BFH Beschluss v. - VII B 6/01

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) mit Haftungsbescheid vom als ehemaliger Geschäftsführer einer dem Gesamtvollstreckungsverfahren unterlegenen GmbH für deren rückständige Lohnsteuer, Umsatzsteuer und Säumniszuschläge in Haftung genommen. Die Zustellung des Haftungsbescheides mittels Postzustellungsurkunde erfolgte am durch Niederlegung. Mit Schreiben vom —beim FA laut Eingangsstempel am eingegangen— legte der Vertreter und jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein. Durch ein Schreiben des FA auf die Fristversäumnis hingewiesen, beantragte der Bevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen Antrag begründete er unter Vorlage einer eigenen eidesstattlichen Versicherung sowie einer solchen seiner Anwaltssekretärin damit, dass die Einspruchsschrift vor Fristablauf am gefertigt und zur Post gegeben worden sei. Ein Auszug aus dem Fristenkalender könne wegen der Vorschrift des § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) nicht vorgelegt werden, ebenso wenig ein Postausgangsbuch. Irgendeine Urkunde, aus der sich ein Abfertigungsvermerk ergeben hätte, wurde dem FA nicht eingereicht. Der Einspruch wurde als unzulässig verworfen. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) u.a. deshalb als unbegründet ab, weil das fehlende Verschulden des Prozessvertreters des Klägers an der Fristversäumnis nicht glaubhaft gemacht worden sei. In dessen Kanzlei fehlten ein Postausgangsbuch, ein Fristenkontrollbuch oder ein Absendevermerk in der Akte, bzw. eine derartige Unterlage sei trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung ”des Urteils”, eine Abweichung von der Entscheidung des (BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266) und des (Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1997, 1770) sowie die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) geltend macht.

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

Der Kläger hat innerhalb der Beschwerdefrist keinen der Zulassungsgründe entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der FinanzgerichtsordnungFGO— in der nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom , BGBl I 2000, 1757, insoweit noch anzuwendenden bisherigen Fassung —FGO a.F.—). Soweit nicht nur ergänzendes, sondern neues Vorbringen zu den Zulassungsgründen des § 115 Abs. 2 FGO a.F. in dem Schriftsatz vom enthalten ist, kann dieses nicht berücksichtigt werden, weil die Zulassungsgründe innerhalb der Rechtsmittelfrist dargelegt sein müssen (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.; ständige Rechtsprechung, vgl. dazu , BFH/NV 1995, 786, sowie Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 55, m.w.N.).

1. a) Soweit der Kläger in der Beschwerdeschrift wohl die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn sowohl der Rechtsanwalt als auch seine Anwaltssekretärin in Form einer eidesstattlichen Versicherung nicht nur die fristgerechte Erstellung des Schriftstückes, sondern auch die Kontrolle des fristgerechten Abganges an Eides statt versichern, der Mandant den parallelen fristgerechten Eingang der für ihn bestimmten Zweitschrift an Eides statt versichert, die betreffende Behörde durch Vernichtung des Kuverts Beweisvereitelung betreibt und an der Posteingangsorganisation der Behörde Zweifel bestehen, fehlt es an der für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung notwendigen Auseinandersetzung mit den in Rechtsprechung und Schrifttum zu dieser Problematik vertretenen Auffassungen sowie an Ausführungen, aus welchem Grunde die Frage klärungsbedürftig und dass sie im Streitfall klärungsfähig ist und dass es sich nicht nur um eine den vorliegenden Einzelfall betreffende Rechtsfrage handelt (zu den Anforderungen an die Darlegung grundsätzlicher Bedeutung s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 61, m.w.N.).

b) Nach Auffassung des Klägers hat die Rechtssache auch wegen der angeblich anders lautenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in den Entscheidungen vom II ZR 190/95 (NJW 1996, 2576) und vom IX ZR 234/92 (NJW 1993, 1912) grundsätzliche Bedeutung. Zwar kann die Abweichung einer finanzgerichtlichen Entscheidung von Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte als des BFH oder des BVerfG zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des BFH erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) in diesem Falle, dass die behauptete Abweichung schlüssig dargestellt wird. Mithin gehört zur schlüssigen Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, dass die formellen Anforderungen an eine Divergenzrüge beachtet werden; d.h., es ist die genaue Bezeichnung der Entscheidung des anderen obersten Bundesgerichtes (mit Datum, Aktenzeichen und Fundstelle) notwendig sowie die Angabe eines die angefochtene Entscheidung des FG tragenden abstrakten Rechtssatzes, der zu einem die Entscheidung des anderen obersten Bundesgerichtes tragenden Rechtssatz in Widerspruch stehen könnte. Die möglicherweise voneinander abweichenden Rechtsauffassungen sind dabei erkennbar oder zumindest in ohne weiteres nachvollziehbarer Weise gegenüberzustellen (, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Darüber hinaus sollte die Begründung darauf eingehen, dass durch die Abweichung von der Entscheidung des anderen obersten Bundesgerichtes eine im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftige und im Streitfall klärungsfähige Rechtsfrage aufgeworfen wird (so , BFHE 161, 418, BStBl II 1990, 987; a.A. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 62: Die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage müsse in diesem Fall nicht dargelegt werden).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift ebenfalls nicht. Es ist bereits nicht hinreichend deutlich erkennbar gemacht worden, welcher in der Entscheidung des FG enthaltene abstrakte Rechtssatz im Widerspruch zu einem den angesprochenen Entscheidungen des BGH zu entnehmenden Rechtssatz stehen soll. Die Ausführungen der Beschwerde, dass das FG sich durch seine Auffassung, wonach der Bevollmächtigte des Klägers den Fristenkalender der Kanzlei im Original hätte vorlegen sollen und dass dadurch die anwaltliche Schweigepflicht i.S. des § 203 StGB nicht berührt werde, zu Unrecht (mittelbar) auf die genannten Entscheidungen des BGH gestützt habe, obwohl jene sich mit dieser Problematik nicht befasst hätten, genügt zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wegen angeblich abweichender höchstrichterlicher Entscheidungen nicht.

c) Soweit der Kläger eine Abweichung des FG-Urteils wegen der an die Glaubhaftmachung des eidesstattlich versicherten Absendevorganges gestellten Anforderungen von dem im (NJW 1996, 130) ausgesprochenen Rechtssatz, dass bei einer von der bestehenden Kanzleiorganisation abweichenden Einzelanweisung an eine zuverlässige Kanzleikraft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann nicht abzulehnen sei, wenn die Weisung versehentlich nicht befolgt werde und deshalb die Frist verstrichen sei, rügt, ist diese Rüge nicht nachvollziehbar; denn das FG bemängelt zum einen gerade eine nicht vorhandene ausreichende Organisation in der Kanzlei des Prozessvertreters des Klägers, weil ein Fristenkalender oder ein Postausgangsbuch nicht vorgelegt worden sei, und die eidesstattliche Versicherung der Kanzleikraft beruft sich ja ausdrücklich darauf, dass sie die ihr erteilte Einzelanweisung befolgt (und das Schriftstück bereits am in den Postbriefkasten eingeworfen) habe.

2. Die behauptete Divergenz zu dem Beschluss des BVerfG in NJW 1997, 1770 ist ebenso wenig schlüssig bezeichnet, wie eine solche zum Urteil des BFH in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266. Der Darstellung, der X. Senat habe in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266 entschieden, dass selbst das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle (im Büro eines Steuerberaters) dann nicht ursächlich für eine Fristversäumnis sei, wenn die mit der Versendung beauftragte Hilfsperson ausdrücklich auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstückes hingewiesen wurde, ist ein entgegenstehender Rechtssatz des FG nicht gegenübergestellt worden. Vielmehr geht das FG in seiner Urteilsbegründung von dem gleichen Rechtssatz aus (s. unter 3. a der Entscheidungsgründe). Die Abweichung von der Entscheidung des X. Senats sieht der Kläger darin, dass das FG weiter gehende Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Absendevorganges gestellt habe und die durch den Prozessvertreter vorgenommene Ausgangskontrolle nicht habe genügen lassen. Hierbei wird übersehen, dass die angeführte Entscheidung des BFH von einer Organisation des Bürobetriebes ausgeht, die Fristversäumnisse ausschließt, und hierfür grundsätzlich die Führung eines Fristenkontrollbuches und eines Postausgangsbuches vorausgesetzt hat (BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 2. der Gründe), aus denen wenigstens die Eintragung der Frist und ihres Ablaufes zu ersehen war. Da im Streitfall ein Fristenkalender nicht vorgelegt und ein Postausgangsbuch nicht geführt worden ist, geht das FG über die vom BFH für notwendig gehaltenen Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Absendevorganges nicht hinaus, wenn es zumindest eine schlüssige und detaillierte Schilderung des Absendevorganges und einen nachprüfbaren Vermerk über die Beachtung der Frist für notwendig gehalten hat.

Die Divergenz zu der Entscheidung des BVerfG in NJW 1997, 1770 ist nicht bezeichnet und überdies schon deshalb nicht gegeben, weil dem BVerfG ein anderer Sachverhalt vorlag, nämlich der eines nicht durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertretenen Klägers, der im Gegensatz zu diesem Berufsstand über einen organisierten Bürobetrieb nicht verfügt hat und dem —nur insoweit ist der Sachverhalt identisch— das Mittel des von der Behörde aufbewahrten Briefumschlages, in dem sich die Rechtsmittelschrift befunden hat, zur Glaubhaftmachung nicht zur Verfügung stand. Dieser Fall ist mit dem Streitfall, in dem ein berufsmäßig mit der Rechtsberatung und Wahrung von Fristen befasster Rechtsanwalt mit der Fertigung und Weiterleitung des fristgebundenen Einspruchschreibens beauftragt war, nicht vergleichbar. Der Senat hat in seinem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom VII B 132/99 (nicht veröffentlicht) unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass auch die neuere Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte von diesen Personen eine Fristversäumnisse nahezu ausschließende Organisation des Bürobetriebes bzw. das Vorhandensein eines nachprüfbaren Fristenkontroll- und/oder Postausgangsbuches erwartet (so auch im Gegensatz zur Auffassung des Klägervertreters der BGH in seinen Entscheidungen vom VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823, und auch vom III ZR 148/00, NJW 2001, 1577, wo wenigstens ein das Datum erfassender Ausdruck aus dem Schreibcomputer der Anwaltskanzlei vorgelegt worden war) und dass, sofern solche Urkunden als präsente Beweismittel nicht vorgelegt werden, die anwaltliche Versicherung zur Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Absendevorganges unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles —wie es das FG auch getan hat— zu prüfen ist.

3. Die Beschwerde behauptet schließlich, die Entscheidung des FG verletze den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), ohne jedoch —wie es notwendig gewesen wäre— in der Beschwerdeschrift konkret auszuführen, worin die Gehörsverletzung liegen soll (vgl. zu den Anforderungen an die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, , BFH/NV 2000, 875, m.w.N.; s. auch Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz FGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
FAAAA-68726