Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns
Gesetze: § 1 Abs 1 MiLoG, § 362 Abs 1 BGB, § 3 MiLoG
Instanzenzug: ArbG Zwickau Az: 7 Ca 716/15 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 680/15 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs.
2Die Klägerin war seit Juli 1994 bei der Beklagten als Verkäuferin mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von zuletzt 39 Stunden beschäftigt. Innerhalb ihrer Arbeitszeit erbrachte sie auch Näharbeiten für Kunden. Die Beklagte zahlte der Klägerin neben einem Grundentgelt Provisionen für getätigte Verkäufe, Prämien im Rahmen von „Personalkäufen“ und Prämien für erbrachte Näharbeiten. Diese sog. Nähprämien wurden jeweils zum Quartalsende ausgezahlt.
3In den zuletzt allein streitgegenständlichen Monaten März und Juni 2015 erhielt die Klägerin jeweils einen in der Entgeltabrechnung als „Gehalt“ bezeichneten Betrag iHv. 1.124,84 Euro brutto sowie eine „Vorauszahlung“ iHv. 311,66 Euro brutto. Bei den Vorauszahlungen handelte es sich um endgültige Leistungen der Beklagten, mit der diese zunächst Ansprüche auf Provisionen, Prämien für Personalkäufe sowie Nähprämien erfüllen wollte. Mit der verbleibenden Differenz sollte die Vergütung auf den gesetzlichen Mindestlohn aufgestockt werden. Die von der Klägerin erarbeiteten Nähprämien betrugen im März 2015 150,00 Euro brutto und im Juni 2015 50,00 Euro brutto.
4Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn geltend gemacht. Die Nähprämien erfüllten diesen Anspruch nicht, weil mit ihnen andere als die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten als Verkäuferin abgegolten und zusätzlich honoriert würden. Bei diesen handele es sich zudem nicht um monats-, sondern quartalsweise Leistungen.
5Die Klägerin hat - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Nähprämien stellten Gegenleistungen für die Arbeitsleistung dar, die im Auszahlungsmonat den Mindestlohnanspruch miterfüllten.
7Das Arbeitsgericht hat der (weitergehenden) Zahlungsklage in Bezug auf die Nähprämien für die Monate März und Juni 2015 stattgegeben. Die Berufung der Beklagten richtet sich ua. hiergegen. Zudem hat sie zweitinstanzlich Widerklage auf Rückzahlung überzahlter Vergütung erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Beklagten in Bezug auf die Nähprämien entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Widerklageantrag weiter, während die Klägerin im Wege der Anschlussrevision (auch) ihren zuletzt gestellten Klageantrag wiederholt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien einen Teilvergleich über weitere in der Revisionsinstanz noch anhängige Zahlungsansprüche geschlossen. Daraufhin hat die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten ihre Anschlussrevision auf die Nähprämien beschränkt und die Parteien haben das Verfahren im Übrigen übereinstimmend für erledigt erklärt.
Gründe
8Die von der Klägerin in zulässiger Weise auf die Nähprämien beschränkte Anschlussrevision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns (auch) durch die Zahlung der Nähprämien bejaht.
9I. Die Anschlussrevision ist zulässig.
10Erklären die Parteien nach einem Teilvergleich den Streitgegenstand der Hauptrevision übereinstimmend für erledigt, verliert die Anschlussrevision dadurch nicht ihre Wirkung. Die Regelung des § 554 Abs. 4 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG, wonach eine Anschließung ihre Wirkung verliert, wenn die Revision zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird, ist auch nicht analog anwendbar, wenn - wie vorliegend - noch eine Kostenentscheidung über die Revision zu treffen ist (vgl. zu § 522 ZPO aF: - zu II 2 der Gründe; - zu 2 f der Gründe, BAGE 28, 107).
11II. Die Klage ist - soweit noch zu entscheiden - unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn ist durch Zahlung (auch) der Nähprämien durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).
121. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch ( - Rn. 16, BAGE 157, 356).
132. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro (bis zum ) ergibt ( - Rn. 17, BAGE 157, 356).
14Es gilt ein umfassender Entgeltbegriff, weshalb alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers geeignet sind, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers fehlt folglich nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen ( - Rn. 32, BAGE 155, 202).
153. Danach kommt der streitgegenständlichen Nähprämie Erfüllungswirkung zu.
16a) Mit der Zahlung der Nähprämie honoriert die Beklagte die für Nähleistungen erbrachte Arbeitsleistung. Anders als die Klägerin meint, handelt es sich nicht um eine zusätzliche Leistung außerhalb ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung. Der Begriff der „Normalleistung“ hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden (so bereits - Rn. 21, BAGE 157, 356). Die Nähprämien werden vielmehr als Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Klägerin gezahlt und unterfallen daher dem umfassenden Entgeltbegriff des Mindestlohngesetzes.
17b) Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt die Nähprämie nicht.
18c) Der Erfüllungswirkung steht nicht entgegen, dass die Nähprämie jeweils lediglich zum Quartalsende gezahlt wird. Sie ist jedenfalls im Auszahlungsmonat mindestlohnwirksam.
19aa) Für die Berechnung, ob der Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn erfüllt ist, kann angesichts der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG nicht auf längere Zeiträume als einen Kalendermonat abgestellt werden ( - Rn. 25, BAGE 155, 202). Bei der (höchstens) monatsweise vorzunehmenden Betrachtung entscheidet sich jeweils, ob neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG auf die gesetzlich geregelte Differenzvergütung tritt.
20bb) Damit ist die Nähprämie in dem jeweiligen Monat, in dem sie gezahlt wird, mindestlohnwirksam. Auf eine über diese Monate hinausgehende Mindestlohnwirksamkeit beruft sich die Beklagte nicht.
21III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:060917.U.5AZR441.16.0
Fundstelle(n):
DStR 2017 S. 2830 Nr. 51
CAAAG-60832