BGH Beschluss v. - XII ZB 325/16

Versorgungsausgleich: Teilung gleichartiger Anrechte bei wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit der Differenz ihrer Ausgleichswerte

Leitsatz

Zum Absehen von der Teilung gleichartiger Anrechte bei wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit der Differenz ihrer Ausgleichswerte.

Gesetze: § 18 Abs 1 VersAusglG

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 3 UF 57/16vorgehend AG Wittmund Az: 6 F 259/15 S

Gründe

I.

1Auf den am zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am geschlossene Ehe der Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) und des Antragsgegners (im Folgenden: Ehemann) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit ( bis ; § 3 Abs. 1 VersAusglG) hat der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Beteiligten zu 2 in Höhe von 2,1924 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 1,0962 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 7.174,42 € erworben, die Ehefrau gesetzliche Anrechte bei der Beteiligten zu 1 in Höhe von 2,1971 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 1,0986 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 7.190,13 €.

2Das Familiengericht hat beide Anrechte intern geteilt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

41. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Zwar seien die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 VersAusglG erfüllt, wonach das Familiengericht Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen soll, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering sei. Bei der Ausübung des Ermessens seien jedoch die mit der Vorschrift verfolgten Ziele, nämlich die Vermeidung unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands und die Vermeidung von Splitteranrechten, gegen das Recht eines jeden Ehegatten auf hälftige Teilhabe an dem in der Ehe erworbenen Altersvorsorgevermögen abzuwägen.

5Da der mit der Umbuchung von Rechten in der gesetzlichen Rentenversicherung verbundene Verwaltungsaufwand als eher gering einzustufen sei, gebühre dem Halbteilungsgrundsatz der Vorrang, auch wenn der Unterschied der korrespondierenden Kapitalwerte im vorliegenden Fall nur 15,71 € betrage und damit annähernd bedeutungslos sei.

6Denn das Absehen von der Teilung bei wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit wäre eine "Ausnahme von der Ausnahme einer Ausnahme". Das Gesetz lasse unter den in § 18 VersAusglG genannten Voraussetzungen eine Ausnahme von der Halbteilung zu; die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bilde nach den genannten Voraussetzungen eine Ausnahme davon und eine besondere Behandlung von Fällen bei wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit bilde hierzu wiederum eine Ausnahme. Um auch insoweit Rechtssicherheit zu schaffen, müsste eine Schwelle für die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit des Versorgungsanrechts gefunden werden. Jedoch könnte auch ein solcher Schwellenwert nicht erklären, weshalb Wertunterschiede oder Ausgleichswerte, die geringfügig darüber liegen, ausgeglichen werden und solche, die geringfügig darunterliegen, nicht. Der Gewinn an materieller Gerechtigkeit sei kaum noch messbar, auch nicht auf Seiten des Versorgungsträgers, weil sich dessen Verwaltungsaufwand einer genauen wirtschaftlichen Bewertung entziehe.

72. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8a) Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG soll das Familiengericht beiderseitige Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist, wobei die Vorschrift dem Gericht einen Ermessensspielraum eröffnet. Diese Ermessensentscheidung unterliegt im Rechtsbeschwerdeverfahren einer nur eingeschränkten rechtlichen Kontrolle. Sie ist durch das Rechtsbeschwerdegericht insbesondere daraufhin zu überprüfen, ob das Beschwerdegericht die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen einen unsachgemäßen, Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht hat. Ferner ist nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht von ungenügenden oder verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist oder ob es wesentliche Umstände unerörtert gelassen hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 6 mwN, zu § 18 Abs. 2 VersAusglG).

9Welche Kriterien bei der Ermessensausübung im Einzelnen zu berücksichtigen sind, lässt das Gesetz offen. Gesetzesziel ist vornehmlich die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für den Versorgungsträger, der mit der Teilung eines Anrechts und der Aufnahme eines Anwärters in sein Versorgungssystem verbunden sein kann. Es sind aus diesem Grunde in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 7 mwN, zu § 18 Abs. 2 VersAusglG).

10Andererseits ist der Halbteilungsgrundsatz nach wie vor Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts. Der Ausschluss eines Ausgleichs von Bagatell-anrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung findet seine Grenze daher in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes. Eine solche Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn ein Anrecht mit geringem Ausgleichswert oder gleichartige Anrechte mit einer geringen Wertdifferenz unter Anwendung des § 18 Abs. 1 oder 2 VersAusglG nicht ausgeglichen werden, obwohl sich der Verwaltungsaufwand nicht als unverhältnismäßig darstellt oder sonstige mit dieser Vorschrift verfolgte Zwecke nicht oder nur in Ansätzen erreicht werden. Neben dem Halbteilungsgrundsatz sind bei der Ermessensentscheidung nach den Vorgaben des Gesetzgebers aber auch die konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute einschließlich ihrer Versorgungssituation zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abwägung spricht deshalb unter anderem für einen Ausgleich, dass der Ausgleichsberechtigte dringend auch auf Bagatellbeträge angewiesen ist oder dass ein Ehegatte über viele kleine Ausgleichswerte verfügt, die in der Summe einen erheblichen Wert darstellen, während der andere Ehegatte nur vergleichsweise geringe Anrechte erworben hat (Senatsbeschluss vom - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 8 mwN).

11Für die interne Teilung hat der Senat außerdem bereits darauf hingewiesen, dass der Versorgungsträger gemäß § 13 VersAusglG seine durch eine interne Teilung entstehenden höheren Kosten mit den Anrechten beider Ehegatten verrechnen kann, soweit sie angemessen sind. Angesichts dieser Möglichkeit zur Kompensation können die zusätzlichen Verwaltungskosten als ein im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigender Belang der Versorgungsträger an Bedeutung verlieren (Senatsbeschluss vom - XII ZB 172/11 - FamRZ 2012, 610 Rn. 31). Stattdessen kann dann im Rahmen der Ermessensentscheidung auf die durch die Teilung verursachten Teilungskosten und somit darauf abzustellen sein, ob der Halbteilungsgrundsatz aus Sicht der geschiedenen Ehegatten auch unter Berücksichtigung der mit der Teilung einhergehenden Entwertung des Anrechts einen Ausgleich des einzelnen Versorgungsbestandteils verlangt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 172/11 - FamRZ 2012, 610 Rn. 31).

12Ist der Ausgleichswert des Anrechts allerdings bedeutungslos und liegt er erkennbar unter den real entstehenden Teilungskosten, ist ferner der Ausgleichsberechtigte nicht auf den Bagatellbetrag angewiesen und stellt sich die Teilung somit als insgesamt unwirtschaftlich dar, gebietet der Halbteilungsgrundsatz kein Abweichen von der Sollbestimmung des § 18 VersAusglG, sondern ist das Ermessen dahin auszuüben, dass solche Anrechte nicht auszugleichen sind. Das gilt für den Ausgleich geringer Anrechte nach § 18 Abs. 2 VersAusglG ebenso wie für die wechselseitige Teilung gleichartiger Anrechte gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist.

13b) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht von dem ihm durch § 18 Abs. 1 VersAusglG eingeräumten Ermessen in unsachgemäßer, Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufender Weise Gebrauch gemacht. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht zwar erkannt, dass die Durchführung der Teilung durch Verrechnung der Anrechte und Umbuchung der Ausgleichswertdifferenz auf den gesetzlichen Versicherungskonten beider Ehegatten (§§ 10 Abs. 2 VersAusglG, 120 f Abs. 1 SGB VI) regelmäßig keinen besonders hohen Verwaltungsaufwand verursacht (vgl. Wick Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 426) und deshalb dem Halbteilungsgebot grundsätzlich der Vorrang gebührt. Vollständig aufwandsneutral ist jedoch auch die Umbuchung zwischen zwei gesetzlichen Versicherungskonten nicht. Auch der dabei entstehende vergleichsweise geringe Aufwand muss in einem noch angemessenen Verhältnis zu dem bezweckten Teilungserfolg stehen. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall.

14Im vorliegenden Fall beträgt nämlich der Wertunterschied der korrespondierenden Kapitalwerte, um den das Vorsorgevermögen des Ausgleichsberechtigten bei Durchführung der Teilung und nach Verrechnung der Anrechte effektiv anwüchse, nur 15,71 €. Das entspricht nach derzeitigem Rentenwert einem zusätzlichen Rentenbetrag von monatlich 0,07 €. Es liegt auf der Hand, dass das Absehen vom Ausgleich eines derart bedeutungslosen Wertunterschieds keine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes bedeutet, die eine Durchführung der Teilung zwingend geböte. Vielmehr stünde die Durchführung eines solchen Wertausgleichs offensichtlich völlig außer Verhältnis zu dem bei beiden Versorgungsträgern zulasten der Versichertengemeinschaft im Zusammenhang mit der Durchführung entstehenden Verwaltungsaufwand (vgl. auch OLG Celle FamRZ 2016, 1370; OLG Hamm FamRZ 2016, 1372).

153. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da es weiterer Feststellungen nicht bedarf.

16Einer abschließenden Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass die zu beurteilende Frage, ob eine geringfügige Wertdifferenz oder ein geringfügiges Anrecht auszugleichen ist, grundsätzlich der tatrichterlichen Ermessensausübung vorbehalten ist. Eine abschließende Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts kommt nämlich dann infrage, wenn die Beschwerdeentscheidung einen Sachverhalt ergibt, der eine verwertbare tatsächliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung bietet, und bei Zurückverweisung ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint (vgl. - NJW 2012, 455 Rn. 29 mwN). Das ist hier der Fall, da jede andere Entscheidung, als vom wechselseitigen Ausgleich der Anrechte abzusehen, ermessensfehlerhaft wäre.

Dose                      Günter                        Nedden-Boeger

              Botur                       Guhling

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:280916BXIIZB325.16.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2016 S. 1476 Nr. 24
WAAAF-86197