BAG Beschluss v. - 8 AZB 23/16

Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung - unterlassene Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse

Gesetze: § 120a Abs 2 S 1 ZPO, § 120a Abs 2 S 2 ZPO, § 124 Abs 1 Nr 4 ZPO

Instanzenzug: Az: 8 Ca 5214/14 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 5 Ta 201/16 Beschluss

Gründe

1I. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe.

2Der Kläger war seit dem , zuletzt aufgrund eines bis zum befristeten Arbeitsvertrages bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit zwei Schreiben vom fristlos. Der Kläger hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom , der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, gegen diese Kündigungen gewandt mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom nicht zum beendet wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen bis zum fortbesteht. Gleichzeitig hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Der beigefügte und vom Kläger unterschriebene Vordruck der „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe“ enthält ua. folgenden Hinweis:

3Im Termin zur Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des beendet wurde.

4Mit Beschluss vom bewilligte das Arbeitsgericht dem Kläger, der zum damaligen Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB II bezog, für den 1. Rechtszug mit Wirkung vom Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten.

5Mit Schreiben vom wandte sich das Arbeitsgericht an die Prozessbevollmächtigte des Klägers und bat darum, die derzeitige Vermögenssituation des Klägers binnen einer Frist von drei Wochen unter Verwendung des Vordrucks „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ genau darzulegen. Mit Schreiben vom übersandte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Arbeitsgericht die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger seit dem keine Leistungen mehr nach dem SGB II bezog, sondern in einem neuen Arbeitsverhältnis stand.

6Mit einem an die Prozessbevollmächtigte des Klägers gerichteten Schreiben vom wies das Arbeitsgericht den Kläger darauf hin, dass die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben sei, da der Kläger eine wesentliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse trotz entsprechender Belehrung nicht mitgeteilt habe, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte daraufhin mit Schreiben vom aus, der Kläger sei auch nach Antritt der neuen Stelle weiterhin unverändert bedürftig. Er sei dringend darauf angewiesen, weiter Raten für die Staatsanwaltschaft zahlen zu können, da er anderenfalls die Haft antreten müsse und dann voraussichtlich seine Stelle verliere.

7Mit Beschluss vom , der der Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt wurde, hob das Arbeitsgericht die dem Kläger mit Beschluss vom bewilligte Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mit der Begründung auf, der Kläger habe dem Gericht entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO die wesentliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse nicht mitgeteilt.

8Gegen diesen Beschluss legte der Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom , der am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde ein.

9Nachdem das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte, hat das Landesarbeitsgericht die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom , der der Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt wurde, zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lägen vor, da der Kläger dem Gericht eine wesentliche Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit oder groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO beziehe sich allein auf die Unrichtigkeit einer Mitteilung. Das Merkmal „unverzüglich“ enthalte bereits ein subjektives Element. Im Übrigen handele eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe, und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen worden sei, grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergesse oder ignoriere. Auch wenn grobe Nachlässigkeit zu verneinen sein sollte, sei das Unterlassen der Klägers doch immer noch als schuldhaft anzusehen ohne dass ein atypischer Fall angenommen werden könne.

10Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner - vom Landesarbeitsgericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde, mit der er geltend macht, die subjektiven Merkmale der Absicht bzw. der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezögen sich sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die nicht unverzügliche Mitteilung einer Änderung der Einkommensverhältnisse. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts liege nicht automatisch grobe Nachlässigkeit vor, wenn ein Antragsteller die Mitteilung schlicht vergesse. Zudem sei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einschränkend dahin auszulegen, dass die Prozesskostenhilfebewilligung nur dann aufgehoben werden könne, wenn zumindest die Möglichkeit bestanden hätte, sich durch das Unterlassen der Mitteilung einen Vorteil zu verschaffen. Dies sei nicht der Fall, wenn - wie bei ihm - durchgängig die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgelegen hätten. Jedenfalls liege ein atypischer Fall vor, da ihn die Folgen der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ungewöhnlich hart träfen. In diesem Fall könne er die Raten für die Staatsanwaltschaft nicht mehr zahlen und müsse die Haft antreten mit der Folge, dass er seine Arbeitsstelle und seine Wohnung verliere.

11II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den nicht zurückgewiesen werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist der Senat allerdings an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

121. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den nicht zurückgewiesen werden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bereits dann in Betracht kommt, wenn die Partei wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der Partei der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.

13a) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem geltenden Fassung (im Folgenden nF), der gemäß § 40 Satz 1 EGZPO vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem gestellt hatte, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

14b) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, dass die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, sondern dass auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich ist. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und auch den Anschriftswechsel absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben ( - Rn. 11; so auch AR/Heider 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 16; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 74. Aufl. § 124 Rn. 51; BeckOK ZPO/Kratz Stand ZPO § 124 Rn. 23a; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe 7. Aufl. Rn. 847; HWK/Kalb 7. Aufl. § 11a ArbGG Rn. 10; Hk-ZPO/Kießling 6. Aufl. § 124 Rn. 8; Korinth ArbRB 2016, 60, 63; Maul-Sartori jurisPR-ArbR 38/2015 Anm. 6; Natter FA 2014, 290, 291; Nickel MDR 2013, 890, 894; Thomas/Putzo/Seiler 37. Aufl. § 124 Rn. 4a; wohl auch Groß Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe 13. Aufl. § 124 ZPO Rn. 20, 21; aA Musielak/Voit/Fischer ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 8a ohne Begründung).

15aa) Zwar ist es aufgrund der Stellung der tatbestandlichen Voraussetzung „unverzüglich“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF und ihres möglichen Wortsinns nicht von vornherein ausgeschlossen, dass im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei nicht erforderlich ist, sondern dass bereits einfaches Verschulden der Partei für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung regelmäßig ausreicht. Insoweit könnte der Begriff „unverzüglich“, der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF am Satzende im unmittelbaren Kontext mit der Nichtmitteilung steht, iSv. § 121 BGB und damit als „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verstehen sein. Danach wären die geforderten Mitteilungen zwar nicht sofort, wohl aber innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist zu erstatten (vgl. etwa  - Rn. 20; - VI ZB 74/04 - zu II 1 a der Gründe), ohne dass es auf eine Absicht oder eine grobe Nachlässigkeit ankäme.

16bb) Die Systematik von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF, seine Entstehungsgeschichte und sein Sinn und Zweck sprechen indes dafür, dass die Bestimmung so auszulegen ist, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels und einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei voraussetzt, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.

17(1) § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF setzt durch die Bezugnahme auf § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF voraus, dass die Partei ihren Verpflichtungen nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht nachgekommen ist. Bereits nach dieser Bestimmung hat die Partei aber eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und einen Anschriftswechsel „unverzüglich“ mitzuteilen. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF dann die unrichtige Mitteilung der Nichtmitteilung gleichstellt, bezieht sich dies sowohl auf die wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse als auch auf die Änderung der Anschrift. Bereits dies spricht dafür, dass mit dem Merkmal „unverzüglich“ im Zusammenhang mit der Nichtmitteilung in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF im Hinblick auf das Verschulden der Partei keine Abgrenzung zur unrichtigen Mitteilung erfolgen sollte und dass sich demnach das Verschuldenserfordernis der „Absicht“ und der „groben Nachlässigkeit“ - vor die Klammer gezogen - sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung bezieht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sowohl eine unvollständige Mitteilung der Änderung der Anschrift als auch eine unvollständige Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige Mitteilungen sind und dass die Grenze zwischen einer unrichtigen Mitteilung und einer Nichtmitteilung im Einzelfall fließend sein kann. So kann eine Mitteilung im Einzelfall so lückenhaft sein, dass sie bei wertender Betrachtung einer Nichtmitteilung gleichsteht. Auch dies spricht dafür, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für sämtliche dort aufgeführten Verstöße der Partei gegen ihre Mitwirkungspflichten, sei es durch unrichtige oder unterlassene Mitteilungen, einen einheitlichen Verschuldensmaßstab der Absicht oder groben Nachlässigkeit normiert.

18(2) Dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben voraussetzt, dass die Partei die unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat, wird durch die Entstehungsgeschichte der Bestimmung bestätigt.

19Der ursprüngliche Entwurf eines „Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe“ (BT-Drs. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. Danach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn „die Partei entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war“. Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe Verschuldensmaßstab gelten.

20Mit der endgültigen Fassung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF hat der Gesetzgeber sodann die Möglichkeiten einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung sowohl für den Fall, dass die Partei ihren Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF nicht unverzüglich nachkommt, als auch für den Fall, dass die Partei eine Änderungsmitteilung erstattet, diese aber inhaltlich unrichtig ist, deutlich eingeschränkt. In beiden Fällen setzt die Aufhebung voraus, dass die Partei ihre Pflichten absichtlich oder grob nachlässig verletzt hat. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11472 S. 35), dass nicht nur das Unterlassen einer Änderungsmitteilung, sondern auch eine zwar erstattete, inhaltlich aber unrichtige Änderungsmitteilung zu einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung führe. Die Einschränkung auf absichtliche und grob nachlässige Pflichtverletzungen entspreche den subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß Absatz 1 Nr. 2. Diese Ausführungen belegen, dass der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab nicht zwischen der Nichtmitteilung und der unrichtigen Mitteilung differenzieren wollte.

21(3) Sinn und Zweck der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF getroffenen Regelung sprechen ebenfalls für die einheitlich geltende Verschuldensanforderung der Absicht und der groben Nachlässigkeit.

22Mit der in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF vorgesehenen Sanktion (vgl. BT-Drs. 17/11472 S. 35) der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung soll die Partei nicht nur erkennbar dazu angehalten werden, ihren in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF bestimmten Mitwirkungspflichten nachzukommen. Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, jederzeit zu überprüfen, ob sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Umfang verbessert haben, dass der Bewilligungsbeschluss zulasten der Partei zu ändern ist. Dies gilt sowohl für die in § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF vorgesehene Verpflichtung der Partei, dem Gericht von sich aus wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage mitzuteilen, als auch für ihre Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels.

23Kommt die Partei ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, soll sie nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ihren Anspruch auf Prozesskostenhilfe regelmäßig verlieren. Ein solcher Rechtsverlust setzt nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB allerdings ein schuldhaft unredliches Verhalten der Partei, mithin eine grobe Pflichtverletzung, also grobes Verschulden (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche Stand BGB § 990 Rn. 6) voraus. Eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung kann demnach auch in den Fällen der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eines Anschriftswechsels nur erfolgen, wenn die Partei ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der geforderten Angaben absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht nachgekommen ist.

24(4) In dieser Auslegung trägt § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend Rechnung.

25Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Verpflichtung des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere den Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen. Einer weniger bemittelten Partei darf die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zu einer bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert werden (vgl.  - Rn. 12; - 1 BvR 1807/07 - Rn. 20 f.;  - Rn. 21). Diesen Anforderungen trägt die Zivilprozessordnung mit der Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rechnung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben verbieten es allerdings weder, der Partei, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, noch an ein schuldhaftes unredliches Verhalten der Partei die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe zu knüpfen (vgl.  - Rn. 30). Insoweit wird mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF der Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ein qualifiziertes Verschulden der Partei (Absicht oder grobe Nachlässigkeit) voraussetzt und dass aufgrund der Ausgestaltung von § 124 Abs. 1 ZPO nF als „Soll-Vorschrift“ trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung in atypisch gelagerten Einzelfällen Ausnahmen von der „Regelaufhebung“ (vgl. hierzu BT-Drs. 17/11472 S. 33) möglich bleiben.

262. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Entgegen den - allerdings vorliegend nicht tragenden - Ausführungen des Landesarbeitsgerichts handelt eine Partei, die - wie der Kläger - Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und damit auf Kosten der Allgemeinheit seinen Prozess geführt hat und die - wie der Kläger - darüber hinaus auf seine Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 ZPO nF hingewiesen wurde, nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt. Die schlichte Verletzung der in § 120a Abs. 2 ZPO nF bestimmten Mitteilungspflichten indiziert noch keine grobe Nachlässigkeit.

27a) Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (in diesem Sinne auch: BeckOK ZPO/Kratz Stand ZPO § 124 Rn. 18; Musielak/Voit/Fischer ZPO 13. Aufl. § 124 Rn. 5; zum Begriff der groben Nachlässigkeit in § 296 Abs. 2 ZPO vgl.  - Rn. 4). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich demnach bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (vgl. etwa  - Rn. 15).

28b) Die Entscheidung, ob im Einzelfall von einfacher Fahrlässigkeit oder grober Nachlässigkeit auszugehen ist, erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände. Geht es - wie hier - um die Frage, ob eine Partei ihre Verpflichtung, dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse von sich aus unverzüglich mitzuteilen, grob nachlässig oder lediglich leicht fahrlässig verletzt hat, kann vor dem Hintergrund, dass diese Pflicht dazu dient, der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegenzuwirken (BT-Drs. 17/11472 S. 1), im Rahmen der Abwägung auch von Bedeutung sein, wenn die Partei anderweitige Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse bekannt werden. Hierzu hat die Partei, die diesen Umstand berücksichtigt wissen möchte, substantiiert vorzutragen. Ein solcher Vortrag kann auch noch in der Beschwerdeinstanz erfolgen (vgl. zur Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO aF  - BAGE 108, 329).

293. Auf der Grundlage der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zu erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

30a) Entgegen der Annahme des Klägers scheidet eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF nicht bereits dann aus, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei nicht in einem Umfang verbessert haben, der eine Änderung des Bewilligungsbeschlusses gebietet. Bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF handelt es sich um einen Verwirkungstatbestand, bei dem es auf die Kausalität nicht ankommt. § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF knüpft die Mitteilungspflicht nicht daran, dass die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse tatsächlich zu einer abändernden Entscheidung führt oder geführt hätte, sondern nur daran, ob sie wesentlich ist, wobei der Begriff der Wesentlichkeit im Hinblick auf eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse bei Bezug eines laufenden monatlichen Einkommens in § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO nF näher bestimmt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF stellt sich insoweit als Sanktion für das Unterlassen der nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO nF geforderten Mitteilungen dar (BT-Drs. 17/11472 S. 35).

31b) Da das Landesarbeitsgericht bislang keine Feststellungen getroffen hat, die die Annahme grober Nachlässigkeit oder Absicht des Klägers begründen könnten, ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Die Sache ist daher gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

32 Dabei wird das Landesarbeitsgericht auch zu prüfen haben, ob insbesondere im Hinblick auf den Einwand des Klägers, er könne im Fall der Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung die Raten an die Staatsanwaltschaft nicht mehr zahlen, sodass ihm Haft und damit auch der Verlust der Stelle und seiner Wohnung drohten und vor dem Hintergrund, dass der Kläger weiterhin hilfsbedürftig ist, ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ausnahme von der Soll-Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF rechtfertigt oder zur Vermeidung unangemessener Ergebnisse gar gebietet.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:191016.B.8AZB23.16.1

Fundstelle(n):
JAAAF-87195