Wiedereinsetzung nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Eingang des fristgebundenen Schriftsatzes auf dem Faxgerät eines anderen Gerichts in demselben Gebäudekomplex
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO, § 543 Abs 2 S 1 ZPO
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 10 U 143/13 Urteilvorgehend LG Wiesbaden Az: 2 O 186/11
Gründe
1Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insbesondere verletzt die Verwerfung der Berufung als unzulässig unter gleichzeitiger Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nicht den Anspruch der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Der Vorwurf der Klägerin, das Berufungsgericht habe ihr den Zugang zum Gericht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise versagt, ist unbegründet.
I.
2Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Frist zur Berufungsbegründung, die nach Verlängerung am ablief, von der Klägerin nicht gewahrt worden ist.
31. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf das Fax vom (GA 256). Ihr Prozessbevollmächtigter hat dieses Fax, nachdem zuvor eine Übermittlung an das Hauptfaxgerät des Oberlandesgerichts (Fax-Nr. 069/1367-2976) wegen einer dortigen Betriebsstörung gescheitert war, an die Fax-Nr. 069/1367-6050 des Landgerichts Frankfurt a.M. gesandt, wo das Fax um 23.56 Uhr einging. Mit dem Eingang der Berufungsbegründung auf einem Faxgerät des Landgerichts konnte die Frist des § 520 Abs. 2 ZPO aber nicht gewahrt werden (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
4Der Hinweis der Klägerin, die im Übrigen dieses Thema erstmals in der Nichtzulassungsbeschwerde anspricht, auf die Beschlüsse des (NJW-RR 2008, 446) und des VI. Zivilsenats des , VersR 2013, 879) geht fehl.
5Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (aaO S. 447) - bezogen auf einen Fall aus Frankfurt aus dem Jahr 2003 - ausgeführt, dass es gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verstößt, wenn ein ordnungsgemäß an das Oberlandesgericht adressierter und per Fax übermittelter Schriftsatz als verspätet angesehen wird, obwohl er fristgerecht am Telefaxanschluss des Landgerichts eingeht und beide Gerichte gemeinsame Faxanschlüsse dergestalt haben, dass die Anschlüsse des einen Gerichts zugleich als Anschlüsse des anderen Gerichts gelten. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit Bezug genommen darauf, dass für die Justizbehörden in Frankfurt a.M. (darunter auch das Land- und das Oberlandesgericht) damals entsprechend einer von der Hessischen Staatskanzlei im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegten und erläuterten Geschäftsordnungsregelung neben einer gemeinsamen Posteingangsstelle auch gemeinsame Telefaxanschlüsse eingerichtet worden waren. Dabei war die Annahme von Faxschreiben so geregelt, dass die besonders bestimmten Faxanschlüsse der beteiligten Behörden und Gerichte zugleich als Anschlüsse der anderen Behörden und Gerichte galten beziehungsweise dass die bei einem dieser Anschlüsse eingehenden Faxschreiben als bei der Geschäftsstelle der jeweils angeschriebenen Behörden- oder Gerichtsstelle eingegangen anzusehen waren. Diese von den Justizbehörden in Frankfurt a.M. getroffene Regelung über die Annahme von Telefaxschreiben habe - so das Bundesverfassungsgericht - zur Folge, dass ein per Fax übermittelter und an das Oberlandesgericht adressierter Schriftsatz auch dann in die Verfügungsgewalt dieses Gerichts gelange, wenn für die Übermittlung versehentlich die Faxnummer einer anderen in den Behörden- und Gerichtsverbund einbezogenen Stelle gewählt worden sei. Dass dem erkennenden Senat des Oberlandesgerichts diese Geschäftsordnungsregelung nicht bekannt gewesen sei, stehe dem Verfassungsverstoß nicht entgegen.
6An diese Entscheidung anknüpfend hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (aaO Rn. 12 f) einer Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. stattgegeben und die Sache zurückverwiesen, da nicht überprüft worden war, ob zum Zeitpunkt des Eingangs der dortigen Berufungsbegründung beim Landgericht Frankfurt a.M. am die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Geschäftsordnungsregelung noch bestand.
7Im vorliegenden Verfahren ist zwischen den Parteien aber unstreitig, dass entsprechend dem Inhalt des Beschlusses des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom (1 U 96/13, juris Rn. 1) bereits seit April 2008 andere Regeln gelten, d.h. die vormaligen Geschäftsordnungsbestimmungen aufgehoben und bestimmte Faxnummern nunmehr ausschließlich bestimmten Gerichten - d.h. hier die Nummer mit den Endziffern 6050 nur dem Landgericht und die Nummer mit den Endziffern 2976 nur dem Oberlandesgericht - zugewiesen sind. Entsprechend ist auf den Schriftstücken der Gerichte und in deren Internetauftritt die 6050 dem Landgericht, die 2976 dem Oberlandesgericht zugeordnet.
8Der Einwand der Klägerin, es bestehe weiterhin eine gemeinsame Posteingangsstelle, ist unerheblich. Es steht den Justizbehörden frei, den Eingang von Briefpost und per Telefax unterschiedlich zu regeln. Geht das Fax aber auf dem Faxgerät eines anderen Gerichts - hier des Landgerichts Frankfurt a.M. - ein, ist es nicht in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts - hier des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. - gelangt (vgl. nur , NJW-RR 2012, 1461 Rn. 9 ff mwN). Insoweit sind auch die Spekulationen der Klägerin in der Beschwerdeschrift über den örtlichen Standort der beiden Faxgeräte ohne Bedeutung.
92. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung darauf, dass das weitere, von ihrem Prozessbevollmächtigten an einen Nebenanschluss der Zivilsenate des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. (Nr. 069/1367-8815) übermittelte Fax vom (GA 253) einen Stempel der Geschäftsstellenbeamtin des 18. Zivilsenats - auf der dortigen Geschäftsstelle befindet sich der Nebenanschluss - mit dem Aufdruck "30. Sept. 2013" enthält. Das Berufungsgericht ist nach Durchführung einer Beweisaufnahme in tatrichterlicher - revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbarer - Würdigung unter Berücksichtigung auch des übrigen Akteninhalts rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beweiswert dieses Stempelaufdrucks widerlegt und die Berufungsbegründung erst am und damit verspätet eingegangen ist.
10Das Fax (GA 253) trägt unten unter anderem den Aufdruck "01-OKT-2013 00:02" und oben den Aufdruck "01-Okt 13 00:05". Das Fax-Journal des Nebenanschlusses 8815 (GA 322) weist für den diverse Faxeingänge (zuletzt um 23.40 Uhr von einem Hamburger Absender) und dann um "01-10 00:02" den Eingang des hier maßgeblichen Faxes auf. Nach einer vom Vorsitzenden des 10. Zivilsenats eingeholten Auskunft der Geschäftsleitung war dieses - inzwischen durch ein neueres Modell ersetzte - Gerät mit einer sog. Echtzeitwiedergabe (Physikalisch-technische Bundesanstalt) ausgerüstet. Wenn das Oberlandesgericht vor diesem Hintergrund auf der Grundlage der Aussage der Geschäftsstellenbeamtin, die im Einklang mit ihrer früheren schriftlichen Darstellung (GA 321) steht, davon ausgegangen ist, dass die Beamtin am Morgen des bei der Sortierung und Abstempelung der seit ihrem Dienstschluss am eingegangenen Faxe versehentlich auch auf das hier fragliche Fax den Stempel "30. Sept. 2013" aufgedruckt hat, ist dies nicht zu beanstanden.
11Die Klägerin versucht mit ihrer Beschwerdebegründung nur in untauglicher Weise ihre Beweiswürdigung an die Stelle der des Oberlandesgerichts zu setzen. Insoweit steht der Wertung des Berufungsgerichts auch nicht die im angefochtenen Beschluss erörterte Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Schriftsatz vom entgegen. Dort hat dieser unter anderem vorgetragen, sein privates Faxgerät sei so voreingestellt, dass eine erfolgreiche Übermittlung nicht mit einem ausgedruckten Sendebericht angezeigt werde, sondern mit dem Vermerk "gesendet" auf dem Display und einem kurzen Signalton. Nach seiner Erinnerung habe er am noch vor Mitternacht auf seinem Display "gesendet" gesehen und den Signalton gehört. Welche konkrete Fax-Nummer diese erfolgreiche Fax-Übertragung ermöglicht habe, könne er nicht mehr sagen.
12Da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, nachdem eine Übermittlung an den Hauptfaxanschluss des Oberlandesgerichts gescheitert war, kurz vor Mitternacht aber unstreitig erfolgreich die Berufungsbegründung per Fax an die Nr. 6050 des Landgerichts übermittelt hat, würde diese Darstellung nur dann für eine rechtzeitige Übermittlung vor Mitternacht auch an den Nebenanschluss des Oberlandesgerichts (Nr. 8815) sprechen, wenn das Faxgerät des Prozessbevollmächtigten vor Mitternacht zweimal "gesendet" angezeigt und zweimal einen Signalton abgegeben hätte. Dies wird mit dem Wiedereinsetzungsantrag aber nicht behauptet. Insoweit spricht alles dafür, dass sich der geschilderte Vorgang auf die Übermittlung an das Landgericht bezogen hat.
II.
13Das Oberlandesgericht hat im Ergebnis auch zu Recht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen.
14Nach § 233 ZPO ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Hierbei muss sich die Partei das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
15Dass den Prozessbevollmächtigen der Klägerin an der Fristversäumung kein Verschulden trifft, lässt sich aber nicht feststellen. Zwar verweist die Klägerin zutreffend darauf, dass der Ausfall des Hauptfaxgerätes beim Oberlandesgericht ihr nicht angelastet werden kann. Allerdings hatte ihr Prozessbevollmächtigter danach noch ausreichend Zeit, die Berufungsbegründung vor Mitternacht beim Oberlandesgericht einzureichen. Ihm war der Nebenanschluss der Zivilsenate des Oberlandesgerichts bekannt. In der Beschwerdebegründung wird insoweit darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte diese Kenntnis anlässlich eines anderen Prozesses erlangt und die Nummer vorsorglich in sein Handy eingespeichert gehabt habe. Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei der Übermittlung der um 23.56 Uhr beim Landgericht eingegangenen Berufungsbegründung statt der Nummer des Landgerichts (6050) die des Oberlandesgerichts (8825) eingegeben, wäre die Frist gewahrt worden.
16Mangels unverschuldeter Fristversäumung kommt es nicht darauf an, ob die Jahresausschlussfrist für den Wiedereinsetzungsantrag (§ 234 Abs. 3 ZPO) gewahrt wurde. Insoweit ist lediglich Folgendes anzumerken: Zwar steht die Versäumung dieser Frist ausnahmsweise der Wiedereinsetzung nicht entgegen, wenn die Versäumung ausschließlich im Verantwortungsbereich des Gerichts liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651, 1652 f; vom - VI ZB 68/12, NJW 2013, 1684 Rn. 10 und vom - IX ZA 24/15, NJW-RR 2016, 638 Rn. 7 f). Diese Voraussetzung ist hier allerdings bereits deshalb nicht gegeben, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin angesichts der geschilderten Umstände der Übermittlung selbst Anlass gehabt hätte, am Folgetag den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung beim Oberlandesgericht abzuklären; dies zumal vor dem Hintergrund, dass zu einer verlässlichen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per Fax der Ausdruck eines Sendeberichts und die anschließende Kontrolle gehört, dass das Fax vollständig und rechtzeitig an die richtige Adresse (Fax-Nummer) übermittelt worden ist (vgl. nur Senat, Beschluss vom - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10 mwN). Soweit nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten beim Gebrauch seines privaten Faxgeräts eine solche Prüfung anhand eines Sendeberichts nicht möglich ist, hätte er umgehend den Eingang anderweitig verlässlich abklären müssen. Dass ihm bei einer etwaigen Anfrage beim Oberlandesgericht dann unzutreffend mitgeteilt worden wäre, dass die Berufungsbegründung rechtzeitig am eingegangen sei, das heißt. er nur über den Stempelaufdruck auf dem Fax (GA 253), nicht aber auf die übrigen oben genannten Umstände hingewiesen worden wäre, stellt insoweit eine nicht plausible Spekulation der Beschwerde dar.
Herrmann Seiters Reiter
Liebert Arend
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:271016BIIIZR417.15.0
Fundstelle(n):
GAAAF-86736