Gehörsverletzung in Strafsachen: Begründungspflicht bei Revisionsverwerfung ohne Hauptverhandlung
Gesetze: § 349 Abs 2 StPO, § 356a StPO, Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 MRK
Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 26 KLs 32/12
Gründe
1Der Senat hat die Revisionen der Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom durch Beschluss vom gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit Schreiben vom , am selben Tag per Telefax beim Bundesgerichtshof eingegangen, haben beide Verurteilte beantragt, das Verfahren gemäß § 356a StPO in die Lage vor Erlass des Verwerfungsbeschlusses zurückzuversetzen und Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. Die zulässigen Anhörungsrügen sind unbegründet.
21. Mit ihren Anhörungsrügen machen die Verurteilten geltend, der Senat habe bei seiner Revisionsentscheidung ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil er entscheidungserhebliches Vorbringen der Revisionsführer entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen habe.
3Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass in der Revisionsbegründung des Verteidigers W. vom geltend gemacht worden sei, das Landgericht habe Tatsachen festgestellt, die eine inländische Geschäftsleitung der luxemburgischen Holdinggesellschaften durch den ehemaligen Mitangeklagten Bü. begründeten. Der gesondert verfolgte Bü. sei als vertretungsbefugtes Organ dieser Gesellschaften bestellt gewesen. Damit habe in Folge von § 10 AO eine unbeschränkte inländische Steuerpflicht der Gesellschaften vorgelegen. Dies sei bei der Subsumtion des Sachverhalts unter § 42 AO zu berücksichtigen gewesen, weil die Zwischenschaltung einer inländischen Kapitalgesellschaft in der Rechtsprechung noch in keinem Fall als missbräuchlich behandelt worden sei. Die betreffende Gesellschaft im Inland könne nicht mit den Argumenten hinweggedacht werden, die in dem angefochtenen Urteil und in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts enthalten seien.
42. Die innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhobenen Anhörungsrügen sind zulässig. Sie haben jedoch in der Sache keinen Erfolg; denn es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (§ 356a StPO).
5a) Der Senat hat bei seinem Verwerfungsbeschluss weder in einer Art. 103 Abs. 1 GG widersprechenden Weise Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen die Verurteilten nicht gehört worden wären, noch hat er bei der Entscheidung zu berücksichtigendes Vorbringen der Verurteilten übergangen oder in sonstiger Weise deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
6b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat die Revisionen der Verurteilten ohne Begründung gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat. Einer Begründung bedurfte es bei der hier einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 StPO ergangenen Entscheidung nicht. Das Grundgesetz gebietet bei letztinstanzlichen Entscheidungen regelmäßig keine Begründung (vgl. nur BVerfG [Kammer], Beschluss vom - 2 BvR 792/11 mwN, wistra 2014, 434). Auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangen eine Begründung der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (EGMR, Entscheidung vom - 15073/03, EuGRZ 2008, 274, 276; siehe auch , StraFo 2014, 121). Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfG aaO mwN).
7So verhält es sich auch hier. Der Senat hat bei seiner Entscheidung das Revisionsvorbringen der Verurteilten in vollem Umfang bedacht und gewürdigt, es aber nicht für durchgreifend erachtet. Zu den steuerrechtlichen Vorfragen hat er jeweils auch die einschlägige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowie des Gerichtshofs der Europäischen Union herangezogen und seiner Revisionsentscheidung zugrunde gelegt. Bei seiner Entscheidung hat der Senat auch das Vorbringen und die Ausführungen der Beschwerdeführer zu § 10 AO berücksichtigt. Er hat jedoch deren Auffassung nicht geteilt, dass hier ein Sachverhalt vorliege, bei dem die Anwendung dieser Vorschrift dazu führen würde, dass die vom Landgericht angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen nicht gegeben seien.
8Soweit die Beschwerdeführer die erhobenen Beweise anders als das Landgericht würdigen und hieraus andere rechtliche Schlüsse ziehen, ergibt sich weder ein Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer noch ein Gehörsverstoß. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, dass das Konzept der Installierung einer Holding nicht tatsächlich umgesetzt wurde und die Tochtergesellschaften weiterhin durch den anderweitig verfolgten Bü. von Deutschland aus geleitet wurden, während die Muttergesellschaft hierauf keinen Einfluss nahm (UA S. 116 f.), hält ebenso rechtlicher Nachprüfung stand, wie die Würdigung des Landgerichts, dass die Firmen B. und S. nur formal vorgeschoben waren, um die tatsächlichen Gegebenheiten zur verschleiern (UA S. 117). Indem die Beschwerdeführer davon ausgehen, es sei „eine inländische Geschäftsleitung der luxemburgischen Holdinggesellschaften“ begründet worden (Anhörungsrüge, Rn. 8) und dabei unterstellen, bei der Holding seien geschäftsleitende Entscheidungen getroffen worden (so die dort in Bezug genommene Revisionsbegründung des Verteidigers W. vom , Rn. 27), lösen sie sich von den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen.
9Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer verstößt ihre Verurteilung wegen Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung des anderweitig verfolgten Bü. (§ 370 AO, § 27 StGB) weder gegen die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs noch gegen die des Gerichtshofs der Europäischen Union. Das Landgericht ist hinsichtlich der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, die auf der Ebene des Gesellschafters zu Einkünften aus Kapitalvermögen führt - wie schon der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften aufgezeigt hat - von zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Die vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen auch einen Zufluss im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG beim gesondert verfolgten Bü. (vgl. dazu auch § 39 AO sowie , Rn. 103 ff., NZWiSt 2012, 75). Nach den Urteilsfeststellungen konnte dieser über die auf den Konten der Luxemburger Gesellschaften eingehenden Geldbeträge frei verfügen (UA S. 134). Auch das bei der F. Bank in K. für die B. eingerichtete Konto diente nach den Feststellungen des Landgerichts lediglich dazu, dass Bü. die dort eingehenden Geldbeträge nach eigenem Gutdünken verwenden konnte (UA S. 33).
103. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO (vgl. u.a. die Senatsbeschlüsse vom - 1 StR 121/15 und vom - 1 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 151).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:130317B1STR476.15.0
Fundstelle(n):
wistra 2017 S. 274 Nr. 7
SAAAG-52235