Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist freiberuflich tätig. In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1990 und 1991 erklärte er neben seinen Einkünften u.a. aus freiberuflicher Tätigkeit Verluste aus gewerblichem Wertpapierhandel, die er wie folgt ermittelte:
1990 1991
Wertpapier-Erlöse …DM …DM
./. Wertpapier-Einkäufe …DM …DM
./. Zinsen …DM …DM
./. sonst. Kosten …DM …DM
…DM …DM
In den eingereichten Bilanzen waren Wertpapierbestände in folgender Höhe ausgewiesen:
(Eröffnungsbilanz)
Wertpapiere …DM …DM …DM
Für die Jahre 1988 und 1989 hatte der Kläger aus dem An- und Verkauf von Wertpapieren Spekulationsverluste in Höhe von ... DM (Anschaffungskosten ... DM ./. Veräußerungserlös ... DM) und in Höhe von ... DM (Anschaffungskosten ... DM ./. Veräußerungserlös ... DM) erklärt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer 1990 und 1991 fest, ohne die erklärten Verluste zu berücksichtigen. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 163.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben,
2. die Einkommensteuerbescheide für 1990 und 1991 vom und vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin gehend zu ändern, dass bisher nicht berücksichtigte Verluste aus Gewerbebetrieb im Jahre 1990 in Höhe von ... DM und im Jahre 1991 in Höhe von ... DM berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Im Ergebnis zutreffend hat das FG einen gewerblichen Wertpapierhandel verneint.
1. Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind Einkünfte aus gewerblichen Unternehmen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes —EStG—). Gewerbebetrieb ist eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt (§ 15 Abs. 2 Satz 1 EStG). Zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, dass die jeweilige Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 4/82, BFHE 141, 405, 427, BStBl II 1984, 751, 762). Die Absicht, gewerbliche Gewinne zu erzielen, muss durch eine Tätigkeit verfolgt werden, die nach allgemeiner Auffassung als unternehmerisch gewertet wird (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700, unter II. 2.).
2. Zur Konkretisierung dieser gesetzlichen Tatbestände hat die Rechtsprechung die folgenden Grundsätze entwickelt.
a) Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb einerseits und der nichtsteuerbaren Sphäre sowie anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 7 EStG) andererseits ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und auf die Verkehrsanschauung abzustellen. In Zweifelsfällen ist maßgebend, ob die Tätigkeit, soll sie in den gewerblichen Bereich fallen, dem Bild entspricht, das nach der —gerichtsbekannten und nicht beweisbedürftigen— Verkehrsanschauung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist (, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617).
Die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Betätigung die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Vermögen im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt (BFH-Beschluss in BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C. I., m.w.N. der Rechtsprechung). Die in diesem Zusammenhang von der Rechtsprechung entwickelten Beweisanzeichen dienen dem Zweck, eine die Gleichheit der Rechtsanwendung gewährleistende Zuordnung zum ”Bild des Gewerbebetriebes” —Handel mit Vermögensgegenständen durch marktmäßigen Umschlag erheblicher Sachwerte sowie der gewerblichen Produktion— bzw. zur privaten Vermögensverwaltung zu ermöglichen (vgl. —zur gewerblichen Betätigung auf dem Grundstücksmarkt— BFH-Beschluss in BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617). Zu den ”Urbildern” des Gewerbebetriebs (Senatsurteil vom X R 255/93, BFHE 180, 51, BStBl II 1996, 303) gehören neben der unternehmerischen Betätigung des Händlers und des Produzenten auch die des Dienstleistenden. Die im vorliegenden Zusammenhang als Vergleichsmaßstab allein in Betracht kommende Tätigkeit des Händlers ist auf die Ausnutzung substantieller Werte durch Umschichtung von Vermögenswerten gerichtet; sie unterscheidet sich von der ”Vermögensumschichtung im Rahmen privater Vermögensverwaltung” durch den marktmäßigen Umschlag von Sachwerten (Senatsbeschluss vom X R 183/96, BFHE 184, 355, BStBl II 1998, 332).
b) Dies gilt grundsätzlich auch für die Beurteilung des An- und Verkaufs von Wertpapieren (, BFHE 182, 567, BStBl II 1997, 399). Allerdings lässt sich nicht für alle Wirtschaftsgüter nach einem einheitlichen Maßstab beurteilen, ob eine Tätigkeit schon Gewerbebetrieb oder noch der Vermögensverwaltung zuzuordnen ist. Es sind die Besonderheiten der jeweils ”gehandelten Ware” zu beachten. Der Vermögensanlage in Wertpapieren ist eigen, dass bei deren kurzfristigem Umschlag schon wegen der Stichtagsbezogenenheit der Gewinnausschüttung von Kapitalgesellschaften die ”Fruchtziehung” nicht notwendigerweise im Zufluss von Dividenden und Bezugsrechten besteht, dass sich vielmehr wirtschaftlich die Ertragserwartung des Anlegers auch aus der Kursentwicklung ergeben kann. Der (BFHE 93, 281, BStBl II 1968, 775) ausgeführt, es liege ”bei Wertpapieren in der Natur der Sache, den Bestand zu verändern, schlechte Papiere abzustoßen, gute zu erwerben und Kursgewinne zu realisieren”. Aus dieser zutreffenden Feststellung folgt, dass selbst mit einem häufigen Umschlag von Wertpapieren der Bereich der privaten Vermögensverwaltung noch nicht verlassen wird. Demgemäß hat der XI. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 182, 567, BStBl II 1997, 399 ausgeführt, dass Wertpapiergeschäfte selbst in größerem Umfang im Allgemeinen noch zur privaten Vermögensvorsorge und -verwaltung und damit auch dann nicht zum Bereich gewerblicher Betätigung gehören, wenn die sonstigen Merkmale dafür (z.B. Nachhaltigkeit, Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr) gegeben sind. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 93, 281, BStBl II 1968, 775; vom VI R 149/67, BFHE 102, 261, BStBl II 1971, 620; vom I R 191/72, BFHE 108, 190, BStBl II 1973, 260; vom VIII R 150/76, BFHE 130, 157, BStBl II 1980, 389, und vom X R 39/88, BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631).
c) Der An- und Verkauf von Wertpapieren überschreitet die Grenze zur gewerblichen Betätigung daher nur in besonderen Fällen. Der An- und Verkauf von Wirtschaftsgütern ist ein Gewerbebetrieb, wenn sich der Steuerpflichtige ”wie ein Händler” (BFH-Urteile in BFHE 182, 567, BStBl II 1997, 399; vom X R 23/82, BFHE 150, 218, BStBl II 1987, 744; vom X R 48/82, BFHE 150, 224, BStBl II 1987, 752) —bezogen auf den Streitfall: wie ein Wertpapierhändler— verhalten hat (vgl. BFH-Urteile in BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631; vom X R 38/92, BFH/NV 1994, 850). Beweisanzeichen für eine Zuordnung zum ”Bild des Wertpapierhandels” sind der Umfang der Geschäfte, das Unterhalten eines Büros oder einer Organisation zur Durchführung von Geschäften, das Ausnutzen eines Marktes unter Einsatz beruflicher Erfahrungen, das Anbieten von Wertpapiergeschäften gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit und andere für eine private Vermögensverwaltung ungewöhnliche Verhaltensweisen (BFH-Urteile in BFHE 130, 157, BStBl II 1980, 389; vom VIII R 172/83, BFHE 140, 82, BStBl II 1984, 132, 135; vom I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66). Der An- und Verkauf von Wertpapieren kann ferner die Grenze der privaten Vermögensverwaltung überschreiten, wenn der Steuerpflichtige ohne Einsatz eigenen Vermögens mit beruflich erlangten Kenntnissen Kursdifferenzen ausnützt und sich damit ”bankentypisch” verhält (BFH-Urteile in BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631; vom III R 9/89, BFH/NV 1994, 80). Bei der rechtlichen Zuordnung anhand der vorgenannten Kriterien kann nicht isoliert auf einzelne Merkmale abgestellt werden, vielmehr ist das Gesamtbild entscheidend, wobei die einzelnen Beweisanzeichen zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind.
d) Beim hiernach gebotenen Abgleichen des An- und Verkaufs von Wertpapieren mit dem ”Bild des Gewerbebetriebes” ist der Entwicklung der Verhältnisse Rechnung zu tragen. So hat z.B. der technologische Fortschritt Auswirkungen auf die kurzfristige Handelbarkeit von Kapitalanlagen, auf die Technik der Geschäftsabschlüsse (”Bildschirmhandel”, ”Spekulieren per Mausklick"; vgl. Schmidt-Liebig, Wertpapiergeschäfte von ”Daytradern” und andere Phänomene im Grenzbereich der Einkunftsarten, Die Information über Steuer und Wirtschaft —Inf— 1999, 641) und auf die Möglichkeiten der Gewinnung von geschäftsrelevanten Informationen, die zunehmend auch Privatanlegern zugänglich sind (vgl. Sorgenfrei, Private Vermögensverwaltung contra gewerblicher Wertpapierhandel, Finanz-Rundschau 1999, 61 ff.). Außerdem führt die zunehmende Größe der Privatvermögen dazu, dass sich die Anzahl der vermögensverwaltenden Rechtsakte —insbesondere bei der Pflege von Wertpapierdepots— erhöht. Das früher bei der gebotenen Gesamtabwägung verwendete Kriterium der ”büromäßigen Organisation” verliert angesichts der Möglichkeit, beim An- und Verkauf von Wertpapieren handelsübliche Personalcomputer und einschlägige Standard-Software einzusetzen, an Bedeutung. Auch eine Fremdfinanzierung der Wertpapiergeschäfte selbst in nennenswertem Umfang prägt diese nicht als gewerblich. Hingegen führt zu gewerblichen Einkünften insbesondere der ”händlertypische” Umschlag von Waren, das Tätigwerden für fremde Rechnung nach Art von Finanzkommissionsgeschäften (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Gesetzes über das Kreditwesen —KredWG—) oder anderer Wertpapierdienstleistungen sowie sonstige Verhaltensweisen, die in vergleichbarer Weise der Vermögensverwaltung fremd sind.
3. Dies vorausgesetzt hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Kläger den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten hat.
a) Die vom Kläger angegebene Anzahl von 96 Wertpapierkäufen und 90 Wertpapierverkäufen (einschließlich des An- und Verkaufs von Optionsscheinen) im Jahr 1990 und die Volumina dieser Geschäfte (... DM bzw. ... DM) bewegen sich in dem für Wertpapiergeschäfte von Privaten üblichen Rahmen. Ohnehin hat der Kläger im Jahre 1991 lediglich 21 Ankaufs- und Verkaufsgeschäfte getätigt. Es ist unerheblich, dass der Kläger nicht dividendenberechtigte Aktien-Optionscheine erworben und veräußert hat. Eine Geschäftstätigkeit, die nicht auf die verzinsliche Anlage von Kapitalvermögen, sondern darauf abzielt, allein durch Kursveränderungen Gewinne zu erzielen, ist nicht bereits aus diesem Grunde gewerblich.
b) Die Nutzung eigener beruflicher Kenntnisse als gelernter Einzelhandelskaufmann, die Promotion an einer Privatuniversität im Bereich Wirtschaftswissenschaften und seine Tätigkeit im kaufmännischen Bereich machen die Wertpapiergeschäfte auf eigene Rechnung noch nicht zu gewerblichen (vgl. , BFHE 98, 494, BStBl II 1970, 411; in BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631; in BFHE 182, 567, BStBl II 1997, 399, und vom XI R 80/97, BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448). Daher kann unterstellt werden, dass der Kläger, wie er behauptet, in Wirtschafts-, Bank- und Börsenangelegenheiten sachkundig ist. Die Erschließung von börsenrelevanten Informationsquellen mittels persönlicher Kontakte und durch den Bezug von Fachnachrichten übersteigt nicht ein bei ”passionierten” Privatanlegern übliches Maß.
c) Die Hinweise des Klägers auf die Einrichtung eines mit Telefon- und Faxanschluss ausgestatteten Büroraums allein für seine Wertpapiergeschäfte und auf den Abschluss eines auf die Durchführung von Büroarbeiten gerichteten Arbeitsvertrages mit seiner als ...-Helferin ausgebildeten Ehefrau verhelfen der Revision nicht zum Erfolg. Zwar hat es der XI. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448 als für die Beurteilung nach dem Gesamtbild bedeutsam angesehen, ob Wertpapiergeschäfte ”durch eine eigene Büroorganisation unterstützt” werden. An deren Ausstattung seien keine überhöhten Anforderungen zu stellen, sie müssen jedoch erkennbar für den Wertpapierhandel bestimmt sein. Dass Wertpapiergeschäfte in einem ohnehin vorhandenen, anderweitig gewerblich genutzten Büro abgewickelt würden, sei nicht ausreichend, denn andernfalls wäre das Vorliegen eines gewerblichen Wertpapierhandels von der Gestaltung des jeweiligen Einzelfalls, etwa des Arbeitsplatzes eines Arbeitnehmers oder der Praxis eines Freiberuflers, abhängig. Der erkennende Senat ist aus den vorstehend dargelegten Gründen der Auffassung, dass dem Vorhandensein einer Büroorganisation nur eine geringe, für sich allein keine Indizwirkung zukommt. Dies könnte insbesondere dann anders sein, wenn die Geschäfte einen Umfang hätten, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KredWG); solches ist hier nicht der Fall.
d) Angesichts des Gewichts der erörterten Indizien ist dem Umstand, dass der Kläger die Abwicklung der Geschäfte zum Teil fremdfinanziert hat, keine entscheidende Bedeutung beizumessen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448).
e) Ein anderes Gesamtbild der Tätigkeit des Klägers könnte sich insbesondere ergeben, wenn ein eng mit den eigenen Wertpapiergeschäften verbundenes Tätigwerden für fremde Rechnung besonders ins Gewicht fallen würde (BFH-Urteile in BFHE 130, 157, BStBl II 1980, 389; in BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448). Entsprechende Tatsachen hat das FG nicht festgestellt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1015 Nr. 8
YAAAA-66498