Nichtannahmebeschluss: Anspruchsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (juris: SGB 2) und sozialgerichtlicher Eilrechtsschutz - Nach Klärung der Europarechtskonformität des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 durch den EuGH keine zusprechende fachgerichtliche Eilentscheidung zu erwarten - Anspruch auf Leistungen gem § 23 Abs 1 S 3 SGB XII (juris: SGB 12) nicht Gegenstand des Verfahrens - Verfassungsbeschwerde teils mangels hinreichender Substantiierung unzulässig - PKH-Gewährung
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 22 Abs 2 BVerfGG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 2 Buchst b BVerfGG, Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004, Art 4 EGV 883/2004, Art 70 Abs 2 EGV 883/2004, EuFürsAbk, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 114 Abs 1 S 1 ZPO
Instanzenzug: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 29 AS 2220/13 B ER Beschlussvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 29 AS 2220/13 B ER Beschluss
Gründe
I.
1Die Verfassungsbeschwerde, die mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbunden ist, richtet sich gegen Entscheidungen des Landessozialgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das Landessozialgericht ging im Eilverfahren davon aus, dass Leistungen an eine spanische Staatsangehörige bei einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen seien.
21. Die Beschwerdeführerin arbeitete bis Ende 2012 als befristete Aushilfe in einem Kaufhaus und bezog ergänzend Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Für das erste Halbjahr 2013 bewilligte ihr das Jobcenter Arbeitslosengeld II. Ab Oktober 2013 rechnete sie aufgrund einer freien Mitarbeit in einem Kosmetiksalon mit Einnahmen in Höhe von 300 bis 400 € pro Monat. Mit eidesstattlicher Versicherung erklärte sie am , gegenwärtig kein Geld zu haben, belegte ihre Hilfebedürftigkeit und beantragte die Fortzahlung der Leistungen. Den Antrag für den Zeitraum ab lehnte das Jobcenter ab. Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Beschwerdeführerin Klage zum Sozialgericht.
32. Das Sozialgericht verpflichtete den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Eilverfahren, der Beschwerdeführerin vorläufig Arbeitslosengeld II zu gewähren, vom 22. Juli bis in Höhe von 166,68 € und ab August 2013 in Höhe von monatlich 550,60 € bis zum "rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens, längstens jedoch bis ". Das Landessozialgericht setzte mit Beschluss vom die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts aus und änderte mit Beschluss vom die Entscheidung ab und lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es greife der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Der erkennende Senat habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass er nicht feststellen könne, dass diese Regelung gegen europäisches Recht verstoße. Nur die Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit dieser Regelung könne - wie auch bei der Vorlage nach Art. 100 GG - ausnahmsweise dazu berechtigen, ein formelles, in Kraft getretenes Gesetz nicht anzuwenden. Mangels Überzeugung von einer Europa- oder Völkerrechtswidrigkeit oder eines anderweitigen Verstoßes gegen höherrangiges Recht sei für eine Folgenabwägung kein Raum.
4Die Anhörungsrüge verwarf das Landessozialgericht mit Beschluss vom als unzulässig.
53. Mit ihrer am erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Landessozialgerichts entspräche nicht den Anforderungen an den effektiven Rechtsschutz im gerichtlichen Eilverfahren.
64. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit Beschluss vom abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG nicht dargelegt waren.
II.
7Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
81. Die Verfassungsbeschwerde ist mit Ausnahme der Rüge der Verletzung von Art. 19 Ab. 4 GG unzulässig. Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG wird nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das Landessozialgericht hat sich insbesondere ausführlich und im Ergebnis vertretbar (vgl. nun -, juris, Rn. 23; -, juris, Rn. 18 ff.) mit der Frage der Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) befasst. Soweit das Vorbringen der Beschwerdeführerin auch dahingehend verstanden werden könnte, dass sie einen Verstoß von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen Grundrechte rügt, wird nicht hinreichend deutlich, ob sie sich gegen eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder gegenüber Ausländerinnen und Ausländern mit anderem Aufenthaltsrechtsstatus wendet. Es fehlt eine Auseinandersetzung mit Rechtfertigungsgründen für eine Ungleichbehandlung und insbesondere mit den Anforderungen, die an eine Anknüpfung von rechtlichen Unterscheidungen an die Staatsangehörigkeit zu stellen sind (vgl. BVerfGE 111, 160 <171 ff.>; 111, 176 <185 ff.>; 130, 240 <256 ff.>). Mit Blick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums fehlt eine Auseinandersetzung damit, ob ein bestimmtes Aufenthaltsrecht oder eine Aufenthaltsperspektive (vgl. BVerfGE 132, 134 <171 ff. Rn. 92 ff.>) oder auch die Möglichkeit einer Bedarfsdeckung im Ausland (vgl. nun -, juris) den Ausschluss von Sozialleistungen rechtfertigen können.
92. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen zur Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG nicht vor. Es ist absehbar, dass das Landessozialgericht auch im Falle einer Zurückverweisung über den hier in Rede stehenden Leistungsanspruch im Eilverfahren nicht anders entscheiden würde.
10a) Die damalige Auffassung des Landessozialgerichts, wonach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Unionsrecht vereinbar ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union zwischenzeitlich mit Urteil vom (ECLI:EU:C:2015:597, Alimanovic, C-67/14) bestätigt. Danach sind Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom und Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der "Sozialhilfe" im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG darstellen, ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten. Damit ist jedenfalls im vorliegenden Verfahren fachrechtlich abzusehen, dass die Beschwerdeführerin auch im Falle einer Zurückverweisung an das Landessozialgericht ihr Rechtsschutzziel, vom Jobcenter entgegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu erhalten, nicht erreichen würde.
11b) Daran ändert es nichts, dass nach Auffassung des Bundessozialgerichts trotz des Leistungsausschlusses im Sozialgesetzbuch Zweites Buch eine Ermessensreduzierung auf Null zu Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch führen kann (vgl. u.a. -, juris; Urteil vom - B 14 AS 35/15 R -, juris). Die Verfassungsbeschwerde zielt nicht auf einen solchen Anspruch gegenüber einem Sozialhilfeträger und insbesondere nicht auf die Einbeziehung von Sozialhilfeansprüchen gegen einen Sozialhilfeträger, der am Eilverfahren nicht beteiligt worden ist.
123. Desgleichen ist hier nicht zu klären, ob die in diesem Verfahren entscheidungserhebliche Norm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jenseits der unionsrechtlichen Fragen auf grundrechtliche Grenzen stößt (vgl. -, juris; SG Mainz, Beschluss vom - S 3 AS 149/16 -, juris; ER, L 6 AS 21/16 B -, juris; Frerichs, ZESAR 2014, S. 279 <285 f., 288>; Kingreen, NVwZ 2015, S. 1503 <1506>; a.A. ER -, juris; ER -, juris; ER -, juris). Diese verfassungsrechtliche Frage wurde im vorliegenden Verfahren jedenfalls nicht substantiiert aufgeworfen.
III.
13Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf den entsprechend anzuwendenden Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>).
141. Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages stellte sich die verfassungsrechtlich klärungsbedürftige Frage, welche Anforderungen an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG zu stellen sind, wenn existenzsichernde Leistungen auf der Grundlage von Regelungen beantragt werden, deren Reichweite unionsrechtlich streitig ist (vgl. zu den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG BVerfGE 93, 1 <13>; 101, 397 <407>; 107, 395 <401>; zum Unionsrecht BVerfGK 5, 196 <203 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1119/05, 2 BvR 1120/05, 2 BvR 1497/05 -, juris, Rn. 48; zum damaligen unionsrechtlichen Maßstab Collins, C-138/02, Slg. 2004, I-2703; Vatsouras und Koupatantze, C-22/08 und 23/08, Slg. 2009, I-4585; Prete, C-367/11, ZESAR 2013, S. 182). Deshalb ist Prozesskostenhilfe für die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde zu gewähren. Inzwischen fehlt es an einem Grund für die Annahme zur Entscheidung, da auch im Fall der Zurückverweisung über den in Rede stehenden Leistungsanspruch im Eilverfahren nicht anders entschieden werden würde (siehe oben II 2).
152. Die Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt W. ist auf den Zeitpunkt zu begrenzen, an dem seine Zulassung endete. Eine Beiordnung von Rechtsanwalt G., der mit Schriftsatz vom seine Beiordnung beantragt hat, kam für den nachfolgenden Zeitraum mangels einer den Anforderungen des § 22 Abs. 2 BVerfGG genügenden Vollmacht nicht in Betracht. Es war auch bei der zuletzt vorgelegten Vollmacht nicht zweifelsfrei erkennbar, dass die Vollmacht für das hier zu führende Verfahren erteilt worden war, das nicht nur allgemein für eine Verfassungsbeschwerde, sondern konkret bezeichnet werden muss (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2446/14 - und vom - 2 BvR 1052/13 - ; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2620/11 -).
IV.
16Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
V.
17Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20161004.1bvr277813
Fundstelle(n):
XAAAF-85715