BFH Beschluss v. - VII B 150/02

Gründe

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Klageanträge des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) betreffend die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) abgewiesen, weil der Hauptantrag auf Rückgängigmachung der Vollziehung nach § 100 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig und der Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung unbegründet sei, denn das Vollstreckungsverbot des § 277 der Abgabenordnung (AO 1977) habe einer Einziehung der Forderung nicht entgegengestanden.

Das Urteil des FG ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Mit beim Bundesfinanzhof (BFH) am , dem letzten Tag der Rechtsmittelfrist, eingegangenen Telefax-Schriftsatz hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt. Dieser Schriftsatz enthält keine den Anforderungen des § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechende Begründung. Mit weiterem Telefax-Schriftsatz vom , eingegangen beim BFH an diesem Tage, ist die Beschwerde begründet worden. Mit Schreiben vom machte die Geschäftsstelle des Senats den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Hinweis auf § 56 FGO darauf aufmerksam, dass die Begründung der Beschwerde verspätet beim BFH eingegangen ist. Auf diese ihm am zugegangene Mitteilung beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am beim BFH eingegangenen Telefax-Schriftsatz für seinen Mandanten unter Hinweis auf die verspätet eingegangene Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

Zur Begründung bringt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, die Frist sei versäumt worden, weil der Eintrag in das Fristenkontrollbuch falsch gewesen sei. Wie es zu diesem Fehleintrag gekommen sei, sei nicht mehr nachvollziehbar; möglich sei dies infolge Eintrag anderer Fristen, die am abliefen. Ein Irrtum der Mitarbeiterin infolge Unkenntnis sei auszuschließen. Es liege ein Büroversehen vor. Die mit der Fristenkontrolle und Überwachung beauftragte Mitarbeiterin sei in dieser Funktion seit 1988 in der Kanzlei tätig. Sie werde trotz ihrer umfassenden Berufserfahrung periodisch überprüft; bei jeder routinemäßigen Wochenbesprechung in der Praxis würden auch anstehende Termine und Fristen besprochen. Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags fügte der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin bei, in der diese die Angaben bestätigte.

Die Beschwerde des Klägers ist, da sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, als unzulässig zu verwerfen.

1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 bis 3 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils beim BFH unter Darlegung der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO schriftlich zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist für das am zugestellte Urteil des FG am abgelaufen (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 der ZivilprozessordnungZPO—, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Dadurch ist das angefochtene Urteil rechtskräftig geworden. Die erst am beim BFH eingegangene Beschwerdebegründung des Klägers war mithin verspätet, da eine Verlängerung der Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO) weder beantragt noch gewährt worden war.

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden.

a) Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. § 56 Abs. 2 FGO, ständige Rechtsprechung, s. z.B. , BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586; BFH-Beschlüsse vom X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221, und vom VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch eine einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Senatsbeschluss vom VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

b) Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiliger —wie im Streitfall der Kläger— auf ein (nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muss er darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1221, m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss hiernach jedenfalls vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 297). Dazu gehört auch der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795).

Im Streitfall ist der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers, mit dem er ein Organisationsverschulden ausschließen möchte, aus verschiedenen Gründen nicht schlüssig. Zunächst fehlt es am Vortrag zur Zuverlässigkeit der mit der Fristenkontrolle beauftragten Mitarbeiterin. Insoweit ist lediglich vorgetragen, dass sie seit 1988 in seiner Kanzlei tätig und umfassend berufserfahren sei. Dies begründet indes noch nicht zwingend, dass die Mitarbeiterin bei der Fristenkontrolle bisher auch stets zuverlässig gearbeitet hat. Ferner ist der Vortrag, die Mitarbeiterin werde ”periodisch überprüft”, zu unsubstantiiert. Es ergibt sich daraus nicht, in welchen Zeitabständen eine Überprüfung stattfindet und auf welche Weise diese Überprüfung im Einzelnen durchgeführt wird. Denn die konkreten ”Maßnahmen”, durch welche gewährleistet wird, dass in der Kanzlei die Fristen entsprechend den Anordnungen des Prozessbevollmächtigten notiert und kontrolliert werden, erschließen sich daraus nicht. Dass, wie vorgetragen wird, bei jeder routinemäßigen Wochenbesprechung in der Praxis auch anstehende Termine und Fristen besprochen werden, hat mit der Notierung und Kontrolle von Fristen im Fristenkontrollbuch nichts zu tun.

Auch wird schon nichts dazu vorgetragen, wie denn die Anordnungen des Prozessbevollmächtigten zur Notierung und Kontrolle der Fristen überhaupt aussehen und wann und wie die Fristen in das Fristenkontrollbuch eingetragen werden. Da ein entsprechender Auszug aus dem Fristenkontrollbuch mit der Notierung der von der Bürokraft falsch eingetragenen Frist auch nicht, wie es zur Glaubhaftmachung erforderlich gewesen wäre, vorgelegt worden ist, kann der Senat nicht beurteilen, ob tatsächlich ein entschuldbares Büroversehen der Mitarbeiterin oder vielmehr ein Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten gegeben ist. Ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis kann daher nicht ausgeschlossen werden.

c) Schließlich ist nicht auszuschließen, dass den Prozessbevollmächtigten möglicherweise ein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Denn ungeachtet eines möglichen (unverschuldeten) Büroversehens bleibt der Prozessvertreter stets verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Handlung vorgelegt wird, selbst wenn ihm dabei die Akte nicht vorgelegen haben sollte (vgl. , BFH/NV 2002, 39, m.w.N.).

Im Streitfall ist nicht vorgetragen, wann dem Prozessbevollmächtigten die Sache zur Fertigung der Beschwerdeschrift vorgelegt worden ist. Es ist ferner nicht vorgetragen, ob eine Vorfristkontrolle besteht und wie diese ggf. beschaffen ist. Da diese Fragen offen bleiben, kann der Senat es nicht ausschließen, dass die Sache dem Prozessbevollmächtigten noch innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist zur Bearbeitung vorgelegen hat, er es aber versäumt hat, bei dieser Gelegenheit eine Fristablaufkontrolle durchzuführen und dann —bei Feststellung des Fehlers— zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist zu stellen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1489 Nr. 11
ZAAAA-68647