Arbeitsrecht | Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen (EuGH)
Schwangeren Arbeitnehmerinnen darf
aufgrund einer Massenentlassung gekündigt werden. In diesem Fall muss der
Arbeitgeber der entlassenen schwangeren Arbeitnehmerin die ihre Kündigung
rechtfertigenden Gründe und die sachlichen Kriterien mitteilen, nach denen die
zu entlassenden Arbeitnehmer ausgewählt wurden ().
Hintergrund: Die Richtlinie 92/8585/EWG des Rates v. über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz verbietet die Kündigung von Arbeitnehmerinnen in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs; davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind.
Sachverhalt: Ein spanisches Unternehmen leitete eine Konsultation mit der Arbeitnehmervertretung im Hinblick auf eine Massenentlassung ein. 2013 sandte es einer Arbeitnehmerin, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war, ein Kündigungsschreiben zu, in dem ihr die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gemäß der Vereinbarung des Verhandlungsgremiums mitgeteilt wurde. Im Kündigungsschreiben hieß es insbesondere, dass im spezifischen Fall der Provinz, in der sie arbeite, weitgreifende Personalanpassungen erforderlich seien und dass in dem vom Unternehmen in der Konsultationsphase durchgeführten Bewertungsverfahren ihr Ergebnis zu den niedrigsten in der Provinz zähle.
Die Arbeitnehmerin focht ihre Kündigung mit einer Klage vor dem spanischen Arbeits- und Sozialgericht an, das zugunsten des Arbeitgebers entschied. Dagegen legte sie ein Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof von Katalonien ein, der den EuGH um die Auslegung des Verbots der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen ersucht hat und insbesondere darum, wie dieses Verbot im Falle eines Massenentlassungsverfahrens auszulegen sei.
Der EuGH führte hierzu u.a. aus:
Die Richtlinie 92/85 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin aufgrund einer Massenentlassung zulässig ist.
Eine Kündigungsentscheidung, die aus Gründen erging, die wesentlich mit der Schwangerschaft der Betroffenen zusammenhängen, ist mit dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Kündigungsverbot unvereinbar.
Dagegen verstößt eine Kündigungsentscheidung in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs aus Gründen, die nichts mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin zu tun haben, nicht gegen die Richtlinie 92/85, wenn der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführt und die Kündigung der Betroffenen nach den betreffenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig ist.
Hieraus folgt, dass die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründe, die im Rahmen von Massenentlassungen im Sinne der Richtlinie 98/59 geltend gemacht werden können, unter die nicht mit dem Zustand der Arbeitnehmerinnen in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinie 92/85 fallen.
Die Richtlinie 92/85 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der ein Arbeitgeber einer schwangeren Arbeitnehmerin im Rahmen einer Massenentlassung kündigen kann, ohne ihr weitere Gründe zu nennen als diejenigen, die die Massenentlassung rechtfertigen, solange die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer angegeben werden.
Hierzu ist nach den beiden Richtlinien in ihrer Kombination nur erforderlich, dass der Arbeitgeber
die nicht in der Person der schwangeren Arbeitnehmerin liegenden Gründe schriftlich darlegt, aus denen er die Massenentlassung vornimmt (nämlich wirtschaftliche, technische oder sich auf Organisation oder Produktion des Unternehmens beziehende Gründe), und
der betroffenen Arbeitnehmerin die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nennt.
Die Richtlinie 92/85 steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen nicht grundsätzlich präventiv verbietet und im Fall einer widerrechtlichen Kündigung lediglich deren Unwirksamkeit als Wiedergutmachung vorsieht.
Der Schutz im Wege der Wiedergutmachung kann selbst dann, wenn er zur Wiedereingliederung der entlassenen Arbeitnehmerin und zur Zahlung der wegen der Entlassung nicht erhaltenen Gehälter führt, den präventiven Schutz nicht ersetzen.
Folglich dürfen sich die Mitgliedstaaten nicht darauf beschränken, im Fall einer ungerechtfertigten Kündigung lediglich deren Unwirksamkeit als Wiedergutmachung vorzusehen.
Die Richtlinie 92/85 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die im Rahmen einer Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59 für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen weder einen Vorrang der Weiterbeschäftigung noch einen Vorrang der anderweitigen Verwendung vor dieser Entlassung vorsieht.
Hierzu sind die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 92/85 nämlich nicht verpflichtet.
Da diese Richtlinie lediglich Mindestvorschriften enthält, besitzen die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, diesen Gruppen von Arbeitnehmerinnen einen weiter gehenden Schutz zu gewähren.
Lesen Sie auch unsere Online-Nachricht v. 19.09.2017 bezüglich den Schlussanträgen der Generalanwältin.
Das Urteil ist auf der Homepage des EuGH abrufbar.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 15/18 v. 22.02.2018 (Ls)
Fundstelle(n):
UAAAG-73326