Bußgeldverfahren: Örtlich zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid der „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“
Gesetze: § 36 Abs 1 Nr 1 OWiG, § 36 Abs 1 Nr 2 OWiG, § 36 Abs 2 OWiG, § 36 Abs 3 OWiG, § 68 Abs 1 S 1 OWiG, § 15 Abs 1 Nr 2 BSeeSchG, § 61 Abs 2 SeeSchStrO
Gründe
I.
1Die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ mit Sitz in Kiel erließ am „gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Seeaufgabengesetzes“ einen Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 150 Euro nebst Kosten gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit, die er auf dem Ostseefahrwasser W. begangen haben soll. Es liege ein Verstoß gegen §§ 3 Abs. 1, 25 Abs. 2 Nr. 2, 61 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 SeeSchStrO vor. Der Bescheid wies darauf hin, dass mit Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom die bisherigen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in regionale Außenstellen der neu gegründeten Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt umgewandelt worden seien. Sie nähmen jedoch ihre bisherigen Aufgaben vorerst als Außenstellen dieser Behörde weiter wahr.
2Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel die Sache dem Amtsgericht Kiel vorgelegt. Dieses Gericht hat sich durch Beschluss vom für unzuständig erklärt. Dazu hat es ausgeführt, der Sitz der Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Kiel begründe keine Gerichtszuständigkeit; denn der Außenstelle sei die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht wirksam übertragen worden. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt habe ihren Sitz in Bonn. Auch wenn eine Außenstelle die Sache bearbeitet habe, sei der Sitz der Hauptstelle für die Gerichtszuständigkeit gemäß § 68 Abs. 1 OWiG maßgeblich. Anders wäre es nur, wenn der Außenstelle die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG übertragen worden wäre. Eine solche Übertragung sei aber nicht wirksam erfolgt. Dazu wäre eine Regelung durch Rechtsverordnung erforderlich. Der Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom genüge nicht. Die organisatorische Neugliederung der Behörden habe keine selbständige Behörde bei der Außenstelle geschaffen. Deren Zuständigkeit könne nicht allein durch ihre Selbstdarstellung im Bußgeldbescheid begründet werden.
3Nach Vorlage der Sache an das Amtsgericht Bonn hat sich dieses Gericht durch Beschluss vom für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Es hat ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts richte sich nach dem Bezirk der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen habe. Der Begriff der Verwaltungsbehörde sei dabei in funktionellem Sinn zu verstehen. Zur Verwaltungsbehörde werde sie durch Übertragung der Eingriffsbefugnisse, die mit der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten verbunden seien. Daran gemessen habe die Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bei Erlass des Bußgeldbescheids als eigenständige Behörde gehandelt. Auch aus der Sicht des Empfängers habe diese den Bescheid selbstständig erlassen. Zwar sei sie darin als Außenstelle der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bezeichnet worden, jedoch habe sie die Anschrift des Hauptsitzes nicht angegeben.
II.
41. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht der Amtsgerichte Kiel und Bonn gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 14 StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
52. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG und in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG (Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt - Seeaufgabengesetz - SeeAufgG vom , BGBl. II S. 833, zuletzt in der Fassung vom , BGBl. I S. 1489) sowie § 61 Abs. 2 SeeSchStrO (Seeschifffahrtsstraßenordnung vom , BGBl. II S. 553, Neufassung vom , BGBl. I S. 641, Neubekanntmachung vom , BGBl. I S. 3209, 3210) in der bis zum geltenden Fassung ist das Amtsgericht Kiel für die Entscheidung über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zuständig.
6a) Für die Entscheidung ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Gemeint ist damit die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (vgl. Müller, OWiG, 82. Lfg., § 68 Rn. 2; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 17. Lfg., § 68 Rn. 2).
7Die Verwaltungsbehörde hat ihren Sitz grundsätzlich dort, wo ihre Hauptstelle eingerichtet ist, also wo die betreffende Behörde den organisatorischen Mittelpunkt ihres Dienstbetriebs hat. Erlässt eine Nebenstelle den Bußgeldbescheid, ist für den Sitz der Behörde im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG grundsätzlich der Ort der Hauptstelle maßgeblich. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Aufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der Außenstelle als eigenständiger Behörde zugewiesen wurde. Maßgeblich für die Abgrenzung ist nicht die Betrachtung des Auftritts der Verwaltungsbehörde. Bestimmt wird die Zuständigkeit vielmehr durch die rechtlichen Gegebenheiten (vgl. BeckOK-OWiG/Gertler, OWiG, 15. Ed., § 68 Rn. 4; Rebmann/Roth/Herrmann aaO).
8Die Zuständigkeit der Behörden für den Erlass von Bußgeldbescheiden folgt gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuvörderst aus dem Gesetz, das den Bußgeldtatbestand und im Zusammenhang damit die Verfolgungszuständigkeit der Behörde regelt. Wenn eine solche Regelung nicht vorhanden ist, bleibt der Fachminister zuständig (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 OWiG); dieser kann gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG eine Aufgabenübertragung durch Rechtsverordnung vornehmen.
9§ 15 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG enthält eine Verordnungsermächtigung zur Zuständigkeitsbestimmung durch Rechtsverordnung. Auf dieser Grundlage hat § 61 Abs. 2 SeeSchStrO in der bis zum geltenden Fassung die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der hier in Rede stehenden Art auf „die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen Nord und Nordwest“ übertragen. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord, welche die Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit und der Leichtigkeit des Verkehrs auf den Bundeswasserstraßen der deutschen Ostseeküste, der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, der Unterelbe und ihren Zuflüssen, dem Nord-Ostsee-Kanal, der Eider, der Untertrave und der Peene hatte, war nach dieser Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Bußgeldbescheids örtlich und sachlich zuständig.
10Der Umstand, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes durch Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom (VkBl. 2013, S. 422 ff.) neu geordnet worden ist (vgl. die Begründung der späteren gesetzlichen Regelung in vgl. BR-Drucks. 497/15 S. 25 ff.) und die „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord“ nicht mehr diese Bezeichnung trägt, sondern als „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ bezeichnet ist, berührt die ursprünglich durch Rechtsverordnung in § 61 Abs. 2 SeeSchStrO begründete Zuständigkeit nicht. Sie umfasst auch Fälle der Rechtsnachfolge oder geänderten Behördenbezeichnung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom - 3 A 223/13, RdTW 2015, 117, 118 f.). Soweit § 61 Abs. 2 SeeSchStrO in der bis zum geltenden Fassung bestimmt hat, die Zuständigkeit werde auf die „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord und Nordwest“ übertragen, handelt es sich daher um eine Zuständigkeitsregelung, welche auch die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ einschließt.
11Der Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom hat insoweit keine Übertragung einer Zuständigkeit bewirkt, sondern die bereits bestehende Zuständigkeit aufrechterhalten. Durch den Erlass sind die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zwar organisatorisch in die neu geschaffene Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt eingegliedert worden. Ihre Auflösung erfolgte aber nicht. Ihnen blieben vielmehr bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV-Zuständigkeitsanpassungsgesetz - WSVZuAnpG) vom (BGBl. I S. 1217 ff.) und der Verordnung zur Anpassung von Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV-Zuständigkeitsanpassungsverordnung - WSVZuAnpV) vom (BGBl. I S. 1257, 1728) die bisherigen Aufgaben zugewiesen. Der Erlass bestimmte nämlich, dass für die den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zugewiesenen Aufgaben die hiermit funktional identischen Außenstellen der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zuständig bleiben, eigenverantwortlich handeln und unmittelbar der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterliegen. Die Außenstellen blieben danach in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung selbständige Behörden (vgl. Nehab, DVBl. 2014, 156, 161). Dies galt auch, soweit sie nicht mehr unter der alten Behördenbezeichnung auftraten.
12b) Die Tatsache, dass nach Erlass des angefochtenen Bußgeldbescheids die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 61 Abs. 1 SeeSchStrO durch dessen Absatz 2 in der ab dem geltenden Fassung auf die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt übertragen wurde, ändert nichts an der bereits begründeten Gerichtszuständigkeit (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, OWiG, 4. Aufl., § 68 Rn. 7; Rebmann/Roth/Herrmann aaO, § 68 Rn. 2).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:070617B2ARS46.15.0
Fundstelle(n):
WAAAG-53625