NWB Nr. 49 vom Seite 3689

Blick nach vorn geboten

Professor Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt und Steuerberater | Mitherausgeber der NWB

Ruhe an der Steuerfront

Hinter uns liegen mehr als vier Wochen fruchtlosen Verlaufs von Sondierungsgesprächen, die in dieser Intensität bisher wohl noch nicht geführt wurden. Ein Interregnum, also eine regierungslose Zeit, obwohl es noch eine geschäftsführende Regierung gibt. In dieser Phase herrscht tatsächlich aber politischer Stillstand. Das gilt in besonderem Maße für die Steuerpolitik. Nach wochenlangen Diskussionen über Familienentlastungen, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und den klimazielorientierten Abbau von Subventionen scheint das Unternehmenssteuerrecht ganz aus dem Blickfeld geraten zu sein. In solchen Zeiten ist der Blick nach vorn geboten, auch wenn hier nur auf einige wenige Punkte eingegangen werden kann.

Die Neuregelung der Steuerbefreiung von Sanierungserträgen war zwar überfällig, nachdem der Große Senat des BFH den sog. Sanierungserlass ( BStBl 2003 I S. 240) wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beanstandet hatte (, BStBl 2017 II S. 393). Die dadurch geschaffene Rechtssicherheit ist für Altfälle jedoch wieder infrage gestellt, weil der Gesetzgeber auf eine rückwirkende Regelung verzichtet hat und der BFH das (BStBl 2017 I S. 741) zur weiteren Anwendung des Sanierungserlasses in allen noch offenen Fällen ebenfalls gekippt hat ( und ). Auch zur gesetzlichen Neuregelung selbst sind einzelne Regelungen kritikwürdig und könnten bis zum Abschluss des eingeleiteten Notifizierungsverfahrens durch die EU-Kommission angepasst werden. So schießt die sicherlich notwendige Regelung zur Verlustverrechnung in § 3a Abs. 3 EStG in einzelnen Punkten über das Ziel hinaus. Dann nämlich, wenn der Sanierungsertrag nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 9 EStG mit den Verlusten „aus allen Einkunftsarten“ verrechnet wird und – wie der Entwurfsbegründung zu entnehmen ist – auch die Verluste des zusammenveranlagten, nicht am Unternehmen beteiligten Ehegatten zu berücksichtigen sind oder wenn die Gesellschafterebene unverhältnismäßig und kaum folgerichtig in die Verlustverrechnungsbeschränkung einzubeziehen ist, obwohl der Sanierungsgewinn nur in der Gesellschaft anfällt (dazu Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG-Kommentar, § 3a Rz. 145). Dringend korrekturbedürftig ist aber auch die Regelung § 15 Satz 1 Nrn. 1, 1a KStG i. V. mit § 3a Abs. 3 Satz 2 ff. EStG, wonach Verlustvorträge des Organträgers auch dann wegfallen, wenn die Organschaft im Zeitpunkt der Sanierung bereits beendet war (dazu Desens, FR 2017 S. 981, 991).

Handlungsbedarf besteht auch bei den körperschaftsteuerlichen Verlustregelungen der §§ 8c, 8d KStG. Nachdem nämlich das BVerfG § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung aufgefordert hat, wird auch zu prüfen sein, ob der neu geschaffene § 8d KStG geeignet ist, die Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG zu beseitigen. Das BVerfG hat diese Frage offengelassen (Beschluss v.  - ). – Im Detail wird der Steuergesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode noch eine Vielzahl weiterer Fragen zu regeln haben.

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2017 Seite 3689
RAAAG-63552