers ein gleichrangiger Erstattungsanspruch (vgl. - juris, Rn. 31 ff.) im Hinblick auf die überzahlte Rente gegenüber dem Empfänger der Rente (§ 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 und 2 SGB VI), gegenüber dem über die Rente Verfügenden (§ 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 3 SGB VI) und gegenüber dem Erben des verstorbenen Rentenberechtigten (§ 118 Abs. 4 Satz 4 SGB VI). Der zuständige Rentenversicherungsträger hat vorliegend dieses Wahlrecht zu Lasten des Beschwerdeführers ausgeübt. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde legt jedoch nicht dar, dass der Rentenversicherungsträger bei der Ausübung des Wahlrechts eine sachlich nicht begründete Auswahlentscheidung getroffen habe.

11 c) Im Weiteren rügt der Beschwerdeführer zwar die Nichtwahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die Versagung jeglichen Vertrauensschutzes infolge der Auslegung des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI durch das Bundessozialgericht in dem verfahrensgegenständlichen Urteil vom - B 13 R 35/12 R -, wonach eine wirtschaftliche Identität zwischen der Bereicherung des Empfängers und dem Wert der zu Unrecht überwiesenen Rente nicht erforderlich sei. Die Verfassungsbeschwerde geht jedoch auf diese Gesichtspunkte nicht weiter ein. Sie erschöpft sich in dem Aufstellen pauschaler Thesen. Eine substantiierte und schlüssige Rüge der Verletzung spezifischer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen lässt sich demnach der Verfassungsbeschwerde auch insoweit nicht entnehmen.

12 d) Zuletzt legt der Beschwerdeführer auch eine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber dem kontoführenden Geldinstitut nicht hinreichend dar. In diesem Zusammenhang hätte eine Auseinandersetzung mit der Frage nahegelegen, ob die Möglichkeit des Geldinstituts gemäß § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI, sich gegenüber dem Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers auf eine anderweitige Verfügung über die Rente berufen zu können, lediglich der Funktion des Instituts geschuldet ist, bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften als "Zahlstelle" ohne eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu fungieren.

13 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180221.1bvr060614

Fundstelle(n):
ZAAAG-80260