Gründe
Nachdem der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in dem Finanzgerichtsverfahren 2 K 3010/97 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am geladen worden war, beauftragte er den Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner gerichtlichen Interessen. Dieser beantragte mit Schriftsatz vom die Verlegung des Termins unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach nicht ausreichende Vorbereitungszeit. Mit Verfügung vom lehnte der Richter am Finanzgericht (RiFG) B als Vertreter des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht (VRiFG) V den Antrag ab; zugleich ordnete er als Vertreter des Berichterstatters die Übersendung einer dienstlichen Äußerung des VRiFG V an den Prozessbevollmächtigten und an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) zur Kenntnisnahme und eventuellen Stellungnahme an. In der dienstlichen Äußerung erklärte sich der VRiFG V für befangen und begründete dies damit, dass der (BFH/NV 1997, 872) einem gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag des Klägers in dem früheren Finanzgerichtsverfahren…stattgegeben habe. Die in diesem Verfahren ausgesprochene Besorgnis der Befangenheit erstreckt sich nach Auffassung des VRiFG V auch auf das anhängige Verfahren 2 K 3010/97. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass er den Kläger wegen falscher Verdächtigung und Beleidigung bei der Staatsanwaltschaft X angezeigt habe.
Mit Beschluss vom schloss der Senat des Finanzgerichts (FG) den VRiFG V von der Entscheidung im laufenden Verfahren aus. Der Kläger lehnte daraufhin den RiFG B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. RiFG B habe die Übersendung der dienstlichen Äußerung des VRiFG V veranlasst; der hierin enthaltene Hinweis auf eine Strafanzeige lasse befürchten, dass RiFG B nicht mehr unvoreingenommen über die Klage entscheiden könne.
In einer dienstlichen Äußerung vom erklärte sich RiFG B für nicht befangen. Am selben Tage entschied das FG über die Klage und wies durch Beschluss den Ablehnungsantrag als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FG aus, dass die von RiFG B veranlasste Übersendung der dienstlichen Äußerung des VRiFG V der Gewährung rechtlichen Gehörs gedient habe.
Mit seiner Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Ablehnungsgesuchs, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger geltend, dass ihn die von RiFG B verfügte Übersendung der dienstlichen Äußerung des VRiFG V infolge des Hinweises auf die gegen ihn erstattete Strafanzeige bei den Verfahrensbeteiligten diskriminiert und den Eindruck einer ”Straftäterschaft” erweckt habe. Diesem Eindruck habe sich auch der die Übersendung veranlassende RiFG B nicht entziehen und daher nicht unvoreingenommen entscheiden können. Dabei sei auch zu beachten, dass das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren bereits im April 1999 eingestellt worden sei.
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das FG hat das Befangenheitsgesuch des Klägers zu Recht zurückgewiesen.
1. Die Beschwerde ist zulässig, obwohl das FG unter Mitwirkung des vom Kläger abgelehnten Richters über die Klage entschieden und damit eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Bei Erfolg der Beschwerde könnte der Kläger nämlich nachträglich —unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist— eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 2, § 119 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einlegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 120, 121/93, BFH/NV 1994, 327, m.W.N.; vom VIII B 79/94, BFH/NV 1995, 686, unter 1. der Gründe).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil kein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des RiFG B zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung —ZPO—). Ein derartiger Grund ist nur gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (vgl. , BFH/NV 1995, 223). Entgegen der Auffassung des Klägers begründet jedoch weder die von RiFG B verfügte Übersendung der dienstlichen Äußerung des VRiFG V noch die Kenntnisnahme vom Inhalt der übersandten dienstlichen Äußerung einen Befangenheitsgrund i.S. von § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO.
a) Die von RiFG B verfügte Übersendung der dienstlichen Äußerung des VRiFG V, in der dieser eigene Zweifel an seiner Unbefangenheit gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 48 ZPO anzeigte, diente der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. hierzu , BVerfGE 89, 28). Da sich aus dem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs ein Recht auf Äußerung ergibt und das Recht auf Äußerung mit einem Recht auf Information verknüpft ist, müssen sich die Verfahrensbeteiligten über den gesamten Verfahrensstoff informieren können (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 89, 28). Aus diesem Grunde ist die vollständige Übersendung der dienstlichen Äußerung eines sich selbst ablehnenden Richters ungeachtet ihres Inhalts an die Beteiligten geboten, so dass die Übersendung kein diskriminierendes Verhalten des RiFG B darstellt und keine Besorgnis der Befangenheit begründet.
b) Auch die Kenntnisnahme vom Inhalt der dienstlichen Äußerung —und damit die Kenntnisnahme von der von VRiFG V gegen den Kläger erstatteten Strafanzeige— begründet keine Besorgnis der Befangenheit des RiFG B. Die Kenntnisnahme vom Inhalt der dienstlichen Äußerung war nicht nur im Rahmen der für die Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlichen Übersendung notwendig, sondern sie war auch erforderlich, um über das Selbstablehnungsgesuch des VRiFG V entscheiden zu können. Denn nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 45 ZPO ist für die Entscheidung über das Selbstablehnungsgesuch eines Richters der Senat zuständig, dem der sich selbst ablehnende Richter angehört (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Rz. 62 i.V.m. 54); um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können, mussten daher die zuständigen Senatsmitglieder, zu denen im Streitfall auch der vom Kläger abgelehnte RiFG B gehört, Kenntnis vom gesamten Inhalt der dienstlichen Äußerung des sich selbst ablehnenden Richters erlangen. Dass die hierbei erlangte Kenntnis von der von VRiFG V gegen den Kläger erstatteten Strafanzeige zu einer Voreingenommenheit des RiFG B führen könnte, ist bereits schon deshalb nicht anzunehmen, weil in der dienstlichen Äußerung keine weiteren Umstände der dem Kläger von VRiFG V vorgeworfenen Vergehen mitgeteilt wurden und bei vernünftiger objektiver Betrachtung allein aus der Existenz einer Strafanzeige i.S. von § 158 Abs. 1 der Strafprozeßordnung noch nicht auf einen Tatverdacht gegen die angezeigte Person geschlossen werden kann (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 43. Aufl., § 158 Rz. 1 und § 160 Rz. 9).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2000 S. 1488 Nr. 12
IAAAA-66152