BVerwG Urteil v. - 2 C 20/15

Beginn der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG für Ansprüche wegen altersdiskriminierender Besoldung

Leitsatz

In den Fällen der altersdiskriminierenden Besoldung von Beamten durch §§ 27 und 28 BBesG a.F. (juris: BBesG J: 2002) begann der Lauf der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG mit der Verkündung des in der Sache Hennigs und Mai (Aufrechterhaltung der bisherigen Rspr, 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 52, vom - 2 C 36.13 - Buchholz 240 § 27 BBesG Nr. 6 Rn. 20 und vom - 2 A 9.13 - Rn. 13).

Gesetze: § 24 AGG, § 15 AGG, § 28 BBesG 2002, § 27 BBesG 2002, Art 17 EGRL 78/2000, Art 2 EGRL 78/2000, Art 6 EGRL 78/2000

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Az: 1 A 290/14 Urteilvorgehend Verwaltungsgericht des Saarlandes Az: 2 K 724/12 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger beansprucht eine Ausgleichszahlung unter Berufung auf die altersdiskriminierende Wirkung der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen besoldungsrechtlichen Bestimmungen.

2Der 1961 geborene Kläger steht als Oberamtsrat (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) im Dienst der Beklagten. Mit Schreiben vom beantragte der Kläger für den Zeitraum ab dem bis Ende Juni 2009 die Auszahlung der Beträge, die sich aus der Differenz zwischen der in der Vergangenheit tatsächlich gewährten Dienstaltersstufe und der Endstufe seiner Besoldungsgruppe ergeben.

3Die Beklagte lehnte diesen Antrag des Klägers ab. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids verurteilt, an den Kläger 1 800 € zu zahlen. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

4Die für die Besoldung des Klägers maßgeblichen Bestimmungen hätten ihn wegen seines Alters diskriminiert. Der Antrag vom habe noch die für den Anspruch maßgebliche Frist von zwei Monaten gewahrt. Die hier relevante Rechtslage sei nicht bereits mit der Verkündung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (in der Sache Hennigs und Mai), sondern erst mit der Verkündung seines Urteils vom (in der Sache Specht) geklärt worden.

5Hiergegen richtet sich die bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom zurückzuweisen.

6Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

7Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat im Zeitraum vom bis Ende Juni 2009 im Hinblick auf die seinerzeit geltenden altersdiskriminierenden Besoldungsbestimmungen keinen Zahlungsanspruch. Dementsprechend hätte das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen müssen.

8Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragten zusätzlichen Besoldungsleistungen aus der höchsten Stufe (Stufe 12) seiner Besoldungsgruppe (A 13 BBesO) für den Zeitraum bis . Der Senat hat zwar bereits auf der Grundlage und in Übernahme der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (, Specht - NVwZ 2014, 1294) entschieden, dass die Besoldung der Beamten der Besoldungsordnung A nach den §§ 27 und 28 BBesG in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 3020, §§ 27 und 28 BBesG a.F.) Beamte unmittelbar aufgrund ihres Lebensalters benachteiligt und diese Bestimmungen mit den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16, RL 2000/78/EG) unvereinbar sind. Eine Einstufung der betroffenen Beamten in eine höhere oder gar in die höchste Dienstaltersstufe ihrer Besoldungsgruppe zum Ausgleich dieser ungerechtfertigten Diskriminierung ist jedoch ausgeschlossen. Da von der Diskriminierung potenziell sämtliche Beamte erfasst sind, besteht kein gültiges Bezugssystem, das als Grundlage herangezogen werden kann. Ein besoldungsrechtlicher Anspruch des betreffenden Beamten besteht daher nicht (vgl. 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 13 ff. und 18 ff.).

9Ebenso wenig steht dem Kläger Schadensersatz zu. Ein solcher Anspruch folgt weder aus Art. 17 RL 2000/78/EG noch aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch noch aus § 15 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG. Art. 17 RL 2000/78/EG gewährt unmittelbar keine Zahlungsansprüche. Der unionsrechtliche Haftungsanspruch sowie der verschuldensabhängige Anspruch nach § 15 Abs. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG kommen erst für den Zeitraum ab dem in Betracht ( 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 24 f. und 40 ff.).

10Auch ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG steht dem Kläger nicht zu. Ein solcher Anspruch scheitert daran, dass der Kläger die gesetzliche Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG von zwei Monaten zur schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG nicht gewahrt hat. Die Frist beginnt nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Diese Frist begann am und war zum Zeitpunkt des Antrags im Schreiben vom bereits abgelaufen.

11Ist, wie hier in Bezug auf die Vereinbarkeit der §§ 27 und 28 BBesG a.F. mit den Vorgaben der RL 2000/78/EG, eine Rechtslage unsicher und unklar, beginnt die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG mit der objektiven Klärung der Rechtslage durch eine höchstrichterliche Entscheidung ( 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 51 ff.).

12In seinen bisherigen Urteilen ist der Senat davon ausgegangen, dass insoweit die in der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgeschriebene Verkündung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen Hennigs und Mai am (C-297/10 und C-298/10) maßgeblich ist ( 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 51 ff., - 2 C 3.13 - Buchholz 245 LandesBesR Nr. 8 Rn. 53 und vom - 2 A 9.13 - juris Rn. 13). Hieran hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest.

13Bei einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage beginnt der Lauf der Ausschlussfrist zu dem Zeitpunkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, d.h. die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist ( - juris Rn. 61; - NJW 1999, 2041 <2042> und vom - XI ZR 262/07 - NJW-RR 2009, 547 Rn. 15 zu dem gleich behandelten Fall des Beginns der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Dies setzt nicht voraus, dass sämtliche denkbaren Zweifelsfragen restlos höchstrichterlich geklärt sind. Es reicht aus, wenn infolge einer höchstrichterlichen Entscheidung die Erhebung der Klage für den Betroffenen zumutbar ist.

14Der Gerichtshof der Europäischen Union selbst geht davon aus, dass in seinem Urteil in Sachen Hennigs und Mai vom den Mitgliedstaaten der Bedeutungsgehalt von Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG in Bezug auf ein mit §§ 27 und 28 BBesG a.F. vergleichbares Besoldungssystem verdeutlicht worden ist (, Specht - NVwZ 2014, 1294 Rn. 104). Dass auch nach dem genannten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union einzelne Verwaltungsgerichte nach wie vor eine diskriminierende Wirkung des geltenden Besoldungssystems verneint bzw. deswegen den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht haben (vgl. den 7 K 156.10 - juris Rn. 93 ff. m.w.N.) und eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht vorlag, ändert daran nichts. Entscheidend ist, dass mit dem Urteil in Sachen Hennigs und Mai die erforderliche höchstrichterliche Klärung ("Verdeutlichung") durch den Gerichtshof der Europäischen Union selbst vorlag, nämlich dass ein mit §§ 27, 28 BBesG a.F. vergleichbares Besoldungssystem unionsrechtswidrig ist. Damit war es den Betroffenen zumutbar, ihre daraus folgenden Ansprüche im Klagewege geltend zu machen. Dass seinerzeit in der besagten Entscheidung vom die maßgebliche (hinreichende) Klärung der Rechtslage gesehen wurde, wird auch dadurch augenfällig belegt, dass - wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist - im Nachgang zu dieser Entscheidung mehrere Berufsverbände und Interessenvertretungen ihre Mitglieder durch vorformulierte "Musteranträge" unterstützt und sie aufgefordert haben, unter ausdrücklichem Hinweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ihre Ansprüche geltend zu machen.

15Entsprechend liegt auch der Streitfall: Das Schreiben des Klägers vom , mit dem er seinen Anspruch auf Bemessung seines Grundgehalts nach der höchsten Stufe seiner Besoldungsgruppe gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat, begründet den Antrag ausdrücklich unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs in Sachen Hennigs und Mai vom . Die an dieses Urteil anknüpfende Zwei-Monats-Frist gemäß § 15 Abs. 4 AGG lief mit Ablauf des ab. Damit hat der Kläger den Anspruch nicht fristgerecht geltend gemacht.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:060417U2C20.15.0

Fundstelle(n):
RAAAG-46623