BFH Beschluss v. - X R 156/97

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb im Jahr 1992 eine sich über zwei Etagen erstreckende Eigentumswohnung für 465 000 DM. Das Obergeschoss (zwei Räume und Bad mit WC) bewohnte er selbst. Das Erdgeschoss (Wohnraum, Küche, Flur, Abstellraum und WC) vermietete er ab für 535 DM monatlich an Frau D. Nach der ergänzenden Vereinbarung zum Mietvertrag vom ”besteht Übereinkunft dahingehend, dass der Vermieter die Küche rechtlich und tatsächlich mitbenutzen kann”.

Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für 1996 beantragte der Kläger

als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte nur den Verlust aus Vermietung und Verpachtung. Die Eintragung eines Freibetrags für die begehrte Wohneigentumsförderung lehnte das FA ab. Der Einspruch des Klägers gegen die Ablehnung war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage auf Eintragung eines weiteren Freibetrags ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 453 veröffentlicht. Das FG führte im Wesentlichen aus:

Die vom Kläger selbst bewohnten Räumlichkeiten seien keine Wohnung i.S. des § 10e EStG, da weder eine Küche noch eine Kochgelegenheit vorhanden sei. Ein Mitbenutzungsrecht an der vermieteten Küche reiche nicht aus. Die mietweise Überlassung der Küche an Fremde stelle keine Eigennutzung dar, es sei denn, der Mieter gehöre zum Haushalt des Steuerpflichtigen. Ob der Mietvertrag steuerrechtlich anzuerkennen sei, könne dahinstehen, weil die bei einer Nichtanerkennung dem Kläger zustehende ungekürzte Wohneigentumsförderung niedriger sei als der vom FA auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 38 598 DM.

Im Revisionsverfahren ging der Kläger vom Anfechtungsverfahren zum Feststellungsverfahren über. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, die den Eintrag auf der Lohnsteuerkarte ablehnende Entscheidung sei rechtswidrig gewesen, bestehe schon deshalb, weil er durch die Auferlegung der Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens beschwert sei. Es ergebe sich außerdem daraus, dass die dem Streitfall zugrunde liegende Rechtsfrage (Anerkennung eines Abzugsbetrags nach § 10e Abs. 1 EStG) auch entscheidungserheblich sei für das beim FG anhängige Verfahren wegen Einkommensteuer 1994 und das noch offene Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 1995. Im Veranlagungsverfahren für das Streitjahr 1996 habe das FA zwar den Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG gewährt, dafür aber das Mietverhältnis nicht mehr anerkannt. Diese Auffassung habe es auch in den Lohnsteuerermäßigungsverfahren für 1997 und 1998 vertreten. Die Klärung der Streitfrage, ob der Abzugsbetrag nach § 10e EStG neben dem Verlust aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen sei, habe somit auch Bedeutung für die Veranlagungszeiträume ab 1996.

Der Kläger beantragt festzustellen, dass die Ablehnung des begehrten Eintrags auf der Lohnsteuerkarte rechtswidrig war.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Zum Sachverhalt trägt es ergänzend vor, der Kläger habe unter Änderung des Mietvertrags ab die Küche nicht mehr vermietet. Der Mieterin sei ab diesem Zeitpunkt lediglich ein unentgeltliches Mitbenutzungsrecht eingeräumt worden. Die ursprünglich vereinbarte Miete habe sich dadurch nicht geändert (Kompensation mit einer zeitgleich veranlassten Mietpreiserhöhung für die verbliebenen Räume). Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für 1997 sei daher das behauptete Mietverhältnis nicht mehr anerkannt, sondern von einer gemeinschaftlichen Nutzung der Räume durch den Kläger und die Mieterin ausgegangen worden.

II. Die Revision ist unzulässig.

1. Im Streitfall ist nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils die Frist, innerhalb derer sich die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte beim Abzug der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber auswirken kann (vgl. § 42b Abs. 3 Satz 1 EStG), abgelaufen. Für das ursprüngliche Begehren des Klägers, einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG als weiteren Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen, ist somit das Rechtsschutzinteresse entfallen (, BFHE 173, 9, BStBl II 1994, 305, unter 1., m.w.N.).

2. Für einen Übergang vom Anfechtungsverfahren zur Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) fehlt das berechtigte Interesse.

a) Das Lohnsteuerermäßigungsverfahren ist ein vorläufiges, gegenüber der Einkommensteuerveranlagung selbständiges Verfahren. Über streitige Sach- und Rechtsfragen wird verbindlich erst im Einkommensteuerbescheid entschieden. Obwohl Entscheidungen im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für das Veranlagungsverfahren nicht bindend sind, hält die Rechtsprechung ein berechtigtes Interesse, die Rechtswidrigkeit von solchen an sich nur vorläufigen Entscheidungen gerichtlich festzustellen, für gegeben, wenn die Veranlagung für das betreffende Jahr noch nicht abgeschlossen ist und sich die zu beurteilende Sach- und Rechtslage nicht geändert hat (z.B. , BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650; vom IX R 90/83, BFH/NV 1987, 445; vom IX R 41/86, BFH/NV 1987, 714; vom X R 160/88, BFHE 160, 481, BStBl II 1990, 815; vom X R 103/94, BFH/NV 1996, 536) oder wenn sich die Streitfrage für die künftigen Lohnsteuerermäßigungsverfahren in gleicher Weise stellt (, BFHE 157, 370, BStBl II 1989, 976).

Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit von Entscheidungen im Lohnsteuerermäßigungsverfahren wird auf prozessökonomische Gründe gestützt. Es sei nicht vertretbar, das Lohnsteuerermäßigungsverfahren ohne Sachentscheidung zu beenden und den Kläger wegen der bei der Einkommensteuerveranlagung auftretenden gleichen Rechtsfragen auf ein neues Gerichtsverfahren zu verweisen, in dem die Gerichte voraussichtlich den gleichen Rechtsstandpunkt wie im Lohnsteuerermäßigungsverfahren einnähmen. Auch wenn eine gerichtliche Entscheidung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für das nachfolgende Veranlagungsverfahren nicht verbindlich ist, wird davon ausgegangen, dass die Beteiligten bei unveränderter Sach- und Rechtslage der Auffassung des Gerichts folgen würden (BFH-Urteil in BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650).

b) Auf die im Lohnsteuerermäßigungsverfahren streitige Rechtsfrage, ob dem Kläger die begehrte Wohneigentumsförderung zusteht, kommt es bei der Veranlagung für das Streitjahr 1996 und bei den Lohnsteuermäßigungsverfahren für 1997 und 1998 wegen der geänderten Sach- und Rechtslage nicht mehr an. Insoweit ist ein berechtigtes Interesse nicht gegeben.

Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten hat der Kläger nach der Entscheidung des den Mietvertrag geändert und ab Dezember 1996 die Küche nicht mehr vermietet, sondern der Mieterin nur noch ein Mitbenutzungsrecht daran eingeräumt. Von diesem Zeitpunkt an nutzte er unstreitig auch die Küche zu eigenen Wohnzwecken, so dass die eigengenutzten Räume dem Wohnungsbegriff entsprachen. Da es sich bei dem Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG um einen Jahresbetrag handelt, der ungekürzt zu berücksichtigen ist, auch wenn die Voraussetzungen nur während eines Teils des Kalenderjahres vorgelegen haben, hat das FA die Wohneigentumsförderung schon für das Streitjahr 1996 in voller Höhe gewährt. Auf die vom FG —auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung verwirklichten Sachverhalts— entschiedenen Rechtsfragen, ob die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG nur dann zu gewähren ist, wenn die nicht vermieteten, eigengenutzten Teile der Wohnung die Merkmale des Wohnungsbegriffs erfüllen und ob der Kläger die Küche trotz der Vermietung zu eigenen Wohnzwecken i.S. des § 10e Abs. 1 EStG nutzt, kommt es für das Streitjahr 1996 und die folgenden Jahre somit nicht mehr an.

c) Ein berechtigtes Interesse für ein Feststellungsverfahren ist auch nicht im Hinblick auf die —noch offenen— Veranlagungen für 1994 und 1995 gegeben.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für 1996 ist die Rechtmäßigkeit des auf der Lohnsteuerkarte für 1996 eingetragenen Freibetrags auf der Grundlage des bei Erlass der finanzgerichtlichen Entscheidung am verwirklichten Sachverhalts. Nach § 39a Abs. 1 EStG wird auf der Lohnsteuerkarte als vom Arbeitslohn abzuziehender Freibetrag die Summe der in Nrn. 1 bis 5 aufgezählten Beträge —u.a. die nach § 10e EStG abziehbaren Beträge und die negative Summe der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 EStG (Vermietung und Verpachtung)— eingetragen. Wird über die Höhe des einzutragenden Freibetrags gestritten, hat das Gericht zu Unrecht nicht berücksichtigte Beträge mit zu Unrecht eingetragenen Beträgen zu saldieren. Denn Streitgegenstand sind nicht die einzelnen Beträge des § 39a Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 EStG, sondern der insgesamt einzutragende Freibetrag.

Käme der Senat im Streitfall zu dem Ergebnis, der Kläger habe die Küche zu eigenen Wohnzwecken i.S. des § 10e Abs. 1 EStG genutzt, weil die in der Ergänzungsvereinbarung zum Mietvertrag ausbedungene Mitbenutzungsbefugnis als fortdauernde Ausübung seines Eigentumsrechts anzusehen ist, stünde dem Kläger zwar die beantragte Wohneigentumsförderung zu. Die Ablehnung, in Höhe dieses Betrages einen weiteren Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen, wäre aber nur rechtswidrig, wenn auch der Verlust aus Vermietung und Verpachtung zu Recht als Freibetrag eingetragen worden wäre.

Aufgrund der sich aus dem Gesamtbild der Verhältnisse ergebenden Zweifel, ob nicht die persönliche Beziehung der Vertragsbeteiligten Grundlage des gemeinsamen Wohnens war und die als Miete erklärten Zahlungen als Beiträge zur gemeinsamen Haushaltsführung zu werten sind (, BFHE 180, 74, BStBl II 1996, 359), müsste der Senat prüfen, ob das Mietverhältnis steuerrechtlich überhaupt anzuerkennen ist. Er könnte hierüber jedoch nicht abschließend entscheiden, weil das FG hierzu —aus seiner Sicht zu Recht— keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Die Sache müsste deshalb an das FG zurückverwiesen werden.

In einem solchen Fall ist für eine —rechtlich nicht bindende, nur aus prozessökonomischen Gründen zu beachtende— Entscheidung des FG über die Rechtswidrigkeit einer ablehnenden Verfügung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren kein berechtigtes Interesse ersichtlich (vgl. , NV). Die streitigen Sach- und Rechtsfragen sind vielmehr im Verfahren über die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 zu entscheiden. Im Übrigen bestehen unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie auch Zweifel, ob ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung im Feststellungsverfahren bestehen kann, wenn die Sache wegen unzureichender Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen ist (offen gelassen im , BFH/NV 1989, 56). Der Senat braucht hierüber im Streitfall aber nicht abschließend zu entscheiden.

d) Ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des BFH im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ergibt sich auch nicht aus der nachteiligen Kostenentscheidung des finanzgerichtlichen Urteils. Läuft die Frist, innerhalb derer sich die begehrte Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte auswirken kann, nach Erlass des finanzgerichtlichen Urteils ab, können die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklären. Dies hätte zur Folge, dass das finanzgerichtliche Urteil wirkungslos wird. Über die Kosten des Verfahrens hätte der BFH dann gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (, BFH/NV 1988, 453).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 476 Nr. 4
NAAAA-66480