EuGH Urteil v. - C-36/16

Instanzenzug: Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) - ,

Gründe

Zur Vorlagefrage

24Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die Übertragung des Eigentums an einem unbeweglichen Gegenstand, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, zur Begleichung von Steuerrückständen von einem Mehrwertsteuerpflichtigen zugunsten des Fiskus oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats vorgenommen wird, eine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt darstellt.

25Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit der Mehrwertsteuerrichtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen worden ist, das insbesondere auf einer einheitlichen Definition der steuerbaren Umsätze beruht (Urteil vom , Newey, C-653/11, EU:C:2013:409, Rn. 39).

26Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt.

27Nach Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als "Steuerpflichtiger", wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Als "wirtschaftliche Tätigkeit" gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

28Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie definiert eine "Lieferung von Gegenständen" als die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

29Hinsichtlich des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsatzes steht erstens fest, dass der zwischen Posnania und der Gemeinde geschlossene Vertrag zur Übertragung des Eigentumsrechts an einem unbeweglichen Gegenstand geführt hat, und zweitens, dass Posnania die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen aufweist.

30Drittens ist die an den Ort der Lieferung des Gegenstands geknüpfte Voraussetzung unzweifelhaft erfüllt, da der Umsatz im Gebiet eines Mitgliedstaats, nämlich in Polen, stattgefunden hat.

31Was viertens die mögliche Entgeltlichkeit der Übertragung des Eigentums an einem unbeweglichen Gegenstand auf eine öffentliche Einrichtung, im vorliegenden Fall des Eigentums an einem Grundstück auf eine Gemeinde, zur Begleichung von Steuerrückständen angeht, ist darauf hinzuweisen, dass eine Lieferung von Gegenständen nur dann im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie "gegen Entgelt" erbracht wird, wenn zwischen dem Lieferer und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die Vergütung, die der Lieferer erhält, den tatsächlichen Gegenwert für den gelieferten Gegenstand bildet (Urteile vom , Kuwait Petroleum, C-48/97, EU:C:1999:203, Rn. 26, und vom , Dixons Retail, C-494/12, EU:C:2013:758, Rn. 32).

32Im vorliegenden Fall besteht zwischen dem Lieferer des Grundstücks und dessen Empfänger zwar ein Rechtsverhältnis wie das zwischen einem Gläubiger und seinem Schuldner.

33Die Zahlungsverpflichtung des Steuerpflichtigen - als Schuldner einer Steuerforderung - gegenüber der Steuerverwaltung - als Gläubigerin dieser Forderung - ist jedoch einseitiger Natur, weil die Zahlung der Steuer durch den Steuerpflichtigen nur zum gesetzlichen Erlöschen der Forderung führt, auch wenn er seiner Zahlungsverpflichtung, wie im vorliegenden Fall, durch Hingabe eines Grundstücks an Zahlungs statt nachkommt.

34Eine Steuer stellt nämlich eine obligatorische Abgabe dar, die hoheitlich vom Staat auf die Ressourcen der seiner Steuerhoheit unterliegenden Personen erhoben wird. Sie ist dazu bestimmt, über den öffentlichen Haushalt für im Allgemeininteresse liegende Dienste verwendet zu werden. Eine solche Abgabe führt unabhängig davon, ob sie auf einen Geldbetrag oder, wie im vorliegenden Fall, auf einen körperlichen Gegenstand erhoben wird, zu keiner Leistung der öffentlichen Hand und folglich auch zu keiner Gegenleistung des Steuerpflichtigen.

35Folglich handelt es sich nicht um ein Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, im Sinne der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs.

36Daher kann die Hingabe eines Gegenstands an Zahlungs statt, die zum Erlöschen einer Steuerschuld führen soll, nicht als entgeltlicher Umsatz im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen und nicht mit Mehrwertsteuer besteuert werden.

37Zu ergänzen ist gleichwohl, dass das nationale Gericht zwar für die Würdigung des im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Sachverhalts und die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften allein zuständig ist, dass aber in einem Vorabentscheidungsverfahren der Gerichtshof, der dem vorlegenden Gericht in sachdienlicher Weise zu antworten hat, dafür zuständig ist, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen Erklärungen dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, die ihm die Entscheidung ermöglichen (Urteil vom , Grünewald, C-559/13, EU:C:2015:109, Rn. 32).

38Hinsichtlich eines Vorgangs, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, lässt sich nicht ausschließen, dass ein Steuerpflichtiger wie Posnania in seiner Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger bereits einen Vorsteuerabzug bezüglich des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Grundstücks vorgenommen hat.

39Insoweit besteht zwar, wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge dargelegt hat, die Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs, doch wird für diese Gefahr in Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie Vorsorge getroffen.

40Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass der Zweck der letztgenannten Bestimmung darin besteht, sicherzustellen, dass der Steuerpflichtige, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand entnimmt, und der Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt, gleich behandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , BCR Leasing IFN, C-438/13, EU:C:2014:2093, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41Im Hinblick auf die Verwirklichung dieses Ziels stellt Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleich, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (Urteil vom , BCR Leasing IFN, C-438/13, EU:C:2014:2093, Rn. 24).

42Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die Übertragung des Eigentums an einem unbeweglichen Gegenstand, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, zur Begleichung von Steuerrückständen von einem Mehrwertsteuerpflichtigen zugunsten des Fiskus oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats vorgenommen wird, keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt darstellt.

Kosten

43Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die Übertragung des Eigentums an einem unbeweglichen Gegenstand, die, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, zur Begleichung von Steuerrückständen von einem Mehrwertsteuerpflichtigen zugunsten des Fiskus oder einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats vorgenommen wird, keine der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung eines Gegenstands gegen Entgelt darstellt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAG-48536