BFH Urteil v. - I R 65/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterliegt gemäß § 2 des Außensteuergesetzes (AStG) i.V.m. Art. 4 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom DBA-Schweiz— (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) der erweitert beschränkten Steuerpflicht. Er wurde mit Bescheid vom für das Streitjahr 1987 zur Einkommensteuer herangezogen. In diesem Bescheid waren u.a. Einkünfte aus Kapitalvermögen aus der 99 %igen Beteiligung des Klägers an einer inländischen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) berücksichtigt. Auf die festgesetzte Einkommensteuer rechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) in der mit der Steuerfestsetzung verbundenen Anrechnungsverfügung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung Körperschaftsteuer in Höhe von 5 746 796 DM an. Die angerechnete Körperschaftsteuer stand in Zusammenhang mit Dividendenausschüttungen, welche die GbR erhalten hatte. Die Einkünfte aus der Beteiligung (einschließlich der anzurechnenden Körperschaftsteuer) und den Betrag der angerechneten Körperschaftsteuer hatte das FA aus der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der GbR vom entnommen.

Im weiteren Verlauf gelangte das FA zu der Auffassung, dass bei dem Kläger die Körperschaftsteuer aufgrund des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. e EStG i.V.m. Abschn. 213h Abs. 3 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR 1987) im Rahmen der erweitert beschränkten Steuerpflicht nicht anrechenbar sei. Da der Kläger diese Ansicht nicht teilte, erließ das FA unter dem für die Einkommensteuer 1987 einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), der nunmehr auf eine Zahlschuld in Höhe der bislang angerechneten Körperschaftsteuer von 5 746 796 DM lautete.

Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erging unter dem für die GbR ein geänderter Feststellungsbescheid 1987, in dem die betreffende anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Höhe von 5 746 796 DM nicht mehr in den Einkünften enthalten war. Anrechenbare Körperschaftsteuer wurde nicht ausgewiesen; in der entsprechenden Spalte enthielt der Bescheid einen Querstrich. Dementsprechend änderte das FA mit Bescheid vom die Steuerfestsetzung des Klägers für 1987 und berücksichtigte die geminderten Einkünfte aus Kapitalvermögen. In der im Zusammenhang mit dem Steuerbescheid ergangenen Abrechnungsverfügung rechnete das FA keine Körperschaftsteuer an.

Am wies das FA den Einspruch des Klägers gegen den Abrechnungsbescheid zurück; die geänderte Steuerfestsetzung vom fand darin keine Berücksichtigung.

Die dagegen gerichtete Klage, mit der der Kläger die ersatzlose Aufhebung des Abrechnungsbescheides beantragte, hatte weitgehend Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte den angefochtenen Bescheid zwar, indem es die geänderte Einkommensteuerfestsetzung vom von nunmehr 2 961 806 DM einbezog, beließ es aber im Übrigen bei der angerechneten Körperschaftsteuer in Höhe von 5 746 796 DM und errechnete einen Erstattungsanspruch von 3 095 108 DM. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 714 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Abrechnungsbescheid in der Weise zu ändern, dass der Körperschaftsteuer-Nachforderungsbetrag auf 2 651 688 DM festgesetzt wird.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) stellte sich heraus, dass gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der GbR Einspruch erhoben wurde, über den noch nicht entschieden ist.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses wird das Klageverfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen haben, bis das Einspruchsverfahren gegen den für 1987 ergangenen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der GbR bestandskräftig abgeschlossen ist.

1. Das FG hat in seinem Urteil eine Reihe von Streitfragen aufgeworfen, denen im Ausgangspunkt die Frage zugrunde liegt, ob eine (fehlerhafte) Anrechnung von Steuern in einer Anrechnungsverfügung durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid nur dann zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 für die Rücknahme der Anrechnungsverfügung erfüllt sind. Der erkennende Senat hat diese Frage wiederholt verneint (Urteile vom I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836; I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147), der VII. Senat des BFH hat sie demgegenüber bejaht (zuletzt Urteil vom VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787). Das FG ist Letzterem gefolgt. Seiner Ansicht nach liegt keine der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 vor, insbesondere sei dem Kläger die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Anrechnungsverfügung vom nicht gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen.

2. Die Sach- und Rechtslage des Streitfalls gibt keine Veranlassung, diesen Fragen nachzugehen und sie abschließend zu beantworten. Gleiches gilt für die weiteren von den Beteiligten aufgeworfenen Zweifelsfragen. Der angefochtene Abrechnungsbescheid war schon aus anderen Gründen zu ändern, nachdem in dem geänderten Bescheid des Betriebs-FA der GbR vom über die einheitliche und gesonderte Feststellung die Spalte über die beim Kläger anzurechnende Körperschaftsteuer mit einem Querstrich gekennzeichnet und diese damit im Ergebnis mit 0 DM ausgewiesen war. Zwar ist eine ausdrückliche Befugnis zu einer Feststellung der Körperschaftsteueranrechnungsbeträge erst mit Wirkung für Feststellungszeiträume, die nach dem beginnen, in die Abgabenordnung eingefügt worden (vgl. § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977 i.d.F. des Mißbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes —StMBG— vom , BGBl I 1993, 2310, 2346 i.V.m. Art. 97 § 10b des Einführungsgesetzes zur AbgabenordnungEGAO 1977—). Bereits zuvor war die gesonderte Feststellung der Guthaben aber gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung zulässig (vgl. z.B. für den Fall, dass die entsprechenden Ansprüche zum Sonderbetriebsvermögen der einzelnen Gesellschafter gehören, , BFHE 179, 296, BStBl II 1996, 531; I R 185/94, BFHE 179, 299, BStBl II 1996, 390; Abschn. 97 Abs. 4 der Körperschaftsteuer-RichtlinienKStR— 1990; anders z.B. Helmschrott/Eberhart, Deutsches Steuerrecht 1994, 525, 529 f.).

Die getroffene Feststellung war für das FA deswegen bindend, und zwar nicht nur gemäß § 182 Abs. 1 (Satz 1) AO 1977 für den (Folge-)Steuerbescheid (hier: den Einkommensteuerbescheid), sondern auch für die darauf bezogene Anrechnungsverfügung und einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid (allgemeine Meinung, vgl. —jeweils bezogen auf § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977 n.F.— Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 180 AO Rz. 445; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 180 AO Tz. 104; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl., § 180 AO Anm. 2 e; insoweit zutreffend auch Helmschrott/ Eberhart, ebenda). Letzteres folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 182 Abs. 1 Satz 2 AO 1977. Diese Vorschrift ist zwar erst durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 (BGBl I 1999, 2601) in die Abgabenordnung eingefügt worden. Sie betrifft überdies ausdrücklich nur Feststellungen gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977. Sie wirkt jedoch gemäß Art. 97 § 1 Abs. 7 EGAO 1977 auf alle anhängigen Verfahren zurück und ist deswegen ihrem Rechtsgedanken nach für Zeiträume vor Geltung von § 180 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977 auch dann anwendbar, wenn die gesonderte Feststellung sich nicht hiernach, sondern gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 auf das Körperschaftsteuer-Anrechnungsguthaben erstreckt. Der Erlass des Feststellungsbescheides zieht dann gleichermaßen in entsprechender Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 die Änderung derjenigen Verwaltungsakte nach sich, die —wie die Anrechnungsverfügung und der Abrechnungsbescheid— der Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dienen. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt darin nicht.

3. Das Urteil der Vorinstanz war folglich aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen.

Der gegen die GbR ergangene Feststellungsbescheid ist, wie sich erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat herausgestellt hat und worüber unter den Beteiligten Einvernehmen besteht, durch Einspruch angefochten worden, über den noch nicht entschieden wurde. Infolge der Bindungswirkung dieses Feststellungsbescheides für den Abrechnungsbescheid ist der Ausgang dieses Verfahrens für den Rechtsstreit über den Abrechnungsbescheid vorgreiflich. Die Sache ist deswegen an das FG zurückzuverweisen, damit dieses das Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzen kann.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Klage auch bei bestandskräftiger Bestätigung des Feststellungsbescheides gleichwohl nicht vollen Umfanges abzuweisen wäre. Das FA durfte zwar einen Abrechnungsbescheid erlassen, weil zwischen den Beteiligten Streitigkeiten i.S. von § 218 Abs. 2 AO 1977 über die Verwirklichung von Steueransprüchen bestanden (vgl. Senatsurteil vom I R 110/97, BFH/NV 1998, 581). Dem FG ist aber —wie zwischenzeitlich auch das FA einräumt und beantragt— darin Recht zu geben, dass dieses gehalten war, den geänderten Feststellungsbescheid und den im Anschluss daran geänderten Einkommensteuerbescheid auch insoweit zu berücksichtigen, als danach die in Rede stehenden Körperschaftsteuerguthaben nicht mehr gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG in den Einkünften enthalten waren und sich infolgedessen ein abweichender Abrechnungsbetrag errechnet. Sollte das Körperschaftsteuerguthaben von 5 746 796 DM nicht mehr anzurechnen sein, ergäbe sich hiernach weder ein Nachforderungsbetrag in dieser Höhe noch ein Erstattungsbetrag von 3 095 108 DM, vielmehr ein Nachforderungsbetrag von 2 651 688 DM (nämlich ./. 3 095 108 DM zzgl. 5 746 796 DM).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1528 Nr. 12
QAAAA-66735