Gründe
1. Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer der A-GmbH. Er wird von dem Beklagten (Finanzamt —FA—) durch Bescheid vom als Haftungsschuldner für Umsatzsteuerrückforderungsansprüche gegen die GmbH für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Oktober 1995 gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von 682 032 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Außerdem hat das FA gegen den Kläger durch Bescheid für 1995 Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 festgesetzt, weil er in Rechnungen über nicht ausgeführte Leistungen Umsatzsteuer in Höhe von 962 392 DM berechnet habe (Umsatzsteuerbescheid vom ).
Gegen die Bescheide hat der Kläger mit Zustimmung des FA Sprungklagen erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist. Für die bezeichneten Klageverfahren begehrt er Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten.
Den gegen den Kläger gerichteten Ansprüchen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger bevollmächtigte die Steuerberatungsgesellschaft B, die steuerlichen Angelegenheiten für die GmbH wahrzunehmen. B gab für die GmbH Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Dezember 1994 bis Oktober 1995 ab, in denen keine Umsätze erklärt, sondern nur Vorsteuerbeträge von insgesamt 682 032 DM geltend gemacht worden waren. Das FA stimmte den Steueranmeldungen zu. Die Beträge wurden auf ein von der GmbH angegebenes Konto überwiesen mit Ausnahme eines Teilbetrages von 55 000 DM, der aufgrund einer von dem Kläger unterzeichneten Abtretungsanzeige zur Abgeltung von Honoraransprüchen an B weitergeleitet wurde.
Weitere von B für die GmbH angefertigte und beim FA eingereichte Umsatzsteuer-Voranmeldungen wiesen ebenfalls erhebliche Vorsteuerbeträge, aber keine Umsätze aus.
Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndung wurde der Kläger verhaftet. Vor der Staatsanwaltschaft erklärte er am , dass B in seinem, des Klägers, Auftrag zur Erreichung von Umsatzsteuererstattungen entsprechende Steueranmeldungen abgeben sollte. Die Rechnungsunterlagen zum Nachweis der Vorsteuerbeträge habe er hergestellt, in dem er dafür Firmen, die nicht oder nicht mehr bestanden, als Rechnungsaussteller ausgab. Die Rechnungen habe ein Steuerberater der B beim FA eingereicht. In der richterlichen Vernehmung vom bestätigte der Kläger seine Angaben bei der Staatsanwaltschaft vom Vortag. Später widerrief er sie.
Das FA änderte die Steuerfestsetzungen gegen die GmbH und setzte die Umsatzsteuer für 1994 und für die Voranmeldungszeiträume Januar bis November 1995 auf 0 DM fest. Für Dezember 1995 bis März 1996 setzte es die Umsatzsteuer gegen die GmbH erstmals auf 0 DM fest.
Außerdem nahm das FA den Kläger durch Bescheid vom als Haftungsschuldner für Umsatzsteuerrückforderungsansprüche gegen die GmbH für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Oktober 1995 gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 in Höhe von 682 032 DM nebst Zinsen in Anspruch, weil er als gesetzlicher Vertreter der GmbH vorsätzlich steuerliche Pflichten verletzt und die Auszahlung der Steuererstattungen veranlasst habe, die zu Unrecht festgesetzt worden seien. Er habe die Steuerhinterziehung im Rahmen der richterlichen Vernehmung selbst eingeräumt. Das FA setzte gegen den Kläger außerdem durch Bescheid vom wegen der für nicht erbrachte Leistungen berechneten Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 eine Steuer in Höhe von 962 392 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) lehnte die Anträge des Klägers auf PKH für die gegen die Bescheide gerichteten Sprungklagen ab, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspreche.
Dagegen wendet sich der Kläger mit Beschwerden gegen die Ablehnungen der Anträge auf PKH für die Sprungklage gegen den Haftungsbescheid vom (V B 148/00) und für die Sprungklage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1995 vom (V B 149/00).
Zur Begründung legt er dar, dass er die Aussagen in der richterlichen Vernehmung widerrufen habe, weil er sie in geschwächtem körperlichen Zustand unter Druck gemacht habe. Der Haftungsbescheid sei wegen unzureichender Begründung rechtswidrig. Er sei auch deshalb fehlerhaft, weil nicht er, der Kläger, sondern der Steuerberater X als faktischer Geschäftsführer die Voranmeldungen für Dezember 1994 bis Oktober 1995 zu verantworten habe. Die Rechnungen, aus denen das FA eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 gegen ihn, den Kläger, ableite, habe er nicht hergestellt und nicht in den Verkehr gebracht.
Der Kläger beantragt sinngemäß, seinen Anträgen auf PKH stattzugeben.
Das FA beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen.
2. Der Senat hält es wegen der übereinstimmenden Sachverhalte und der weitgehend gleichen Begründungen für zweckmäßig, die Beschwerden gegen die Ablehnung der Anträge auf PKH für die Sprungklage gegen den Haftungsbescheid vom (V B 148/00) und für die Sprungklage gegen den Umsatzsteuerbescheid vom (V B 149/00) zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden (§ 121 Abs. 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
3. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH (§ 128 Abs. 1 FGO) für die Sprungklage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1995 vom ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nach der für das PKH-Verfahren gebotenen summarischen Beurteilung (vgl. , BFH/NV 1993, 262) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozeßordnung —ZPO—).
a) Der Kläger hat den Tatbestand des § 14 Abs. 3 UStG 1993 erfüllt, denn er hat Rechnungen ausgestellt, in denen er mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer über nicht ausgeführte Umsätze abgerechnet hat. Er hat dies bei seinen Vernehmungen vor der Staatsanwaltschaft und vor dem Haftrichter eingeräumt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Widerruf dieser Aussagen glaubhaft ist. Der Kläger hat den für die Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 maßgebenden und in den ersten Vernehmungen selbst eingeräumten Umstand, dass er die bezeichneten Rechnungen ”ausgegeben” hat und dadurch nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1993 Steuerschuldner geworden ist, nicht substantiiert entkräften können.
b) Im Streitfall ergibt sich auch bei Heranziehung gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze keine andere Beurteilung. Nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) schuldet im inneren Anwendungsbereich jede Person Mehrwertsteuer, die diese in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist. Eine mögliche Berichtigung der Rechnungen ist im Streitfall nicht durchgeführt worden. Die Wirksamkeit der Rechnungsberichtigungen setzt außerdem den Nachweis voraus, dass der daraufhin vorgenommene Vorsteuerabzug berichtigt und rückgängig gemacht worden ist (vgl. dazu Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft —EuGH— vom Rs. C-454/98 - Schmeink & Cofreth, Manfred Strobel, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2000, 470).
Auch davon ist im Streitfall nicht auszugehen. Unter diesen Umständen kann gegen den Rechnungsaussteller zur Herstellung der Steuerneutralität der zu Unrecht berechnete Steuerbetrag als Ausfallhaftung festgesetzt werden (EuGH in UR 2000, 470, Rdnr. 61).
4. Die Beschwerde hat jedoch Erfolg, soweit sie sich gegen die Ablehnung des Antrags auf PKH für die Sprungklage gegen den Haftungsbescheid des FA vom richtet. Insoweit führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
a) Der Kläger hat allerdings als gesetzlicher Vertreter vorsätzlich dazu beigetragen, dass für die von ihm vertretene GmbH zu Unrecht Steuererstattungsansprüche festgesetzt wurden. Er haftet grundsätzlich nach § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 für die dadurch entstandenen Steuerausfälle, wenn die Verwirklichung der Haftung dem Grunde und der Höhe nach pflichtgemäßer Ermessensausübung (§ 191 Abs. 1 AO 1977) entspricht.
b) Dass der Kläger im Zusammenwirken mit B und mit dem für B verantwortlichen Steuerberater X —wie in der richterlichen Vernehmung von ihm bestätigt— handelte, in das gesamte Geschehen eingeweiht und damit einverstanden war, ergibt sich daraus, dass die unrechtmäßig erwirkten Steuererstattungen auf das Konto der GmbH gelangten, über das er als Alleingeschäftsführer verfügungsbefugt war. Der Kläger hat weder substantiiert dargelegt noch bewiesen, dass er von den erheblichen Steuererstattungsbeträgen für die GmbH nichts wusste und dass er nicht darüber verfügt hat. Seine Einlassungen vor der Staatsanwaltschaft und vor dem Haftrichter werden durch die von ihm unterzeichnete Abtretung von Umsatzsteuererstattungsansprüchen in Höhe von 55 000 DM an B bekräftigt. Der Kläger hat mit selbst unterschriebenen Steueranmeldungen ab Dezember 1995 —allerdings erfolglos— versucht, für die GmbH unrechtmäßig Vorsteuererstattungen zu erreichen.
Vorsteuerabzugsansprüche waren für die GmbH nicht entstanden, weil eine Steuer für an sie ausgeführte Leistungen nicht entstanden war; denn die ihr berechneten Lieferungen oder sonstigen Leistungen sind bei summarischer Beurteilung nicht an sie ausgeführt worden.
c) Entgegen der Beurteilung durch das FG lässt sich die vollständige Versagung der beantragten PKH allerdings nicht mit den vorhandenen Erwägungen rechtfertigen, nach denen es für die beabsichtigte Rechtsverfolgung insgesamt an hinreichender Erfolgsaussicht fehle. Das FG hat nicht geprüft, ob die Ermessensentscheidung des FA alle für die Entscheidung über den Antrag entscheidungserheblichen Gesichtspunkte berücksichtigte.
Soweit das FA mit dem durch Sprungklage angefochtenen Haftungsbescheid vom (wegen zu Unrecht abgezogener Vorsteuerbeträge) Ansprüche geltend macht, die auch mit dem durch Umsatzsteuerbescheid für 1995 vom festgesetzten Steueranspruch nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 (wegen zu Unrecht berechneter Umsatzsteuerbeträge) zusammenhängen, ist bei summarischer Beurteilung nicht ausgeschlossen, dass bei der Ermessensentscheidung des FA über die Haftung die zusätzliche Inanspruchnahme des Klägers wegen des durch den unzulässigen Vorsteuerabzug verursachten Steuerausfalls nicht hinreichend berücksichtigt und auch nicht begründet worden ist. Dass das FA zuerst den Haftungsbescheid nach § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 und später den Steuerbescheid nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 bekannt gegeben hatte, ändert daran nichts. Das FA musste dann nachträglich über die Aufrechterhaltung des Haftungsbescheids entscheiden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer (vgl. EuGH-Urteil in UR 2000, 470) eine gleichzeitige Inanspruchnahme des Klägers als Steuerschuldner nach § 14 Abs. 3 UStG 1993 und als Haftungsschuldner nach §§ 69, 34 AO 1977 verbietet.
d) Der Senat hält es nicht für zweckmäßig, die vom FG insoweit noch nicht abschließend durchgeführte Prüfung vorzunehmen und über den PKH-Antrag zu entscheiden. Er macht von der im Beschwerdeverfahren bestehenden Möglichkeit Gebrauch (§ 121 Abs. 1, § 132 FGO), die Sache an das FG zurückzuverweisen (, BFH/NV 1996, 105; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 142 Rz. 29).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1001 Nr. 8
CAAAA-67100