BFH Urteil v. - XI R 7/01

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war bis zum bei der X beschäftigt. Er schloss am mit seinem Arbeitgeber eine Vorruhestandsvereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis zum beendet werden sollte. Der Arbeitgeber verpflichtete sich zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 85 000 DM für den Verlust des Arbeitsplatzes und zur Gewährung eines Vorruhestandsgeldes auf die Dauer von 4 Jahren. Der Vorruhestandstarifvertrag der Banken wurde zum Bestandteil der Vereinbarung erklärt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte eine ermäßigte Besteuerung des steuerpflichtigen Teils der Abfindung ab, weil es im Streitjahr 1996 aufgrund der Zusage des Vorruhestandsgeldes an einer Zusammenballung von Einkünften fehle.

Die Klage hatte Erfolg. Die Vorruhestandsleistungen beruhten auf einem Tarifvertrag, der den Kläger berechtigt habe, Vorruhestandsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Abfindung hingegen beruhe auf einer individuell getroffenen Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Arbeitgeber. Die Vorruhestandsleistungen stellten aufgrund der tarifvertraglichen Regelung ähnlich wie Betriebsrenten eine eigenständige Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung dar.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt es innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vor, es liege eine einheitliche Regelung für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis vor. Der Kläger hätte der Auflösung nicht zugestimmt, wenn er nicht die gesamten in der Vereinbarung aufgeführten Leistungen erhalten hätte. Da die Leistungen einheitlich zu beurteilen seien, fehle es an der für die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG notwendigen Zusammenballung. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vertritt es zusätzlich die Auffassung, dass der Kläger als außertariflicher Angestellter keinen tariflichen Anspruch auf Gewährung von Vorruhestandsgeld gehabt habe.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Abfindung und Vorruhestandsgelder beruhten auf zwei rechtlich selbständigen Grundlagen. Die Abfindung sei ausweislich der Vereinbarung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt worden.

II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Feststellungen des FG tragen seine Entscheidung nicht.

1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (kurz: EStG) die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 431; BFH-Beschluss des Großen Senats vom GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123, m.w.N.; für Leistungen mit fürsorgerechtlichen Überlegungen vgl. aber auch , BFH/NV 1998, 1082). Ein zusammengeballter Zufluss ist gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG aber nur für Leistungen zu fordern, die den Charakter von Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG haben.

2. Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen eines früheren Rechtsverhältnisses sind, fallen unter § 24 Nr. 2 EStG und gehören daher nicht zu den Entschädigungen; dementsprechend liegt eine Entschädigung nur vor, wenn sie an die Stelle der bisherigen Einnahmen aufgrund einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage tritt; diese muss Rechte oder Pflichten begründen, die sich aus dem ursprünglichen Schuldverhältnis nicht ergeben haben (vgl. z.B. , BFH/NV 1994, 308, m.w.N.; vom XI R 8/93, BFHE 172, 338, BStBl II 1994, 167, m.w.N.). In diesem Sinn hat der erkennende Senat mit Urteil vom XI R 8/90 (BFHE 165, 285, BStBl II 1992, 34) entschieden, dass ein bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Tarifvertrages zu zahlendes Übergangsgeld keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist, weil es im Rahmen der vertraglich getroffenen Vereinbarungen gezahlt wird. Dasselbe gilt für Vorruhestandsgelder, die aufgrund Tarifvertrages gezahlt werden. Die sog. Inhaltsnormen eines Tarifvertrages werden Bestandteil der Arbeitsverträge der branchenzugehörigen Arbeitnehmer aufgrund der Zugehörigkeit zu der entsprechenden Gewerkschaft oder einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 des Tarifvertragsgesetzes; vgl. z.B. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl., § 202 Rdnr. 2, § 203 Rdnr. 1, 5).

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, wonach keine Entschädigung, sondern Erfüllungsleistung vorliegt, wenn ein ”Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen” bereits im ursprünglichen Vertrag vereinbart worden ist, fest. Es entspricht ständiger Rechtsprechung sämtlicher Senate des BFH, für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG eine ”neue”, Rechts- oder Billigkeitsgrundlage zu verlangen (vgl. z.B. auch , BFH/NV 1987, 498; vom X R 10/91, BFH/NV 1992, 455; vom III R 53/89, BFHE 172, 349).

3. Das FG-Urteil ist aufzuheben, weil das FG keinerlei Feststellungen zum Inhalt des Tarifvertrages getroffen hat. Der Senat kann nicht beurteilen, ob die Vorruhestandszahlungen Teil einer auf neuer Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhenden einheitlichen Entschädigung sind oder aufgrund des Tarifvertrags gezahlt worden sind. Ggf. wird das FG im Wege der Auslegung festzustellen haben, ob der Vorruhestandstarifvertrag unter Berücksichtigung des sog. arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. z.B. Schaub, a.a.O., § 206 Tz. 41, § 112 Rz. 6 ff.) dem Kläger einen Anspruch auf Vorruhestandsgeld einräumt. Die Tatsache allein, dass außertarifliche Arbeitnehmer kein tarifliches Recht auf vorzeitige Pensionierung haben, muss entgegen der Meinung des FA nicht ausschließen, dass nach individueller Vereinbarung des Vorruhestandes arbeitsrechtlich ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld bestanden hat.

Mit der Zurückverweisung erhält das FA Gelegenheit zu prüfen, ob die Vorruhestandszahlungen nach Tz. 6 ff. des (BStBl I 1998, 1512) zu behandeln sind.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 337 Nr. 3
SAAAA-68016