BFH Urteil v. - I R 13/01

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Ihre alleinige Gesellschafterin war zunächst die C-GmbH, ein Unternehmen der sog. N-Gruppe, hinter der A steht. A war zunächst auch alleiniger Gesellschafter der C-GmbH, deren Anteile am an B verkauft wurden. B erwarb am die Beteiligung an der Klägerin. Bereits am bestellte diese sie zur Geschäftsführerin.

Unternehmensgegenstand der Klägerin war bis 1989 die gewerbliche Zwischenvermietung, die Übernahme von Mietgarantien und die Grundstücksverwaltung für Objekte, die von Unternehmen der N-Gruppe im Bauherrenmodell errichtet wurden. Die Übernahme der Mietgarantien führte bei der Klägerin zu erheblichen Verlusten, für deren Abdeckung die N-Gruppe die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellte. Die Klägerin wies in ihren Jahresabschlüssen entsprechende Verbindlichkeiten gegenüber den einzelnen Unternehmen der Gruppe aus.

Durch Verträge vom 31. März und vom veräußerten diese Unternehmen ihre Forderungen an die B. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Geschäfte:

Vertrag vom


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Gläubiger
Forderung
Kaufpreis
N Beteiligungs AG
592 233,10 DM
35 000,00 DM
N Treuhand GmbH
186 210,43 DM
2 210,43 DM
N Baumanagement GmbH
  100 808,81 DM
  2 000,00 DM
insgesamt
879 252,34 DM
39 210,43 DM

Vertrag vom


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Gläubiger
Forderung
Kaufpreis
N Beteiligungs AG
42 992,27 DM
5 137,80 DM
N Treuhand GmbH
41 971,00 DM
1 971,00 DM
N Baumanagement GmbH
  6 552,56 DM
  361,37 DM
R Grundstücks GmbH
157 564,63 DM
2 564,63 DM
insgesamt
249 080,46 DM
10 034,80 DM

Dementsprechend wurden die Verbindlichkeiten gegenüber den bisherigen Gläubigerfirmen vermindert und auf dem Verrechnungskonto der B verbucht. Das Verrechnungskonto wurde seitens der Klägerin verzinst.

Ab 1989 war die Klägerin in Geschäftsbereichen tätig, die zuvor Geschäftsfelder der N-Gruppe waren. Sie erwirtschaftete in der Folgezeit z.T. erhebliche Gewinne.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) sah in dem Unterschiedsbetrag in Höhe von 1 079 087,57 DM zwischen den Nennwerten der veräußerten Forderungen von insgesamt 1 128 332,80 DM und den Kaufpreisen von insgesamt 49 245,23 DM eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) und erließ für die Jahre 1990 bis 1993 entsprechende Steuerbescheide.

Die dagegen gerichtete Klage richtete sich u.a. gegen die Bescheide über Körperschaftsteuer 1990 bis 1993, gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum bis , gesonderte Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals zum bis , Gewerbesteuermessbeträgen 1990 bis 1993 und gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den bis . Sie blieb überwiegend erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 457 abgedruckt.

Die Klägerin hat Revision eingelegt, die sie auf Verletzung materiellen Rechts stützt.

Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, soweit dieses mit der Revision angefochten wurde, aufzuheben und die betreffenden Steuerbescheide ohne Zugrundelegung der vGA zu ändern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen reichen nicht aus, um durcherkennen zu können.

1. Unter einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626).

2. a) Eine vGA kann hiernach auch darin zu sehen sein, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer Geschäftschancen, die der Kapitalgesellschaft gebühren, ohne Gegenleistung als Eigengeschäft wahrnimmt oder Kenntnisse der Gesellschaft über geschäftliche Möglichkeiten tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Art an sich zieht und für eigene Rechnung nutzt (Senatsurteile z.B. vom I R 96/95, BFH/NV 1999, 1125; vom I R 155/94, BFHE 178, 371, 375; vom I R 97/95, BFHE 181, 122; vom I R 14/96, BFHE 183, 459; s. auch Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungsteuergesetz, Anhang vGA zu § 8 Rz. 87, m.w.N. zur Rechtsprechung). Es ist nicht erforderlich, dass die betreffende Geschäftschance zum typischen Betätigungsfeld der Gesellschaft gehört, sofern es sich um eine mehr oder weniger risikolose Einmalchance handelt (Urteil in BFHE 183, 459, 464). Verfügt die Gesellschaft bei Wahrnehmung der Chance durch den Gesellschafter-Geschäftsführer gegen diesen —wie im Streitfall— über keinen entsprechenden zivilrechtlichen Anspruch auf Vorteilsherausgabe oder auf Schadensersatz, kann eine Gewinnverlagerung anzunehmen sein, wenn ein fremder Dritter für die Überlassung der Geschäftschance ein Entgelt gezahlt hätte (Senatsurteil in BFH/NV 1999, 1125, m.w.N.).

b) Die Vorinstanz, die in dem Verkauf der notleidenden Forderungen eine Geschäftschance der Klägerin sieht, möchte von diesem Erfordernis, dass ein fremder Dritter für die sich bietende Chance ein Entgelt gezahlt hätte, jedenfalls bei Sachverhalten abrücken, in denen der Gesellschafter sein eigenes Interesse über dasjenige der Gesellschaft stellt und dieser eine so verstandene Geschäftschance entzieht. Um einen solchen Sachverhalt gehe es im Streitfall: Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hätte die Forderungen der Gläubiger nicht selbst ”angekauft”. Er hätte vielmehr die Interessen der Gesellschaft gewahrt und mit den Gläubigern eine entsprechende Vereinbarung über eine ”Ablösung der Verbindlichkeiten”, also über einen teilweisen Schuldenerlass geschlossen. Der notwendigen Finanzierung der von den Unternehmen der N-Gruppe geforderten Ablösungsbeträge hätten auf Seiten der Klägerin angesichts deren bereits wiedergewonnenen Ertragslage keine ”unüberwindlichen Schwierigkeiten” entgegengestanden.

Es muss im Streitfall nicht entschieden werden, ob und ggf. unter welchen Umständen die besagte Einschränkung, wonach die Geschäftschance ”marktgängig” sein muss, in Einzelfällen verzichtbar ist. Denn unterstellt, eine derartige Geschäftschance ließe sich bejahen, so ist zum einen weder ersichtlich noch dargetan, dass der Klägerin eine solche Chance seitens der Gläubiger tatsächlich angedient worden wäre. Zum anderen kann dem FG bereits im Ausgangspunkt seiner Überlegungen nicht zugestimmt werden, dass der Forderungsverkauf einerseits und ein etwaiger Schuldenerlass andererseits wirtschaftlich beliebig austauschbar seien und dass es sich bei dem Verkauf deshalb um eine greifbare Geschäftschance der Gesellschaft handele: Denn die Abtretung einer Forderung (§§ 398 ff. des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—) aufgrund eines Forderungskaufs belässt dem Zessionar, wie auch das FA einräumt, die Chance der Wertverbesserung; der Schuldner kann seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise zurückerlangen. Die Forderung kann dann ganz oder teilweise realisiert werden. An dieser ”Chance” orientiert sich naturgemäß auch der ”Preis”, zu dem sich die notleidende und wertgeminderte Forderung verkaufen lässt. Der Schuldenerlass (§ 397 BGB) ist demgegenüber ein endgültiger Forderungsverzicht. Er wird sich für den Gläubiger deshalb gemeinhin nicht zu gleichen Bedingungen realisieren lassen, wie dies bei einem Forderungsverkauf an einen Dritten möglich ist, dem immerhin die —tatsächliche, nicht rechtliche— ”Chance” bleibt, im Laufe der Zeit doch noch einen höheren Wert als den Kaufpreis zu realisieren und entsprechenden ”Gewinn” zu erzielen. Das gilt auch und gerade dann, wenn der Dritte selbst die Möglichkeit hat, diese Entwicklung zu beeinflussen und wenn sich —wie im Streitfall nach der Annahme des FG— die wirtschaftliche Gesundung des Schuldners im Verkaufszeitpunkt bereits abzeichnet. Eine denkbare Vergleichbarkeit zwischen Forderungsverkauf und Forderungsverzicht ließe sich allenfalls herstellen, wenn der Verzicht durch einen Rangrücktritt oder ggf. auch durch eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt wäre. Dann aber wäre beim Schuldner —je nach den Verzichtsbedingungen und ohne, dass dies hier abschließend zu entscheiden wäre— kein entsprechender außerordentlicher Ertrag auszuweisen (vgl. , BFHE 170, 449, BStBl II 1993, 502). Die Verpflichtung wäre vielmehr nach wie vor zu bilanzieren, so dass von einer verhinderten Vermögensmehrung keine Rede sein könnte. Infolge der für den unterstellten teilweisen Schuldenerlass erforderlichen Kreditaufnahme müssten von der Klägerin stattdessen sogar Liquiditätsnachteile in Kauf genommen werden.

Sind der Forderungsverkauf und der Forderungsverzicht weder rechtlich noch wirtschaftlich vergleichbar, so ergibt sich für den Schuldner aus der Bereitschaft des Gläubigers, seine Forderung zu verkaufen, folglich keine reelle Entscheidungsalternative, die sich bietende ”Chance” selbst wahrzunehmen oder aber sie dem Gesellschafter-Geschäftsführer zu überlassen. Er wird lediglich mit einem Gläubigeraustausch konfrontiert, auf den er keinen unmittelbaren Einfluss, geschweige denn einen Anspruch hat und der für ihn im Ergebnis ohne Auswirkungen bleibt. Dass im Streitfall die Forderungen nicht von einem Dritten, sondern von der Alleingesellschafterin der Klägerin erworben wurden und dass die an den Zessionen unmittelbar und mittelbar beteiligten Personen —einerseits B, anderseits A (bzw. einzelne Gesellschaften der Unternehmensgruppe)— nach Lage der Dinge infolge ihrer korrespondierenden wirtschaftlichen Interessen möglicherweise als einander nahe stehende Personen angesehen werden müssen, ändert daran nichts. Dadurch wird im Gegenteil hervorgehoben, dass es für die Klägerin keinen Unterschied macht, ob Gläubiger der besagten Forderungen A (bzw. die Beteiligungsgesellschaften) oder aber B waren. Denn die Klägerin hätte schließlich auch dann keine ”Chance” oder gar einen Anspruch auf einen —ggf. eigenkapitalersetzenden— Verzicht auf die Forderungen gehabt, wenn B von vornherein Gläubigerin gewesen wäre.

3. Andere Gesichtspunkte, unter denen der Ankauf der Forderungen durch die B als vGA einzuschätzen wäre, sind nicht ersichtlich.

Der Forderungsankauf stellt auch keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts dar (§ 42 Satz 1 der AbgabenordnungAO 1977—). Zwar hat der IV. Senat des BFH entschieden, der Erwerb einer nicht mehr werthaltigen Forderung gegen eine GmbH könne nach § 42 Satz 1 AO 1977 wie ein Forderungsverzicht zu behandeln sein (Urteil vom IV R 3/00, BFHE 194, 13, BStBl II 2001, 520); die scheinbaren Schuldtilgungen stellten deswegen in Wirklichkeit Gewinnausschüttungen dar. Dem dort zu beurteilenden Sachverhalt lag jedoch die Besonderheit zugrunde, dass es sich bei der GmbH nur noch um einen sog. Verlustmantel handelte, der zeitgleich mit der Forderung erworben wurde; den Beteiligten ging es darum, noch vor In-Kraft-Treten von § 8 Abs. 4 KStG den mit diesem Mantel verbundenen Verlustabzug sicherzustellen. Solche Gegebenheiten fehlen im Streitfall.

Allerdings lassen sich mittels des Forderungsverkaufs auch hier steuerliche Nachteile vermeiden: Im Gegensatz zum Forderungsverzicht löst der Verkauf bei der Klägerin keinen außerordentlichen Ertrag aus. Auch hier bleibt deshalb das Verlustpotential erhalten. Außerdem vermeidet auch hier die spätere Tilgung der nunmehr der B zustehenden Forderungen entsprechende Gewinnausschüttungen. Insofern wirkt sich der Forderungsverkauf im Ergebnis aber nicht anders aus als z.B. die Erklärung eines Rangrücktritts, ggf. auch der Verzicht unter Besserungsvorbehalt. Von hier nicht ersichtlichen besonderen Ausnahmen abgesehen, muss es jedoch der Gestaltungsfreiheit der Beteiligten überlassen bleiben, in welcher Weise sie für die notleidende Kapitalgesellschaft einen Sanierungsbeitrag leisten wollen. Gestaltungsmissbräuchlich ist dies regelmäßig nicht. Abgesehen davon würde sich ein derartiger Missbrauch, unterstellt, ein solcher wäre ausnahmsweise anzunehmen, ohnehin nicht in den Streitjahren auswirken, sondern erst in jenen Jahren, in denen die ausstehenden Forderungen von der Klägerin getilgt wurden, und auch dann nur im Umfang der Tilgungen.

4. Da die Vorinstanz im Ergebnis eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Es fehlen bislang tatrichterliche Feststellungen dazu, ob die in Rede stehenden Forderungen infolge der angeblichen Verlustdeckungsübereinkunft aus dem Jahre 1983 überhaupt bestanden. Zweifel daran könnten sich in dem in den Steuerakten befindlichen Bericht des FA über die bei der Klägerin durchgeführte Betriebsprüfung vom andeuten (vgl. Bl. 56 ff. der Betriebsprüfungsakten), indem dort (unter II. 1. b; Bl. 64 der Betriebsprüfungsakten) ausgeführt wird:

”Aufgrund der mündlichen Vereinbarung war ursprünglich ein Verlustausgleich zwischen den Gesellschaften vorgesehen ( ... ), welches auch dem wirtschaftlichen Ergebnis entsprechen würde. Durch den Schuldenerlass sollten ja die Nachteile der X gegenüber der anderen Firmen der ”N-Gruppe” ausgeglichen werden.”

Daraus könnte zu folgern sein, dass es sich bei den Mitteln zur Verlustdeckung um Zuschüsse und nicht um Darlehen handelte. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen im 2. Rechtsgang nachzuholen haben. Dabei ist zugleich der Frage nachzugehen, ob die an den Transaktionen beteiligten natürlichen und juristischen Personen ggf. einander nahe standen.

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 2484 Nr. 48
BFH/NV 2002 S. 1172 Nr. 9
DStRE 2002 S. 896 Nr. 14
KÖSDI 2002 S. 13417 Nr. 9
RAAAA-68106