Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Auslegung des § 28 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die bis Ende 1989 Betriebsgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung war. Bei einer später durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, dass das Besitzunternehmen –-ein Einzelunternehmen—- zum aufgegeben und dessen Geschäftswert verdeckt in das Betriebsvermögen der Klägerin eingelegt worden war. Durch die Abschreibung des demgemäß bei der Klägerin aktivierten Geschäftswerts ergaben sich u.a. für die Jahre 1994 und 1995 Gewinnminderungen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—-) änderte dementsprechend die zuvor ergangenen Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre sowie die Bescheide zur Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) auf den und den . Hierbei war u.a. der Umstand zu berücksichtigen, dass bei den voraufgegangenen Veranlagungen für beide Streitjahre Gewinnausschüttungen mit tariflich belastetem vEK verrechnet worden waren, das infolge der eingetretenen Gewinnminderungen nun nicht mehr zur Verfügung stand. Das FA verrechnete deshalb die nicht mehr durch tariflich belastetes vEK abgedeckten Ausschüttungen mit Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 KStG (EK 02), wodurch sich für beide Streitjahre Erhöhungen der Körperschaftsteuer ergaben.
Die auf dieser Basis ergangenen Feststellungsbescheide gemäß § 47 Abs. 1 KStG focht die Klägerin mit Einspruch und Klage an. Sie begehrte, die nicht durch belastetes vEK abgedeckten Ausschüttungsbeträge nicht mit EK 02, sondern mit vorhandenem Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG (EK 04) zu verrechnen. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen; sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 758 veröffentlicht.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide in der Weise abzuändern, dass die erforderlichen Änderungen des vEK nicht beim EK 02, sondern beim EK 04 vorgenommen werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das gilt unabhängig davon, ob die Annahme des FG zutrifft, dass über die zwischen den Beteiligten streitige Frage in den Körperschaftsteuerbescheiden 1994 und 1995 verbindlich entschieden worden sei und dass diese Frage deshalb nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sein könne. Denn selbst wenn man in diesem Punkt der gegenteiligen Ansicht der Klägerin folgt, hat das FG die angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht bestätigt. Insbesondere ist seine Annahme zutreffend, dass die in den Jahren 1994 und 1995 erfolgten, nicht durch belastetes vEK finanzierbaren Ausschüttungen in der Gliederungsrechnung der Klägerin mit dem EK 02 zu verrechnen waren.
1. Nach § 28 Abs. 2 KStG sind Gewinnausschüttungen gliederungsrechtlich entweder mit dem vEK zum Schluss des letzten vor der Ausschüttung abgelaufenen Wirtschaftsjahrs (Satz 1) oder mit dem vEK zum Schluss desjenigen Wirtschaftsjahrs zu verrechnen, in dem die Ausschüttung erfolgt (Satz 2). Dabei gelten grundsätzlich die Teilbeträge des vEK in der sich aus § 30 KStG ergebenden Reihenfolge als für die Ausschüttung verwendet (§ 28 Abs. 3 Satz 1 KStG). Hieraus folgt, dass zunächst das tariflich belastete vEK (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 KStG) und sodann das ermäßigt belastete vEK (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 KStG) als ausgeschüttet gilt. Erst in dritter Linie gilt das unbelastete vEK –-in der Reihenfolge des § 30 Abs. 2 KStG—- als für die Ausschüttung verwendet.
Eine Ausnahme von dieser regelmäßigen Verwendungsreihenfolge schreibt § 28 Abs. 4 KStG in der hier einschlägigen Fassung für Fälle vor, in denen zunächst die Teilbeträge des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 1 oder 2 KStG als verwendet galten, später aber diese Teilbeträge zur Finanzierung der Ausschüttung nicht mehr ausreichen. In dieser Situation ist nach der genannten Regelung die Ausschüttung insoweit, als sie nicht durch die belasteten vEK-Beträge abgedeckt wird, mit dem EK 02 zu verrechnen; das gilt auch dann, wenn hierdurch das EK 02 negativ wird. Dieser gesetzlichen Bestimmung entsprechend ist das FA im Streitfall verfahren.
2. Die Klägerin räumt dies ein, meint jedoch, dass die Verwendungsregelung des § 28 Abs. 4 KStG im Streitfall keine Anwendung finden könne. Dies folge daraus, dass sie –-die Klägerin— an den maßgeblichen Stichtagen über EK 04 verfügt habe, durch das die Ausschüttungen abgedeckt werden könnten. Vom Sinn und Zweck des § 28 Abs. 4 KStG werde diese Gestaltung nicht erfasst, weshalb der Anwendungsbereich der Vorschrift in der Weise einzugrenzen sei, dass in Fällen wie dem vorliegenden die allgemeine Verwendungsfiktion des § 28 Abs. 3 KStG zum Tragen komme (teleologische Reduktion). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
a) Der Wortlaut des § 28 Abs. 4 KStG ist in dem hier interessierenden Punkt eindeutig. Ihm zufolge ist die Verrechnung mit EK 02 in allen Fällen, in denen das zunächst zur Verrechnung verwendete vEK später nicht mehr ausreicht, zwingend. Auf die Frage, ob und ggf. welche sonstigen Bestände an vEK der Gesellschaft zur Verfügung stehen, kommt es hiernach nicht an. Der Gesetzestext bietet deshalb für die von der Klägerin verfolgte Lösung keinen Anknüpfungspunkt.
b) Auf Sinn und Zweck des § 28 Abs. 4 KStG lässt sich diese Lösung ebenfalls nicht stützen. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift ist nicht gerechtfertigt.
Allerdings weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass § 28 Abs. 4 KStG allein dem Ziel dient, Systembrüche im Zusammenhang mit der Weiterausschüttung ausländischer Einkünfte zu verhindern. Solche hätten sich nach der Einfügung des § 40 Satz 1 Nr. 1 KStG in das Gliederungsrecht ergeben, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft steuerfreie ausländische Einkünfte erzielt, die einerseits in das vEK gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 KStG (EK 01) eingehen und deren Ausschüttung andererseits nicht zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt (§ 40 Satz 1 Nr. 1 KStG). In Fällen dieser Art hätte es bei Einhaltung der Verwendungsreihenfolge des § 28 Abs. 3 KStG dazu kommen können, dass zunächst mit belastetem vEK verrechnete Ausschüttungen später mit EK 01 verrechnet worden wären, ohne dass die den Gesellschaftern erteilten Steuerbescheinigungen (§ 44 KStG) hätten rückgängig gemacht und zurückgefordert werden können. Die Folge wäre gewesen, dass den Gesellschaftern eine Körperschaftsteuer angerechnet worden wäre, die die Gesellschaft letztlich nicht gezahlt hat (vgl. hierzu Dötsch, Der Betrieb —DB— 1993, 1790, 1794 f.; Streck, Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 28 Anm. 14; Dötsch/Cattelaens/Gottstein/Stegmüller/ Zenthöfer, Körperschaftsteuer, 12. Aufl., Rz. 1261 ff.). Dies verhindert § 28 Abs. 4 KStG, indem er eine Verrechnung mit EK 02 anordnet, dessen Ausschüttung bei der Gesellschaft zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt.
Angesichts dessen ist im Schrifttum die Ansicht verbreitet, dass der Wortlaut des § 28 Abs. 4 KStG über das Ziel des Gesetzgebers hinausschieße und in diesem Sinne zu weit gefasst sei (so z.B. Dötsch, DB 1993, 1790, 1794 f.; Rekow in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 28 Rz. 60; Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 28 KStG, Grüne Blätter Anm. zu Abs. 4 II; Koenig in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, § 28 Rz. 68). Daraus wird z.T. das Erfordernis abgeleitet, den Anwendungsbereich der Vorschrift gegenüber dem Gesetzestext einzuschränken (so z.B. Dötsch, Wrede und Koenig, jeweils a.a.O.; a.A. Rekow, a.a.O.; Streck, a.a.O.; Jünger in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 28 Rz. 177), wobei der Umfang der erforderlichen Korrektur wiederum streitig ist. Der Streitfall bietet keine Veranlassung, zu dieser Problematik abschließend Stellung zu nehmen. Jedenfalls lässt sich die von der Klägerin begehrte Verrechnung der Ausschüttungen mit EK 04 auf den Gesetzeszweck schon deshalb nicht stützen, weil (auch) die Ausschüttung von EK 04 nicht zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt (§ 40 Satz 1 Nr. 2 KStG): Eine solche Verrechnung würde dem erkennbaren Ziel des § 28 Abs. 4 KStG widersprechen, einen Gleichlauf zwischen der Besteuerung der Gesellschaft und derjenigen des Gesellschafters herbeizuführen, und kann deshalb mit teleologischen Erwägungen nicht gerechtfertigt werden.
c) Die Richtigkeit dieser Überlegung wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Hieraus ergibt sich nämlich, dass im Gesetzgebungsverfahren nicht nur die später verwirklichte Lösung erwogen worden ist, sondern auch alternative Erwägungen angestellt worden sind. So heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung, dass ”eine Festschreibung der ursprünglichen Verwendung des ungemildert belasteten Eigenkapitals…nicht zu der erforderlichen Sicherstellung der Besteuerung geführt” hätte (BTDrucks 12/4487, S. 40). Der Gesetzgeber hat mithin bewusst eine Lösung gewählt, die den angestrebten Gleichlauf der verschiedenen Besteuerungsebenen möglichst zuverlässig gewährleistet. Angesichts dessen wäre eine Gesetzesanwendung, die weder diesem Ziel noch dem Normtext entspricht, jedenfalls verfehlt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1607 Nr. 12
VAAAA-66729