BGH Beschluss v. - XI ZB 2/17

Empfangsbekenntnis in der Berufungsschrift

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen für die Annahme eines wirksamen Empfangsbekenntnisses in der Berufungsschrift.

Gesetze: § 174 Abs 1 ZPO, § 520 Abs 2 S 1 Halbs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 24 U 110/16vorgehend Az: 15 O 248/15

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die beklagte Sparkasse wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluss von zwei Swap-Verträgen auf Schadensersatz in Anspruch.

2Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Das Urteil wurde laut Postzustellungsurkunde am einer Frau S.     C.     als "durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen rechtsgeschäftlichen Vertreter" der vom Kläger mandatierten L.     Rechtsanwaltsgesellschaft mbH zugestellt. Hiergegen hat Rechtsanwalt L.     als Prozessbevollmächtigter des Klägers bei dem Berufungsgericht am per Telefax Berufung eingelegt, ohne eine Abschrift des landgerichtlichen Urteils beizufügen oder dessen Verkündungs- und Zustellungsdatum mitzuteilen. Die beim Berufungsgericht am per Post eingegangene Berufungsschrift vom richtete sich dagegen "gegen das am verkündete und am zugestellte Urteil des Landgerichts Köln ...".

3Die Frist zur Berufungsbegründung ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom antragsgemäß bis zum verlängert worden. Am , einem Dienstag, ist beim Berufungsgericht per Telefax eine nicht unterzeichnete Berufungsbegründung eingegangen, während das von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unterzeichnete Original erst am eingegangen ist. Auf den vom Berufungsgericht erteilten Hinweis auf die Fristversäumung hat der Kläger am beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat dies damit begründet, dass sein Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründung nach deren Unterzeichnung eingescannt, per Computerfax versendet und sodann das Original zum Versand per Post gebracht habe. Durch einen Softwarefehler der Anwaltssoftware "Datev" sei jedoch nicht das eingescannte - von Rechtsanwalt L.     unterschriebene - pdf-Dokument an das Berufungsgericht gefaxt worden, sondern eine als Word-Dokument abgespeicherte Vorversion ohne Unterschrift, was dieser aus dem Faxprotokoll nicht habe ersehen können.

4Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Eine dem Unterschriftserfordernis der § 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5 ZPO genügende Berufungsbegründung sei erst nach Ablauf der Begründungsfrist bei Gericht eingegangen. Dem Kläger sei gegen die Versäumung der Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setze nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass der Kläger ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert gewesen sei. Dem Kläger sei indes ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Insoweit sei nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar naheliegend, dass seinem Prozessbevollmächtigten ein Bedienungsfehler bei der Übermittlung der Berufungsbegründung unterlaufen sei. Der von ihm behauptete Fehler der verwendeten Software sei dagegen nicht hinreichend dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht.

5Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

61. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig.

7Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2003, 281).

82. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.

9Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger nicht gegen die vom Berufungsgericht versagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; insoweit sind Rechts- oder Verfahrensfehler auch nicht ersichtlich. Soweit der Kläger meint, das Urteil des Landgerichts sei seinem Prozessbevollmächtigten nicht vor dem wirksam zugestellt worden oder auf andere Weise zugegangen, so dass die Berufungsbegründungsfrist frühestens am abgelaufen (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und daher von ihm noch gewahrt worden sei, hat er damit keinen Erfolg.

10a) Das Berufungsgericht hat - jedenfalls im Ergebnis - zutreffend angenommen, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am wirksam erfolgt ist, so dass die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO mit diesem Datum begann und vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts antragsgemäß bis zum verlängert worden ist. Die am eingegangene - dem Unterschriftserfordernis der § 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5 ZPO genügende - Berufungsbegründung war damit verspätet.

11b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde lief die Berufungsbegründungsfrist ab dem . An diesem Tag ist laut Zustellungsurkunde das erstinstanzliche Urteil an Frau S.      C.     als "durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen rechtsgeschäftlichen Vertreter" der vom Kläger mandatierten L.     Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ausgehändigt worden. Die erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgetragene Behauptung, die Zustellungsempfängerin sei von der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zur Entgegennahme von amtlichen Zustellungen bevollmächtigt gewesen, ist unerheblich. Des Weiteren bedarf es auch keiner Entscheidung der von der Rechtsbeschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage, ob im Rahmen einer - wie hier - Zustellung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Zustellung an einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter nach § 171 ZPO zulässig ist (zum Meinungsstand vgl. nur MünchKommZPO/Häublein, 5. Aufl., § 171 Rn. 1, § 172 Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Rohe, ZPO, 4. Aufl., § 171 Rn. 4, § 172 Rn. 2; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 171 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 171 Rn. 2; zur Zustellung an - wie hier - eine Rechtsanwaltsgesellschaft siehe aber BeckOK ZPO/Dorndörfer, 25. ED. , § 172 Rn. 3; MünchKommZPO/Häublein, aaO, § 172 Rn. 4; Stein/Jonas/Roth, aaO, § 172 Rn. 13;Zöller/Stöber, aaO, § 172 Rn. 4).

12Eine wirksame Zustellungsbestätigung enthält hier nämlich jedenfalls die beim Berufungsgericht am eingegangene Berufungsschrift vom . Darin hat Rechtsanwalt L.     als Prozessbevollmächtigter des Klägers bekundet, dass ihm das erstinstanzliche Urteil am zugestellt worden sei. Dies reicht - neben der hier nicht zweifelhaften Kenntnis von der Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle des Landgerichts - für den Vollzug der Zustellung an ihn aus (vgl. , BGHZ 35, 236, 239, vom - VIII ZR 160/86, NJW 1987, 2679, 2680 und vom - VIII ZR 190/91, NJW-RR 1992, 1150). Denn damit hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigt, das zuzustellende Schriftstück an diesem Tag erhalten und mit dem Willen entgegengenommen zu haben, es als zugestellt anzusehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1563, 1564). Für den Zeitpunkt der Zustellung selbst ist es weder von Bedeutung, wann die Empfangsbestätigung ausgestellt worden ist und welches Datum es trägt, noch in welcher Form dies geschieht; der Empfänger kann vielmehr auf beliebige Weise Empfang und Annahmewillen schriftlich bestätigen (vgl. , aaO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es zum Nachweis für den wirksamen Vollzug einer Zustellung aus, wenn der Prozessbevollmächtigte einer Partei sich in einer Rechtsmittelschrift auf das erstinstanzliche Urteil ausdrücklich mit den Worten "zugestellt am ..." bezieht, sofern auch die weiteren, unabdingbaren Anforderungen an die Vollendung der Zustellung erfüllt sind (vgl. , aaO).

13Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Berufungsschrift ist unterzeichnet von Rechtsanwalt L.     , der für den Kläger - damals noch für die L.     Rechtsanwaltsgesellschaft mbH - erstinstanzlich aufgetreten ist und ihn auch vor dem Berufungsgericht vertreten hat. Seine Erklärung, die Berufung werde gegen "das am zugestellte Urteil des Landgerichts Köln" eingelegt, ist eindeutig und enthält keinen Vorbehalt, das Urteil solle nicht als zugestellt angesehen werden. Einen solchen Vorbehalt hat der Klägervertreter während des Berufungsverfahrens auch zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, sondern die Wirksamkeit der Zustellung erstmals in der Rechtsbeschwerdebegründung in Zweifel gezogen. Die Empfangsbereitschaft des Prozessbevollmächtigten des Klägers zeigt sich vor allem auch daran, dass er in der Berufungsinstanz gerade auch die - vom Berufungsgericht gewährte - Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf der Grundlage der Urteilszustellung am beantragt hat. Damit lag in der Zustellung der Urteilsausfertigung an Frau S.     C.     nicht nur die - erforderliche - anwaltliche Gewahrsamsbegründung, sondern auch die Willensentschließung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vor, das Schriftstück als zugestellt zu behandeln. Der Empfangswille findet in der Formulierung "zugestellt am " sinnfälligen Ausdruck. An der Empfangsbereitschaft des Klägervertreters wie auch an seiner Kenntnis von der Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle des Landgerichts (vgl. dazu , NJW 1987, 2679, 2680) können deshalb keine Zweifel bestehen. Damit ist die Zustellung mit Wirkung zum geschehen.

14Dass die Zustellungsurkunde als Zustellungsempfängerin Frau S.    C.     ausweist, ist unerheblich. Die Beurkundung dient lediglich dem Nachweis der Zustellung. Sie ist dagegen kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung (§ 166 Abs. 1 ZPO; vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 15). Aufgrund dessen kann die Zustellung auch auf anderem Weg nachgewiesen werden, ohne dass hierdurch der Zweck der Zustellung, eindeutige Feststellungen über den Zugang eines Schriftstücks, insbesondere über dessen Zeitpunkt, zu ermöglichen, berührt wird (vgl. , NJW 1981, 1613, 1614, insoweit in BGHZ 80, 8 nicht abgedruckt). Dies ist vorliegend durch die Mitteilung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Berufungsschrift erfolgt. Das Verfahrensrecht verlangt im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, dass sich der Zustellungsempfänger an dem durch seine Erklärungen geschaffenen äußeren Tatbestand festhalten lassen muss und sich nicht in Widerspruch zu diesem Verhalten darauf berufen kann, er habe in Wahrheit das Schriftstück nicht als zugestellt annehmen wollen. Aufgrund dessen steht einem Prozessbevollmächtigten die Bestimmung über den Fristenlauf dann nicht mehr zu, wenn er sich auf die Zustellung eingelassen, d.h. durch sein Verhalten nach außen erklärt hat, er wolle das Schriftstück als ihm zugestellt behandeln. Eine Anfechtung seiner prozessualen Empfangserklärung wegen Irrtums (§ 119 BGB) ist nicht möglich (vgl. , NJW-RR 1992, 1150, 1151; Beschluss vom - VI ZB 5/74, NJW 1974, 1469, 1470).

15Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Erklärung in der Berufungsschrift vom nur um eine unverbindliche, rechtsirrige Meinungsäußerung zur mutmaßlich erfolgten Zustellung handele, liegen nicht vor. Solche werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht vorgebracht. Insbesondere hat die Rechtsbeschwerde - außer bloßen Mutmaßungen - nicht konkret dargelegt, dass das erstinstanzliche Urteil dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entgegen seiner eindeutigen Erklärung in der Berufungsschrift nicht bereits am , sondern zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zugegangen sei. Die Behauptung der Rechtsbeschwerde, die Zustellung sei "nicht vor dem " geschehen, entbehrt jeder Substanz.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:120917BXIZB2.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 167 Nr. 3
NJW-RR 2018 S. 60 Nr. 1
WM 2017 S. 2196 Nr. 46
SAAAG-58771