2018: 100 Jahre deutsche Finanzgerichtsbarkeit
Liebe Leserinnen und Leser,
in diesem Jahr feiert die Finanzgerichtsbarkeit in Deutschland einen runden „Geburtstag“. Mit Wirkung zum wurde der Reichsfinanzhof (RFH) als Vorgänger des Bundesfinanzhofs (BFH) in München errichtet. Wird jemand durch öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Für die Finanzgerichtsbarkeit ist der BFH als oberster Gerichtshof verfassungsrechtlich legitimiert (Art. 95 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 108 Abs. 6 GG). Die Bedeutung der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH für die Auslegung von Steuergesetzen ist enorm. Jährlich werden über 50.000 Klagen bei den Finanzgerichten erhoben, und über 2.000 Verfahren pro Jahr gehen neu beim BFH ein.
Grundsatzentscheidungen des BFH beeinflussen auch den Steuergesetzgeber. Zuletzt hatte die am veröffentlichte Entscheidung des Großen Senats v. (vgl. , BStBl 2017 II S. 393 NWB OAAAG-37082) eine wichtige Gesetzesänderung zur Folge (vgl. hierzu Uhländer, SteuerStud 6/2017 S. 341, 344 ff. NWB PAAAG-41317). Nach Ansicht des Großen Senats verstößt der sog. Sanierungserlass des BMF (vgl. , BStBl 2003 I S. 240 NWB XAAAA-88108) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Bereits am verabschiedete der Bundestag mit §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG sowie mit §§ 8, 8c, 8d, 15 KStG und § 7b GewStG wichtige gesetzliche Neuregelungen zur Besteuerung von Sanierungsgewinnen, die allerdings unter dem unionsrechtlichen Beihilfevorbehalt stehen (Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. , BGBl 2017 I S. 2074). Ob und wann die EU-Kommission in 2018 ihre Zustimmung erteilt, ist derzeit nicht abzuschätzen.
Die Finanzverwaltung hat mit - IV C 6 - S 2140/13/10003 (BStBl 2017 I S. 741 NWB UAAAG-43881) für Sanierungsgewinne vor der Veröffentlichung der Entscheidung des Großen Senats mit Blick auf § 176 AO umfassend Vertrauensschutz gewährt. Dem sind leider der I. Senat und der X. Senat (vgl. BFH, Urteile v. - I R 52/14 NWB QAAAG-60392 und X R 38/15 NWB PAAAG-60388, beide veröffentlicht am ) entgegengetreten. Hiernach verstößt auch das gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die Besteuerung der Sanierungsgewinne steht damit weiterhin im Fokus der Gewaltenteilung. Aus Sicht der betroffenen Unternehmen sind nur noch Billigkeitsmaßnahmen gem. §§ 222, 227 AO ohne Bezugnahme auf den Sanierungserlass bei sachlicher oder persönlicher Unbilligkeit der Steuererhebung im jeweiligen Einzelfall geltend zu machen. Eine Vielzahl von weiteren Rechtsstreitigkeiten sind zu erwarten (vgl. nur NWB WAAAG-47722).
2019 wird übrigens das Steuerverfahrensrecht in Deutschland 100 Jahre alt, da die Reichsabgabenordnung (RAO 1919) als Vorgängerin der heutigen Abgabenordnung (AO 1977) im Jahre 1919 Gesetzeskraft erlangte. Kruse bezeichnet die RAO als „genial, die AO 1977 ist hausbacken und bürokratisch; sie hat keine persönliche Physiognomie“ (Lehrbuch des Steuerrechts, München 1991, S. 9). Als Grundordnung für das Besteuerungsverfahren ist die AO dennoch auch heute noch unverzichtbar.
Das Team der Steuer und Studium wünscht Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz persönlich ein gutes Jahr 2018!
Herzliche Grüße
Ihr
Christoph Uhländer
Fundstelle(n):
SteuerStud 1/2018 Seite 1
NWB YAAAG-59326