BFH Urteil v. - VI R 169/97

Gründe

Der im Jahre 1953 geborene Sohn (X) der Beigeladenen ist wegen geistiger Behinderung zu 100 v.H. erwerbsunfähig. Er lebt seit vielen Jahren in einer Einrichtung für Behinderte. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) trägt als Sozialleistungsträgerin im Wege der erweiterten Eingliederungshilfe (§§ 39 ff., § 43 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes —BSHG—) die Kosten der Unterbringung. Das Kindergeld für den Sohn wurde seit Jahren an die Klägerin ausbezahlt. Für die beigeladene Kindesmutter, die sich ebenfalls behinderungsbedingt in einer Einrichtung aufhält, ist ein Betreuer bestellt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Arbeitsamt —Familienkasse—) setzte mit Bescheid vom , der an den Betreuer der Beigeladenen gerichtet war, das Kindergeld ab auf 0 DM fest. Zur Begründung führte die Familienkasse an, aufgrund der geleisteten Eingliederungshilfe sei der Sohn nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten.

Gegen den Bescheid vom legte lediglich die Klägerin, die eine Abschrift des Bescheids erhalten hatte, Einspruch ein. In diesem wies die Klägerin wegen ihrer Aktivlegitimation auf die Regelung des § 91a BSHG hin. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Nach Erhebung der Klage erklärte die Klägerin, sie leite den Kindergeldanspruch gemäß § 90 BSHG auf sich über. Ferner stellte sie unter Hinweis auf § 67 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen neuerlichen Antrag auf Kindergeld. Diesen Antrag hat die Familienkasse mit Bescheid vom gleichfalls abgelehnt. Das Einspruchsverfahren ruht insoweit.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, der Rechtsweg zu den Finanzgerichten sei zwar für die erhobene Anfechtungsklage eröffnet (§ 33 der FinanzgerichtsordnungFGO—), da über eine Steuervergütung gestritten werde. Der Bescheid vom sei aber formell bestandskräftig geworden, weil er von der Beigeladenen nicht angefochten worden sei. Die Klägerin selbst sei nicht klagebefugt, da sie nicht in ihren Rechten verletzt sei. Die nachträgliche Überleitung des bereits erloschenen Kindergeldanspruchs sei ins Leere gegangen. Die Klägerin verkenne zudem, dass der Kindergeldanspruch der Kindesmutter und nicht dem Kind zugestanden habe; es hätten allenfalls Unterhaltsansprüche übergeleitet werden können. Die Vorschrift des § 91a BSHG sei nicht anwendbar. Eine Klagebefugnis ergebe sich auch nicht aus § 67 Satz 2 EStG, da die Klägerin offensichtlich kein berechtigtes Interesse in diesem Sinne habe.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 2, 90 BSHG und des § 40 FGO. Die Überleitung sei nicht ins Leere gegangen. Sie —die Klägerin— sei in die Rechtsstellung des Anspruchsgläubigers eingetreten; hiermit sei das Recht verbunden, den Anspruch in eigenem Namen geltend machen zu können. Im Übrigen sei der Bescheid vom auch materiell rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz und die Bescheide des Beklagten vom 26. Februar und aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Klägerin sei nicht in eigenen Rechten verletzt. Hinsichtlich der ins Leere gehenden Überleitung sei dem FG auch deswegen zu folgen, weil die Neuregelung des steuerrechtlichen Kindergeldes den bestehenden Rechtszustand hinsichtlich der Erstattungsansprüche habe beibehalten wollen (§ 74 Abs. 5 EStG 1996; jetzt: § 74 Abs. 3 EStG). Der Bescheid vom sei im Übrigen auch materiell rechtmäßig.

Mit Beschluss vom hat der erkennende Senat die Kindesmutter beigeladen (notwendige Beiladung, vgl. auch Senatsbeschluss vom VI R 49/98, BStBl II 2001, 246).

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der streitigen Bescheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Die Klage ist zulässig, die Klägerin ist insbesondere klagebefugt. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom VI R 181/97 (BFH/NV 2001, 863, Deutsches Steuerrecht 2001, 618, Der Betrieb 2001, 1017).

2. Die Klage ist auch begründet.

Die streitigen Bescheide sind rechtswidrig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Die Beigeladene hat auch ab für ihren Sohn nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG einen Anspruch auf Kindergeld, da dieser außerstande gewesen ist, sich selbst zu unterhalten (§ 63 Abs. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).

Mit Urteil vom VI R 40/98 (BFHE 189, 449, 455, BStBl II 2000, 75) hat der erkennende Senat entschieden, dass ein behindertes Kind dann außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bestimmt oder geeignet sind, den maßgebenden Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG —im Jahre 1997 in Höhe von 12 000 DM— nicht übersteigen.

Es sind im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die zur Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden Einkünfte und Bezüge des Sohnes der Beigeladenen diesen Grenzbetrag überschreiten. Dies gilt selbst dann, wenn im Streitfall der —nach der Sachbezugsverordnung berechnete— Wohnwert der Heimunterbringung als Bezug des Sohnes der Beigeladenen anzusetzen sein sollte (vgl. Senatsurteil vom VI R 89/99, BFHE 192, 477, BStBl II 2000, 580).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 4 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren waren dem Beklagten aufzuerlegen. Es entspricht der Billigkeit, diese Kosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen, wenn der Beigeladene das Revisionsverfahren jedenfalls dadurch wesentlich gefördert hat, dass er auf mündliche Verhandlung verzichtet und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ohne mündliche Verhandlung ermöglicht hat (vgl. , BFHE 165, 482, BStBl II 1992, 147; vom VI R 13/97, nicht veröffentlicht; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 139 Rz. 34).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1443 Nr. 11
GAAAA-67304